Bischof Scheuer: "Ökumene ist kein Anhängsel in der Kirche"
Zwar gebe es quer durch die Geschichte des Christentums und der Konfessionen Konsens und Dissens, angefangen von widersprüchlichen Auffassungen zu Homosexualität, Asyl, Frieden und Krieg. Dennoch gebe es "mehr, was uns untereinander verbindet, als was uns trennt", so der Diözesanbischof in seiner Botschaft zur Gebetswoche.
Die ökumenische Arbeit benötige "vertrauensbildende Maßnahmen", appellierte Scheuer, der innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz für den Bereich Ökumene zuständig ist. "Sich im Licht des anderen zu erkennen und sich vom anderen befragen zu lassen, stärkt und weitet die eigene Position, macht antwort- und beziehungsfähig." Die jährlich im Jänner stattfindende Ökumene-Woche gehört hier dazu; weltweit kommen dabei Christen aus unterschiedlichen Konfessionen zusammen, um gemeinsam für die Einheit der Christenheit zu beten, heuer allerdings eingeschränkt wegen der Corona-Schutzmaßnahmen.
Aktuell gäbe es gleichzeitig "Einheit und Trennung, Gemeinsamkeit und Gegensätze", und die Unterschiede seien von theologischer, spiritueller, politischer, sozialer und kultureller Natur, hielt Scheuer fest. Reine Ideale, bloße Postulate oder auch Beschwörungsformeln brächten in der Ökumene nichts weiter. Um Spaltung und Trennung zu überwinden, müsse man "ganz von vorne beginnen", konstatierte der Bischof. Dazu müssten auch die Religionsgründer, Offenbarer, Propheten und Heilige bezüglich der Themen Krieg, Frieden, Gewalt und Feindesliebe befragt werden - "und zwar im Hinblick auf die Lehre, wie auch im Hinblick auf die Praxis".
Reflexion kirchlicher Gewaltgeschichte
Kritisch zu hinterfragen seien auch "unheilige Allianzen" zwischen Glauben, Kirche und Religion mit bestimmten Nationen, Ethnien oder Ideologien, fuhr Scheuer fort. Es gelte die "humanisierenden Kräfte" der Religionen und Kirchen zu heben. Der Linzer Diözesanbischof erinnerte dabei an die christliche Friedensbotschaft, die Gewalt "nie realitätsfern geleugnet oder überspielt" habe, sondern Gewaltzusammenhänge entschleiert, zu beantworten und zu überwinden versucht habe. "In dieser Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkritik und im wechselseitigen Vergeben können die Religionen, ohne die eigene Gewaltgeschichte zu verleugnen, eine Vorbildfunktion einnehmen", wies Scheuer hin.
Coronabedingt gelte es aktuell auch "Fragen zu Kirche(n) und Staat, Glaube und weltliche Obrigkeit, staatbürgerliche Pflichten von Christen, zur Religionsfreiheit, aber auch Fragen der Bioethik, wie die Euthanasiedebatte, Recht auf Abtreibung oder 'Triage'" auszuloten, erklärte Scheuer in Richtung der unterschiedlichen Konfessionen. Auch Verschwörungstheorien und Schuldzuweisungen müssten thematisiert werden. Gemeinsam seien allen Konfessionen und kirchlichen Bekenntnisgemeinschaften auch die Suche nach Antworten auf Probleme wie Arbeitslosigkeit und Klimawandel sowie Fragen nach der Generationengerechtigkeit.
Als Gläubige seien die Christen herausgefordert, zu den Quellen zurückzukehren und sich auf Wesentliche zu konzentrieren, schrieb Scheuer. Er nannte hier etwa die Anbetung Gottes und die Nächstenliebe, "damit nicht einige Aspekte unserer Lehren, aus dem Zusammenhang gerissen, am Ende Formen der Verachtung, des Hasses, der Fremdenfeindlichkeit und der Ablehnung des anderen fördern". Scheuer weiter: "Die Wahrheit ist, dass Gewalt keinerlei Grundlage in den fundamentalen religiösen Überzeugungen findet, sondern nur in deren Verformungen."
Gedanken von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen