Dienstag 16. April 2024

22. Ökumenische Sommerakademie: Lernen aus der Krise, Anfrage an die Kirchen

Corona hat unser Leben verändert. Auch die Kirchen stehen dadurch vor Herausforderungen. In der 22. Ökumenischen Sommerakademie am 15. Juli 2021 wurde die Frage gestellt, was aus der Krise zu lernen ist.

Ohne Probleme und kritische Momente auszublenden, stand dabei die Zuversicht im Mittelpunkt. Anstatt der üblichen dreitägigen Veranstaltung im Stift Kremsmünster wurde die Sommerakademie zum Thema "Corona: Lernen aus der Krise. Anfrage an die Kirchen" heuer via Live-Stream aus der Katholischen Privat-Universität Linz übertragen.

 

Nach den einleitenden Worten von Helmut Obermayr, Mitinitiator der Ökumenischen Sommerakademie, hieß Gastgeber Rektor Christoph Niemand alle Mitveranstalter*innen und Teilnehmer*innen herzlich willkommen. Dass man die Veranstaltung diesmal als Live-Stream an der KU Linz durchführe, sei zwar den Corona-Beschränkungen geschuldet; man habe aber – nicht zuletzt durch aufwändige technische Zurüstungen – so die Möglichkeiten geschaffen, neue Zielgruppen zu erreichen.

 

Komitee und Vortragende der 22. Ökumenischen Sommerakademie

V. l.: Mag.a Hermine Eder (KU Linz), Rektor Univ.-Prof. Dr. Christoph Niemand, em. o. Univ.-Prof. Dr. Josef Ehmer, Univ.-Prof.in Dr.in Isabella Guanzini, Dr. Helmut Obermayr, Superintendentialkuratorin Mag.a Renate Bauinger, Bischof Andrej Cilerdzic, Generalvikar Univ.-Prof. DDr. Severin Lederhilger OPraem, Superintendent Dr. Gerold Lehner. © Hermine Eder / KU Linz

 

 

Wie Gesellschaften auf Krisen reagieren – ein historischer Blick

 

Josef Ehmer, emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien, arbeitete in einem Gang durch die europäische Seuchengeschichte Erfahrungen und Lernprozesse heraus. Zur Bewältigung von Pandemien sei das Zusammenwirken von medizinischem Wissen, behördlichen Maßnahmen und der Bereitschaft der Menschen, Maßnahmen mitzutragen, entscheidend gewesen.

 

An den Beispielen Pest, Pocken, Cholera und "Spanische Grippe" wurde dieses Zusammenwirken exemplarisch gezeigt. Besonders seit dem 19. Jahrhundert hat der Beitrag der Medizin zu Bewältigung der Krisen stetig zugenommen, aber auch ohne dieses medizinische Wissen wusste man aus Erfahrung, welche Maßnahmen wirksam sind. An den Pestwellen von 1678–1680 und 1711–1713 lasse sich für Österreich auch ein Lernprozess der Behörden ablesen.

 

Gegen die Pocken war schon seit Ende des 18. Jahrhunderts eine wirksame Impfung verfügbar; aber erst deren massive staatliche Bewerbung, auch mit Unterstützung der Kirchen, habe dazu geführt, dass diese heute als überwunden gelten. Ehmer resümierte: "Die Pockenschutzimpfungen wurden damit zum ersten Beispiel einer gesamtstaatlich organisierten erfolgreichen Präventivmedizin." Bei der Bekämpfung der Cholera und auch bei der "Spanischen Grippe" 1918–1920 zeige sich aber, dass solche positiven Ansätze nicht automatisch fortgesetzt werden. Der Blick in die Geschichte mache hier, so Ehmer, "erstaunliche historische Kontinuitäten sichtbar".

