Donnerstag 25. April 2024

LEBENSFORMEN. Zum veränderten Verhältnis von Familie und Kirche

Eröffnung Dies Academicus 2014 © KTU/Eder

Der rasante Wandel der Gesellschaft zeigt sich im Bereich der Technologie und im Bereich familiarar Lebensformen und Beziehungen. So begann Rektor Prof. Dr. Franz Gruber den Dies Academicus der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz am 18. November 2014 zum Thema „Lebensformen. Zum veränderten Verhältnis von Gott und Liebe im 21. Jahrhundert“.

Ausgehend von einer soziologischen Standortbestimmung – die Familie wird aktiv hergestellt („doing familiy“) – durch Prof.in. Dr.in Helma Lutz (Universität Frankfurt am Main) wurden beim heurigen Dies Academicus dann durchaus kontrovers kirchliche Themen angesprochen. Prof.in Dr.in Sabine Demel (Universität Regensburg) ging als Kirchenrechtlerin der Frage nach der Unauflösbarkeit der Ehe nach: „Kann die Kirche die Ehen vielleicht doch auflösen, nur sie weiß es noch nicht?“. Der Pastoraltheologe Prof. Dr. Rainer Bucher (Universität Graz) betrachtete die seelsorgliche Seite der gegenwärtigen Familienformen: „Verdunstet die kirchliche Plausibilität irreversibel?“ Und der Moraltheologe Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff (Universität Freiburg) definierte aktuelle moraltheologische Standpunkte: „Muss durch heutige wissenschaftliche Erkenntnisse die derzeitige moraltheologische Ausgangsthese nicht bezweifelt und erweitert werden?“ In anschließenden Workshops wurde das Gehörte von den rund 200 Teilnehmenden am Dies Academicus vertieft.

 

Eröffnung Dies Academicus 2014 © KTU/Eder

Rektor Univ.-Prof. Dr. Franz Gruber bei der Eröffnungsansprache: von li: Generalvikar Univ.-Prof. DDr. Severin Lederhilger, Ehrensenator KommR Dr. Josef Kolmhofer, Vizebürgermeister Mag. Bernhard Baier, Diözesanbischof Dr. Ludwig Schwarz, Univ.-Prof. Dr. Rainer Bucher, Univ.-Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff, Univ.-Prof.in Dr.in Sabine Demel, Univ.-Prof.in Dr.in. Helma Lutz, Univ.-Prof.in Dr.in Hildegard Wustmans, Gudrun Becker © KTU/Eder

 

 

Doing Familiy: Familien werden heute hergestellt

 

Was wird heute soziologisch unter Familie verstanden? Prof.in Helma Lutz musste feststellen, dass es keinen Konsens über den Begriff Familie gibt. Die Lebenspraxis bewegt sich heute nicht in traditionellen Familienbildern, die sich nach wie vor an der bürgerlichen Familie von verheirateten Eltern mit ein oder zwei Kindern orientiert.

In den westlichen Ländern werden viele Ehen geschieden, die Anzahl der Patchworkfamilien steigt, „Transnationale Familien“, bei denen ein Elternteil im Ausland lebt und arbeitet, Regenbogenfamilien mit gleichgeschlechtlichen Eltern und Singlehaushalte sind gelebte Familienformen.

„Doing family“ nennt die Soziologie jenes Optionsmodell, wonach die Familie nicht mehr vom Formalen her definiert, sondern von den Beteiligten aktiv hergestellt wird.

Heute wird zwischen biologischer und sozialer Elternschaft unterschieden. Eheschließung ist nicht mehr Zwang, sondern Option. Liebe und Sexualität ist in der Realität nicht mehr auf Dauer angelegt (obwohl der Wunsch der Menschen danach groß ist). Es braucht viel Engagement, um eine Bindung aufrecht zu erhalten. Zudem brauchen Menschen heute neue Kompetenzen, um z. B. mit Scheidung umzugehen.

 

Prof.in Dr.in Helma Lutz © KTU/Eder

Prof.in Dr.in Helma Lutz © KTU/Eder

 

 

Ehe unauflösbar oder doch auflösbar?

 

„So absolut die kirchlichen Aussagen auch klingen, sie sind interpretierbar und entwicklungsfähig.“ Mit dieser Feststellung begann die Kirchenrechtlerin Prof.in Sabine Demel ihren Vortrag. Sie betrachtete intensiv die Kriterien für die Unauflösbarkeit der Ehe und fragte, ob die Kirche nicht doch die Ehen auflösen könne und ob die kirchliche Auflösung der Ehe eine Zulassung zur Zweit-Ehe sei.

