Dienstag 16. April 2024

Pastoraltheologe Christian Spieß kritisiert Khols "Nächstenliebe-Interpretationen"

Christian Spieß

Der christliche Sozialwissenschaftler, Pastoraltheologe und Professor der Katholischen Privat-Universität Linz (KU Linz) Dr. Christian Spieß nimmt Stellung zu den "Nächstenliebe-Interpretationen" des Bundespräsidentschaftskandidaten Andreas Khol.

Es gehört zu den – natürlich unbedingt begrüßenswerten – Eigenheiten des politischen Diskurses in der Republik, dass Auffassungen und Meinungen teilweise äußerst kontrovers zueinander stehen. Auch dass dabei auf hehre moralische, manchmal sogar religiöse Motive Bezug genommen wird, gehört zu den rhetorischen Gepflogenheiten öffentlicher Debatten. Dass dies in unseren Tagen beim Thema Migrations- und Flüchtlingspolitik besonders deutlich zu Tage tritt, ist kein Wunder. Auch dass es dabei weite Spielräume für die Interpretation politischer und religiöser Motive gibt, ist einer offenen und demokratischen Auseinandersetzung geschuldet. Angesichts aktueller Entwicklungen und Äußerungen im Feld der Asylpolitik erscheint es aber notwendig, die Bedeutung von drei zentralen sozialethischen Orientierungen des Christentums in Erinnerung zu rufen: Nächstenliebe, Solidarität und Gerechtigkeit.

 

Khols Aussage verlangt Widerspruch


Die jüngsten Einlassungen des Präsidentschaftskandidaten Andreas Khol zur Nächstenliebe können nicht unwidersprochen bleiben. Khol beruft sich auf Motive der christlichen Ethik – und begibt sich zugleich in einen scharfen Kontrast zu diesen Motiven. „Ich bin ein Freund der Nächstenliebe“, wird Khol in der Presse vom 15. Jänner 2015 zitiert; und weiter: „Sie beginnt aber im eigenen Haus. Sie darf keine Fernstenliebe werden. Charity begins at home“, formuliert der Hofburg-Kandidat bezeichnenderweise in englischer Sprache.

 

Bibel: Nächstenliebe als Richtschnur

 

Es wird ein Bezug zu einem der schlechthin zentralen jüdisch-christlichen Motive hergestellt. Die Nächstenliebe findet sich in der hebräischen Bibel ebenso wie im Neuen Testament als ethische Richtschnur. Jesus antwortet im Lukasevangelium (Lk 10,25-37) auf die Frage eines Schriftgelehrten, wer denn der „Nächste“ im Sinne des Gebotes „Deinen Nächsten sollst Du lieben wie Dich selbst“ sei, mit einer der berühmtesten – und gewiss auch Khol bekannten – Beispielerzählungen des Neuen Testaments überhaupt.

 

Der christliche Sozialwissenschaftler und Pastoraltheologie Christian Spieß hält nichts von Andreas Khols "Charity begins at home." © Katholische Privatuniversität Linz

 

Wer Hilfe braucht ist "der Nächste"

 

Während ein Priester und ein Levit an einem auf dem Weg zwischen Jerusalem und Jericho unter die Räuber gefallenen, ausgeplünderten und schwer verletzt zurückgelassenen Menschen vorübergehen, nimmt sich ein Mann aus Samarien dieses Menschen an, versorgt ihn und bringt ihn in rettende Sicherheit. Die Frage, die Jesus schließlich stellt, lautet: „Wer ist dem unter die Räuber gefallenen zum Nächsten geworden?“ Selbst also, wenn die „Nächsten“ herkömmlich die Volksgenossen, die Landsleute sind, geht es hier um etwas grundlegend anderes (es wird ja überhaupt nicht gesagt, welcher Herkunft oder Abstammung der unter die Räuber gefallene ist): Durch die fürsorgende Tat und durch die Rettung in die schützende Umgebung des Gasthauses erweist sich der Helfende als der Nächste des Überfallenen. Der Handelnde also wird zum Nächsten dessen, der der Hilfe bedarf. Dieses Verständnis von Nächstenliebe stellt Andreas Khol mit seiner Interpretation – „wir müssen zuerst auf unsere Leutʼ schauen“ – auf den Kopf.

 

"Es ist vielmehr das christliche und menschliche Gebot der Stunde, dass sich Österreicher und Europäer als die Nächsten derer erweisen, die unter die Räuber gefallen sind – und ihnen Schutz und Asyl gewähren." Christan Spieß

 

Ängste: ernstnehmen ja, schüren nein


Dem Präsidentschaftskandidaten ist selbstverständlich zuzustimmen in seiner Auffassung, dass die Ängste der Österreicherinnen und Österreicher sehr ernst zu nehmen sind. Dazu gehört aber auch, dass man diese Ängste nicht zusätzlich mit Ressentiments gegenüber fremden Menschen, die in Österreich Schutz suchen, schürt. Schon gar nicht sollte man sich dabei auf das christliche Gebot der Nächstenliebe berufen. Es ist vielmehr das christliche und menschliche Gebot der Stunde, dass sich Österreicher und Europäer als die Nächsten derer erweisen, die unter die Räuber gefallen sind – und ihnen Schutz und Asyl gewähren.