 

Abschließend bündelte Ehmer historische und gegenwärtige Erfahrungen: Wir sehen die Effektivität eines gemeinsamen konsequenten Handelns, das durch die WHO global gut koordiniert sein könnte – sofern die Einzelstaaten kooperieren; auch sehen wir, dass Pandemien soziale Ungleichheit innerhalb von Gesellschaften und zwischen Gesellschaften verschärfen und das punktuelle "Panikzahlungen" für schwach entwickelte Gesundheitssysteme keine eine nachhaltige Entwicklung bringen; schließlich: wir erleben enormen sozialen, psychischen und emotionalen Belastungen durch die Isolationen im Lockdown – in diesem Sinne sei es eine Frage für die Zukunft, die richtige Balance zwischen Isolation und Nähe zu finden.

 

em. o. Univ.-Prof. Dr. Josef Ehmer

em. o. Univ.-Prof. Dr. Josef Ehmer.  © Hermine Eder / KU Linz

 

Gott in der Krise – ein theologischer Blick

 

Aus einer ganz anderen Richtung näherte sich Isabella Guanzini, Professorin der Fundamentaltheologie an der Katholischen Privat-Universität Linz, der Frage, was wir aus der aktuellen Krise – wo das soziale und öffentliche Leben "ins Exil" gegangen sei – für Lehren ziehen und wie wir auch angesichts einer Krise Hoffnung und Zuversicht gewinnen können.

 

Eine Krise sei ein Einbruch des Unvorhersehbaren in unserer Normalität und damit eine Erschütterung symbolischer Ordnungen. Im biblischen Urbild des Bootes im stürmischen Meer komme diese menschliche Grunderfahrung – auch als "fundamentaler Ort einer Gottesbegegnung" – zum Ausdruck. Wir stünden heute auf schwankendem Boden, in einem Zwischenreich, werden von Ängsten und Verlustgefühlen beherrscht. Beginne aber das wahre Lernen nicht dort, wo hergebrachte Selbst- und Weltdeutungen nicht mehr passen? Noch können wir nicht sagen, was diese Krise für uns bedeutet, denn was sie sein wird, hängt davon ab, wie wir der Krise begegnen. Die dabei aufspringende Gottesfrage wird dann notwendigerweise zu einer anthropologischen Frage.

 

Gegen vorschnelle Antworten auf die Krise skizzierte Guanzini zwei theologische Einsprüche: Zum einen gegen die Annahme, die Pandemie sei eine Strafe Gottes. In einer solchen "rationalen" Erklärung werde Gott zum bloßen "Lückenbüßer". Ausgehend von Gedanken Dietrich Bonhoeffers und Michel de Certeaus und aus der Lektüre von Camus’ Die Pest entwarf Guanzini ein anderes Gottesbild, wie es in Jesus sichtbar wird. Der zweite Protest betrifft die Vorstellung, alles beherrschen zu können und unverletzbar zu sein. Dieses Ideal der Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit habe die Pandemie endgültig verabschiedet. Es sei heute die Zeit gekommen, in welcher wir – auch in der Kirche – den Mut haben müssen, unsere geteilte Fragilität anzuerkennen. Und gerade auch daraus können neue Formen der Solidarität oder auch der Liturgie entstehen.

 

Glaube habe auch etwas mit Widerstand gegen Verlassenheit und Misstrauen zu tun, mit der Gewissheit, dass wir jedes Mal in der Lage waren, Krisen gemeinsam zu überwinden. Mit diesem Mut können wir beginnen, "tastend in der Finsternis vorwärts zu gehen".

 

Univ.-Prof.in Dr.in Isabella Guanzini

Univ.-Prof.in Dr.in Isabella Guanzini. © Hermine Eder / KU Linz

 

Statements der Kirchenvertreter

 

Für Bischof Andrej Cilerdzic, Bischof der Serbisch-Orthodoxen Kirche der Diözesen Österreich, Schweiz, Italien und Malta sowie Vertreter des Ökumenischen Rats der Kirchen in Österreich, zeigte sich in der Krise, dass die Kirchen "aus der Not eine Tugend machen" konnten, indem sie durch besondere Gottesdienstregelungen zur Eindämmung der Pandemie einen Beitrag leisteten. Dabei stützten sich die Kirchen auch untereinander in ihrer Solidarität. Dass aus dieser Beteiligung der Kirchen etwas Gutes entstanden ist, erlebte Bischof Andrej auch in ganz persönlichen Begegnungen, etwa bei seiner Impfung, als eine Wartende betonte, wie wichtig es ihr sei, dass "auch der Pope" da ist.

 

Superintendent Gerold Lehner (Evangelische Kirche A. B. Oberösterreich) betonte das bewusste Voneinander-Lernen, mit dem man auch der eigenen „Blase“ entkommen könne. Das so gemeinsam Erlebte gelte es auch über die Krise hinaus fruchtbar zu machen. Eine Erfahrung sei, dass in Gemeinden mit einem starken Kern das Miteinander nie abgerissen sei. Kritisch müsse man sich aber auch fragen, ob wir alte Menschen, unsere Kranken und Sterbenden nicht zu sehr alleine gelassen haben. Denn man dürfe sich zwar schützen, aber – mit Luther gesprochen – findet dieser Selbstschutz, dieses "Fliehen" darin eine Grenze, wo wir für den Anderen Verantwortung tragen.

 

Severin Lederhilger OPraem, Generalvikar der Diözese Linz und Professor für Kirchenrecht an der KU Linz, hielt fest, dass wir nicht eigentlich schon aus der Krise lernen können, sondern vielmehr mit der Krise leben lernen müssen. Verschiedene Felder fordern die Kirchen dabei besonders heraus: etwa die Gottesfrage und ein neues Verständnisses mit Blick auf die Verletzbarkeit des Menschen – wie es Isabella Guanzini in ihrem Vortrag herausgearbeitet habe; Pastoral und Liturgie seien zu reflektieren und müssen sich neuen Erscheinungen stellen; drängend, auch abseits der Pandemie, sei die Frage ethischer Prioritäten, denn es gebe vielfältige krisenhafte Erscheinungen auch abseits der Pandemie; und schließlich stehe die Seelsorge vor Herausforderungen und sei vielfach gefordert.

 

Renate Bauinger, Superintendentialkuratorin der Evangelischen Kirche in Oberösterreich, wies in der Diskussion insbesondere auf die prekäre Lage von Kindern und Jugendlichen hin: Diese seien ohne Raum und Stimme, alleine gelassen auch mit verzweifelten Fragen des Glaubens: "Warum liebt mich Gott nicht mehr?", habe sie ein Mädchen gefragt. Hier müsse man sensible sein, Räume schaffen und Gesprächsangebote machen.

 

V. l.: Generalvikar Univ.-Prof. DDr. Severin Lederhilger OPraem (Katholische Kirche in Oberösterreich), Bischof Andrej Cilerdzic (Serbische Orthodoxe Kirche), Superintendentialkuratorin Mag.a Renate Bauinger und Superintendent Dr. Gerold Lehner (Evan

Kirchenvertreter*innen (v. l.): Generalvikar Univ.-Prof. DDr. Severin Lederhilger OPraem (Katholische Kirche in Oberösterreich), Bischof Andrej Cilerdzic (Serbische Orthodoxe Kirche), Superintendentialkuratorin Mag.a Renate Bauinger und Superintendent Dr. Gerold Lehner (Evangelische Kirche A.B. Oberösterreich). © Hermine Eder / KU Linz

 

Fazit: Einig war man sich darüber, dass die Kirchen nach wie vor eine Quelle sind, aus der man – insbesondere in der Krise – Kraft schöpfen könne. Sie können Wege aufzeigen, mit psychischen und emotionalen Belastungen umzugehen und Schwierigkeiten als Herausforderung zu verstehen. Gerade im Aushalten der Unsicherheit können Kirchen Zukunft offenhalten– indem sie das Wort Gottes als Lebensoption stark machen und in den Kirchen (er)leben lassen.

 

Die 22. Ökumenische Sommerakademie kann auf dem YouTube-Kanal der KU Linz abgerufen werden:

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Hermine Eder / KU Linz

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