Demel kommt zum Schluss, dass beide kirchlichen Grundsätze – die Unauflösbarkeit der Ehe und die Rechtsvollmacht der Kirche – miteinander verknüpft werden sollen und unter bestimmten Voraussetzungen die „Rechtswirksamkeit der ersten Ehe aufgehoben und eine zweite Ehe zugelassen werden soll“. Demel betont mehrmals, dass es hier immer um die Auflösung der „Rechtswirksamkeit der Ehe und nicht um die Ehe an sich“ gehe.

„Wenn die Kirche Kriterien für das Zustandekommen der Ehe definiert, dann muss sie auch die Auflösung der Ehe definieren können“, so Demel. „Dadurch würde meiner Meinung nach die bestehende Widersprüchlichkeit überwunden und die Seelennot vieler zivil geschiedener und wiederverheirateter Menschen gelindert werden.“

 

Prof.in Dr.in Sabine Demel © KTU/Eder
Prof.in Dr.in Sabine Demel © KTU/Eder

 

 

Kirche hat allen Menschen in allen Lebensformen ihre Hilfe und Kompetenz anzubieten

 

Provokant startet Prof. Rainer Bucher seinen Vortrag am Dies Academicus in Linz: „Das katholische Sexualregime ist zusammengebrochen.“ Ausgehend von den soziologischen Befunden fragt Bucher, ob die katholische Kirche auf dem Spielfeld der Lebensformen überhaupt noch mitspielt.


Bucher ortet eine Überhöhung der rechtlichen Normierung in der Kirche, eine fragwürdige Aufladung des kirchlichen Ehe- und Familiendiskurses und Probleme bei dem Sakramenten- und Gottesbegriff sowie beim Umgang mit dem Scheitern einer Beziehung.

Ausgehend von der Inspiration des Zweiten Vatikanischen Konzils kann Kirche heute nur Pastoral / Seelsorge anbieten, die die Sorgen, Freuden und Leiden von Menschen ernst nimmt und darauf eingeht. „Kaum wo ist das so präsent wie beim Thema Beziehungen“, so Bucher: „Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils hat allen Menschen in allen Beziehungsformen und Lebenssituationen ihre Hilfe und Kompetenz anzubieten.“

Dies geschehe schon in vielfacher Weise in den Diözesen durch Beratung, Seelsorge, Begleitung und Unterstützung: „Diese Orte verwirklichen bereits die primäre Solidarität.“ Trotzdem sei dringend die Frage zu stellen: „Wie hilft Kirche konkret bei 'doing family'?“ Es bleibe nicht aus, so Bucher, dass die Ehelehre der Kirche neu kontextualisiert werde und Treue, Nachkommen und Sakrament nicht als Ehezweck sondern als Erfahrungs- und Herausforderungsorte menschlicher Beziehung gesehen werden.

 

Prof. Dr. Rainer Bucher © KTU/Eder

Prof. Dr. Rainer Bucher © KTU/Eder

 

Menschen so schätzen, wie sie sind, und nicht an Bedingungen knüpfen

 

Der Moraltheologe Prof. Eberhard Schockenhoff benannte die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die bisherige Ausgangsthese der katholischen Kirche vom Naturzweck der menschlichen Sexualität zur Fortpflanzung ergänzen, bezweifeln und erweitern sollen. Sexualität und Beziehung seien als mehrdimensionale Bestimmungsfächer zu sehen und seien wesentlich zur eigenen Lebenserfüllung.

Schockenhoff ging auch auf die Beschäftigung der kirchlichen Moraltheologie mit gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen ein: „Kirche kann nur dann ihren Standpunkt glaubwürdig vertreten, wenn sie zuvor ganz klar gemacht hat, dass sie homosexuelle Menschen so schätzt, wie sie sind und nicht an Bedingungen knüpft. Kirche hat diese Grundhaltung noch lange nicht ausgeschöpft und müsse hier in Zukunft integrierend agieren.“

Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff © KTU/Eder

Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff © KTU/Eder

 

Schlussrunde Dies Academicus © KTU/Eder

Schlussrunde: von li: Univ.-Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff, Univ.-Prof.in Dr.in Sabine Demel, Univ.-Ass.in Mag.a Anita Schwantner (Moderation), Univ.-Prof.in Dr.in. Helma Lutz, Univ.-Prof. Dr. Rainer Bucher © KTU/Eder

 

 

Katholisch-Theologische Privatuniversität Linz

 

(gec)

 

 

 

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