Schönborn-Festmesse im Zeichen von Dank, Rechenschaft und Hoffnung

Bei der Festmesse im Beisein der Spitzen von Staat, Kirchen und Religionen im Stephansdom richtete der Kardinal in seiner Predigt "einen dankbaren Blick auf unser Land, auf Österreich", aber auch auf die "tieferen Quellen der Hoffnung" anhand der biblischen Texte der Feier. "Ohne das gute, gelebte Miteinander hätte ich nie meinen Dienst tun, mein Amt aktiv ausüben können, aus dem ich mich nun bald verabschiede", sagte der Kardinal rückblickend auf seine fast 30 Jahre als Wiener Erzbischof.
Einmal mehr plädierte der Kardinal eindringlich für ein "Gelingen des gesellschaftlichen Miteinanders von Eingesessenen und Dazugekommenen", das "entscheidend für unsere Zukunft" sei. Auf seine persönliche Lebensgeschichte als Flüchtlingskind verweisend, sagte der Kardinal: "Ein Herz für Flüchtlinge zu haben, gehört zur Menschlichkeit. Es kann auch unser Schicksal werden." Und an anderer Stelle betonte der Wiener Erzbischof: "Mitgefühl ist das, was erst eine Gesellschaft menschlich macht. Unbarmherzigkeit vergiftet die Gesellschaft und uns selbst." Am Ende der Predigt sagte der Kardinal eindringlich: "Mein größter Wunsch: Das gegenseitige Wohlwollen soll nie verloren gehen, auch wenn wir Konflikte haben."
Ehrliche Bilanz
"Ich empfinde heute besonders schmerzlich den Kontrast zwischen dem freudigen Fest des Dankes, das wir feiern, und dem großen Abschied, den in unserem Land so viele Menschen meist stillschweigend von der Kirche vollziehen, allein 2023 waren es 85.000", sagte der Kardinal eingangs in seiner betont nachdenklichen Predigt, in der er eine "ehrliche Bilanz" ziehen wolle. Auch er selbst schulde Gott gegenüber Rechenschaft über seinen Dienst. Nüchtern diagnostizierte Schönborn: "Wir nähern uns einem weit verbreiteten religiösen Analphabetismus", der aber auch eine Chance für ein neues Suchen nach Sinn und ein Entdecken des Glaubens sein könne.
Trotz der zahlreichen Kirchenaustritte sei es dennoch "seltsam", dass sich zwei Drittel der Bevölkerung "wünschen, dass Österreich weiter ein christliches Land bleibt. Wie soll das alles zusammengehen?" Und Schönborn weiter: Was bedeutet es, dass ganz Österreich, die Menschen dieses Landes, den Dom nach dem Krieg - trotz allgemeiner Armut - in so schneller Zeit wieder aufgebaut haben, fast gleich schnell, wie ganz Frankreich, das säkulare Land, seine vom Brand schwer betroffene Notre-Dame wieder aufgebaut hat? Was zeigt sich da an Hoffnung, an Lebendigkeit?"
Gutes Miteinander der Religionen
Vor diesem Hintergrund empfahl der Wiener Erzbischof eine Grundhaltung der Dankbarkeit: "Danken wir, dass wir in Frieden leben dürfen. Es ist keine Selbstverständlichkeit." In einem weiteren Teil der Predigt betonte er: "Dankbar bin ich, dass in Österreich ein so gutes Miteinander der Religionen herrscht. Auch das ist nicht selbstverständlich." Es sei die Frucht ständigen Bemühens um gegenseitige Achtung und Wertschätzung. "Es ist auch das Ergebnis einer außerordentlich guten Religionsgesetzgebung."
Eine neuere Studie des ORF über Religion in Österreich habe ein "überraschendes und erfreuliches Ergebnis" gezeigt, sagte Schönborn: "ein neues, stärkeres religiöses Interesse bei der jungen Generation". "Ganz überraschend ist es nicht, wenn wir ernst nehmen, dass in jedem Menschenherzen die Suche nach Sinn und Erfüllung lebt", so der Kardinal, der davon sprach, "Glauben als einen persönlichen Weg zu entdecken". Davon berichte immer wieder die Bibel, erinnerte Schönborn unter Verweis auf das Tagesevangelium von der Berufung des Levi, und auch er könne aufgrund seiner Lebensgeschichte bezeugen: Der Ruf Jesu Christi "Folge mir nach" habe bis heute sein Leben bestimmt. Und er sei überzeugt: "Das ist die unerschöpfliche Ressource, aus der der Glaube sich in allen Generationen neu und frisch erweist. Sonst wäre er längst erloschen, an seinen Traditionen und Institutionen erstarrt, erstickt."