 

Solidarität: Nächstenliebe mal Verpflichtung

 

Das Motiv der Solidarität kommt in der gegenwärtigen Debatte in zwei Hinsichten zur Sprache: Zum einen geht es um die Solidarität der BürgerInnen der wohlhabenden europäischen Länder mit den Menschen, die sich auf der Flucht befinden. Zum anderen geht es um die Solidarität der europäischen Nationalstaaten untereinander. Die Solidarität der BürgerInnen mit den Schutz suchenden Menschen ist zu einem großen Teil sehr ausgeprägt – die Caritas und andere Nichtregierungsorganisationen, Pfarren und andere engagierte Gruppen leben in beispielhafter und beeindruckender Weise Solidarität mit den Flüchtenden; zu einem anderen Teil aber zeigen sich auch fremdenfeindliche Ausbrüche. Solidarität ist nach christlichem Verständnis nie nur reine Nächstenliebe und freiwilliges bürgerschaftliches Engagement, sondern auch gegenseitige Verpflichtung, die sich beispielsweise in den Solidarsystemen des Sozialstaats zeigt.

 

"Solidarität ist nach christlichem Verständnis nie nur reine Nächstenliebe und freiwilliges bürgerschaftliches Engagement, sondern auch gegenseitige Verpflichtung, die sich beispielsweise in den Solidarsystemen des Sozialstaats zeigt." Christian Spieß

 

Unterstützung für Unterstützer fehlt

 

Insoweit überrascht es, dass der jüngste Asylgipfel zwar eine restriktive Asylpolitik beschlossen hat, nicht aber weiter reichende Unterstützungsmaßnahmen für Kommunen, die Asylwerber aufnehmen, oder für Organisationen, die die Arbeit der Sorge um die Flüchtenden in großem Umfang übernehmen. Zugleich wird Solidarität angemahnt, wenn es um die Aufnahme von Asylwerbern durch die Nationalstaaten Europas geht. Zweifellos ist es ein Ärgernis, dass sich viele Staaten soweit irgend möglich gegen die Zuwanderung von Flüchtenden abschotten.

 

Europäische Solidarität gefragt

 

Europäische Solidarität wäre hier dringend geboten. Gleichwohl ist es fragwürdig, auf die fehlende Solidarität anderer Nationalstaaten mit jener Politik zu reagieren, die man den anderen ja gerade zum Vorwurf macht, und nun selbst die Grenzen zu schließen oder die Einwanderung von Asylsuchenden massiv zu begrenzen. Zumal man nicht im Ernst einerseits transnationale Solidarität einfordern und diese Solidarität andererseits Mittelmeeranrainerstaaten wie insbesondere Griechenland verweigern kann, denen man die Last der Zuwanderung durch Flucht letztlich überlassen wird.

 

Obergrenze: Verstoß gegen Menschenrecht

 

Die nunmehr als „Richtwert“ beschlossene Obergrenze für die Aufnahme von Asylwerbern schließlich ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gerechtigkeit, insoweit das Menschenrecht auf ein Asylbegehren in Frage gestellt wird, das nicht nur in der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Art. 14) verbrieft ist. Dieses Menschenrecht wird, wie auch immer sich die PolitikerInnen winden, nicht respektiert, wenn es nur einer festgelegten Anzahl von Personen eingeräumt wird.

 

Kurios erscheint dabei, dass den verantwortlichen PolitikerInnen kein Vorschlag zu entlocken ist, wie sie sich die Realisierung des Richtwertes vorstellen. Die bisweilen – sogar von der Bundesinnenministerin – geäußerte Idee, Asylverfahren über Jahre hinweg zu verschleppen, ist schlicht skandalös: Bisher gab es einen breiten Konsens darüber, dass die Asylverfahren beschleunigt werden müssen, um möglichst zügig asylberechtigte von nicht asylberechtigten Personen unterscheiden zu können. Dies wird durch die Verschleppungsstrategie umgedreht: Nicht mehr das Kriterium der Verfolgung (wie in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie selbstverständlich auch im österreichischen Asylrecht) soll maßgeblich dafür sein, ob Asylsuchende in Österreich bleiben dürfen oder nicht, sondern alle, gleich ob verfolgt oder nicht verfolgt, sollen unterschiedslos von einem Asylansuchen abgeschreckt werden.


Auch Menschenrechte sind grundsätzlich natürlich limitiert; sie finden ihre Grenze in den Menschenrechten der anderen. Wenn durch die Anwendung des Rechts der Flüchtenden auf Asyl die Menschenrechte anderer in Österreich lebender Personen beeinträchtigt werden, ist auch eine Begrenzung des Asylrechts denkbar. Das aber dürfte derzeit in Österreich keineswegs der Fall sein. Wenn PolikerInnen, die Richtwerte und Obergrenzen für Menschenrechte beschließen, das anders sehen, sollten sie präzis benennen, welche Menschenrechte der ÖsterreicherInnen sie gegenwärtig für akut gefährdet halten.

 

Mahnmal Geschichte: Österreicher mussten fliehen


Auch aus Österreich mussten in dunklen Phasen der Geschichte Menschen fliehen. Das sollte nicht vergessen werden. Österreich hat aber vor allem eine stolze Tradition der Aufnahme von Flüchtenden und anderen Zuwandernden, auch in der Zweiten Republik, sei es die Migration aus Jugoslawien, sei es die Flucht aus Ungarn 1956 oder aus der Tschechoslowakei 1968. In den letzten Monaten hat es so ausgesehen, als knüpfe Österreich an diese Tradition an. Die neueste Trendwende in der Asylpolitik deutet in eine andere Richtung.

 

Univ.-Prof. Dr. Christian Spieß, Katholische Privat-Universität Linz

 

 

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