Eine ehrliche und berührende Bilanz zog Kardinal Christoph Schönborn in der Predigt beim Dankgottesdienst im Stephansdom. © Erzdiözese Wien/Schönlaub
"Unverbesserlich hoffnungsvoll"
Ein Glauben in der Nachfolge Jesu Christ führe auch immer in eine Gemeinschaft, hielt der Kardinal fest. Zum Wesen der Kirche gehöre von Anfang an, dass sie nie homogen sei, sondern sehr unterschiedliche Gruppe umfasse. Schönborn: "In den 70 Jahren meines bewussten Lebens in der Kirche habe ich eine große Bandbreite erlebt, das spannende, oft spannungsreiche Miteinander großer Unterschiede. Ich habe - vielleicht anders als andere - die Kirche als große Weite erlebt."
Zum christlichen Glaube gehöre aber auch das Wissen darum, dass "Jesu nicht gekommen ist, um Gerechte zu rufen, sondern Sündern". Jesus habe nicht moralisiert und nicht gerichtet. "Die Sünde benennen zu können, ohne zu verurteilen und zu richten, das ist wohl die tiefste Quelle der Hoffnung", sagte der Kardinal und in diesem Sinn sei er "unverbesserlich hoffnungsvoll" auch im Blick auf die von ihm vor Gott geforderte Rechenschaft: "Vor ihm liegen offen mein Bemühen und meine Fehler, meine Sünden, die Er kennt, und mein Bemühen. Aber ich brauche Gott nicht zu fürchten: 'Wir haben ja Jesus, den Hohepriester, der mitfühlen kann mit unseren Schwächen'", so der Kardinal den Hebräerbrief zitierend.
"Pontifex austriacus": Van der Bellen würdigt Schönborn als Brückenbauer
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat Kardinal Christoph Schönborn als Brückenbauer in Religion, Gesellschaft und Politik gewürdigt. In seiner Ansprache am Ende des Dankgottesdienstes am 18. Jänner 2025 im Stephansdom mit und für den Wiener Erzbischof bezeichnete das Staatsoberhaupt den bald 80-jährigen Kardinal als "Pontifex austriacus" und löstet damit spontanen Applaus aus. Van der Bellen wörtlich: "Sie sind ein Mann des Zuhörens, ein Mann des Dialogs, ein Mann des Friedens."
Das rund 30-jährige Wirken Schönborns als Wiener Erzbischof sei eine "beeindruckende Zeitspanne", sagte der Bundespräsident und hob das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche hervor. "Wann immer nötig, standen Sie auf Seite der Schwachen, der Ausgegrenzten, der Benachteiligten. Nicht immer zur Freude der Mächtigen", so Van der Bellen.
"Ihr Amtsantritt war gewiss kein einfacher", erinnerte das Staatsoberhaupt an das Jahr 1995 und die "Affäre Groer", die damals Kirche und Gesellschaft schwer belastet habe. Schönborn habe 1996 als Wiener Erzbischof mit der Einrichtung einer "Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche" und später 2010 als Initiator der Unabhängigen Opferschutzkommission mit Waltraud Klasnic an der Spitze "innerkirchlich weltweit Pionierarbeit geleistet". Van der Bellen resümierend: "Insgesamt haben Sie durch Ihr Wirken schließlich das Kirchenschiff aus rauen Gewässern in ruhigere See geführt."
Ausdrücklich erwähnte der Bundespräsident Schönborns Initiativen im ökumenischen, aber auch im interreligiösen Dialog und erinnerte an den Besuch des Wiener Kardinals im Iran 2001 oder die Vollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz unter Schönborns Vorsitz 2007 in Israel.
"Pastorale Höhepunkte Ihrer Zeit als Kardinal waren gewiss die beiden Papstbesuche: 1998 Johannes Paul II. und 2007 Benedikt XVI.", so der Bundespräsident, der weiter ausführte: "Einen europäischen Akzent setzten Sie 2004 mit dem Mitteleuropäischen Katholikentag in Mariazell." Dieser habe die Freude über die endgültige Überwindung des "Eisernen Vorhangs" und die mit der EU-Osterweiterung geglückte Vereinigung Europas ausgedrückt. Diese politische Botschaft sei durch die Präsenz des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi und die Anwesenheit von Staatspräsidenten beteiligter Länder unterstrichen worden.
Kardinal Schönborn habe sich immer für Menschen eingesetzt, die am Rande stehen. "Entsprechend den Werten des Evangeliums: Mitgefühl, Nächstenliebe, Sorge für die Armen, Zuwendung zu den Notleidenden", so der Bundespräsident, der daran erinnerte, dass der Wiener Erzbischof selbst Flüchtlinge aufgenommen und immer wieder Asylsuchende unterstützt habe. "Und 2017 haben Sie in einem Gottesdienst hier im Dom der AIDS-Opfer gedacht und ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV/Aids gehalten."
"Wann immer man Ihnen zuhört, ist auch spürbar: Sie sind ein Mann des Glaubens", bekannte der Bundespräsident und sagte: "Als großer Kommunikator geben Sie mit Freude Ihren Glauben weiter." Zudem sei der Kardinal als Theologe ein international hoch angesehener Intellektueller.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen würdigte Kardinal Christoph Schönborn als Brückenbauer in Religion, Gesellschaft und Politik. © Erzdiözese Wien/Schönlaub
Hirte und Krisenmanager
Seit mehr als drei Jahrzehnten prägt der Kardinal die katholische Kirche in Österreich und zählt als Theologe und Intellektueller zu den profiliertesten Vertretern der Weltkirche. Bei den Papstwahlen 2005 und 2013 galt Schönborn als möglicher Kandidat. Die Wiener Erzdiözese leitete der Dominikaner seit 1995; er übernahm sie auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals um seinen Vorgänger Kardinal Hans Hermann Groer (1919-2003). Auch als Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz (1998-2020) warb Schönborn als Hirte und Krisenmanager auf verschiedenen Ebenen um neues Vertrauen für die Kirche.
Immer wieder rückte der Wiener Erzbischof national und weltkirchlich ins Scheinwerferlicht: durch die Stadtmissions-Initiativen und den Mitteleuropäischen Katholikentag, seinen international anerkannten Umgang mit der Missbrauchskrise, in Debatten um das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft oder während der Corona-Krise. Eine wichtige Rolle erfüllte Schönborn als Vermittler und theologischer Interpret der Anliegen der Päpste Johannes Paul II., Franziskus und Benedikt XVI. Letzteren begrüßte der Kardinal 2007 zu einem Österreich-Besuch, ein Höhepunkt in seiner Amtszeit als Erzbischof. Auch im aktuellen Pontifikat ist Schönborn eine weltkirchlich beachtete Stimme - in Fragen der Synodalität genauso wie im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen.
Bekannt für seine Freundlichkeit und Eloquenz ist der polyglotte Kardinal gleichzeitig kein Freund der Schwarz-Weiß-Malerei. Oft abwägend und um Differenzierung bemüht zeigte er sich in seinen Bischofsjahren, nicht selten lieber "hinter den Kulissen" um Lösungen bemüht als in der breiten Öffentlichkeit. Die um Ausgleich bemühte Haltung legten ihm Kritiker mitunter als Schwäche aus. Er habe sich manchmal vielleicht zu diplomatisch und harmoniebedürftig gezeigt und es an "Standhaftigkeit, Mut und Klarheit" missen lassen, meinte Schönborn selbst nachdenklich als ihm die Stadt Wien jüngst die Ehrenbürgerwürde verlieh.
Das überwiegende Gefühl sei jedoch Dankbarkeit, bekräftigte der Kardinal einen Satz, den er schon vor einiger Zeit der Kirchenzeitung "Der Sonntag" sagte: Er gehe dem Ende seiner Amtszeit als Erzbischof entgegen, "mit dem Gefühl der Dankbarkeit, weil ich wunderbaren Menschen begegnet bin, weil ich Freude habe an den Gemeinden, dem Glauben, dem ich begegne - viel mehr als man vermutet".
Auch nach seiner Emeritierung will Schönborn als "Brückenbauer" tätig sein. In einem ORF-Interview sagte er zuletzt, er wolle dazu beitragen, dass in der aktuellen "aufgeregten Zeit" Gräben zwischen den Menschen überwunden werden. Viele überraschte er zudem mit einem sehr persönlichen Bekenntnis: "Ich liebe die Kirche. Ich verdanke ihr so unglaublich viel in meinem langen Leben, ich habe so viel gewonnen durch sie - und dass sie Fehler hat, das sehe ich an mir selber."