Samstag 15. Juni 2024

Präsentation der neuen Beiträge im Gedächtnisbuch Oberösterreich

Am 21. Mai 2024 fand um 18 Uhr die diesjährige Präsentation der neuen Beiträge des Gedächtnisbuches Oberösterreich im Schlossmuseum Linz statt. Das Projekt, das heuer sein fünfjähriges Jubiläum feiert, ermöglicht das Sichtbarmachen individueller Schicksale oberösterreichischer Menschen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden oder ihr Leben durch widerständiges Handeln gefährdeten.

Das Gedächtnisbuch Oberösterreich feiert mittlerweile sein fünfjähriges Jubiläum. Seit 2019 ist eine Sammlung von mittlerweile 48 Beiträgen entstanden. In diesen werden Personen gewürdigt, die im Nationalsozialismus aus den verschiedensten Gründen verfolgt waren oder durch widerständiges Handeln gegen das NS-Regime ihr Leben in Gefahr brachten. In einem jährlich stattfindenden Projektablauf werden Teilnehmer:innen zur historischen Recherche und Auseinandersetzung mit einer ausgewählten Biografie angeleitet. Ziel ist dabei die Gestaltung eines vierseitigen Porträts aus Text, Bild und/oder Dokumenten, das als bleibendes Zeugnis in das Gedächtnisbuch eingefügt wird. Diese „neuen Seiten“ des Gedächtnisbuches werden jeweils bei der jährlich stattfindenden feierlichen Präsentation aufgeschlagen. Ergebnis ist eine wachsende Sammlung von NS-Verfolgtenbiografien im regionalen Kontext Oberösterreichs, die im Medium Buch an zentralen Orten aufbewahrt und zugänglich sind. Das Gedächtnisbuch OÖ kann im Mariendom Linz und im Linzer Schlossmuseum aufgeschlagen werden.

 

Präsentation Gedächtnisbuch Oberösterreich im Schlossmuseum Linz

Insgesamt neun neue Beiträge für das Gedächtnisbuch Oberösterreich wurden vorgestellt. © Diözese Linz / Johannes Kienberger

 

Das großformatige Objekt wurde eigens von einer Welser Buchbinderei in Handarbeit für diesen Anlass angefertigt. Das Buch ist damit mit seiner langlebigen und kunstvollen Materialität das Medium für Geschichte und Erinnerung. Es ist Symbol für das Aufzubewahrende. Dadurch verweist es auch auf die zerstörerische Gewalt der Nationalsozialisten, die in den Bücherverbrennungen zum Ausdruck kam.

 

 

Die Präsentation im Schlossmuseum

 

Das Projektteam Andreas Schmoller und Verena Lorber (Franz und Franziska Jägerstätter Institut der KU Linz), Florian Schwanninger (Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim), Thomas Schlager-Weidinger (Private Pädagogische Hochschule der Diözese Linz) und Erna Putz (Jägerstätter-Biografin) konnten unter den über 100 Gästen an diesem Abend Diözesanbischof Manfred Scheuer, die Präsidentin der Kultusgemeinde Linz, Charlotte Hermann, Museumsleiter Alfred Weidinger und Laurin Holzleitner von der Kulturdirektion Oberösterreich begrüßen. Ein besonderer Gruß galt den Mitgliedern der Familie Callandreau, die eigens für die Präsentation aus Frankreich angereist waren. Unter der Moderation von Thomas Schlager-Weidinger stellten die Beitragenden die erarbeiteten Biografien vor und präsentierten anschließend die frisch eingefügten Seiten. Für die musikalische Umrahmung sorgte das Trio „Memorandum“ unter der Leitung von Andreas Schnee bestehend aus Martin Weiß (Klavier), Valentina Kutzarova (Mezzosopran) und Johannes Sonnberger (Violine).

 

Unter der Moderation von Thomas Schlager-Weidinger stellten die Beitragenden die erarbeiteten Biografien vor und präsentierten anschließend die frisch eingefügten Seiten.

Unter der Moderation von Thomas Schlager-Weidinger stellten die Beitragenden die erarbeiteten Biografien vor und präsentierten anschließend die frisch eingefügten Seiten. © Diözese Linz / Johannes Kienberger

 

 

Die Beiträge des Jahres 2024

 

In diesem Jahr setzte sich mehr als die Hälfte der Beitragenden mit Personen der eigenen Familiengeschichte auseinander. Der geografische Schwerpunkt der diesjährigen Beiträge liegt auf Bad Ischl, das – gemeinsam mit dem Salzkammergut – die Kulturhauptstadt Europas 2024 bildet.

 

Beiträge aus dem Familiengedächtnis

  • Isidor Blau: jüdisches Opfer, war als Pferdehändler in Wels tätig, inhaftiert im KZ Dachau und Buchenwald, entlassen und nach Großbritannien geflüchtet, Rückkehr nach Österreich nach 1945. Verena Lorber (Franz und Franziska Jägerstätter Institut) hat in gemeinsamer Spurensuche mit der Tochter June Nitsche den Beitrag verfasst.
  • Maria Eisenrauch: Opfer der NS-Euthanasie, wurde 1940 in Hartheim ermordet. Ihre Enkelin, Ulrike Hauer, war jahrzehntelang im Unwissen über das Schicksal der Großmutter und hat sich in einem langen Prozess (u. a. mit Unterstützung des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim) mit dem Tabu in der Familie auseinandergesetzt.
  • Ignaz und Karl Schuhmann: aus Alkoven. Ignaz gehörte zu einer Widerstandsgruppe, die durch Flugblätter und NS-kritische Aufschriften ins Visier der Gestapo geriet und mit Leopold Hilgarth verhaftet und 1945 im Wiener Landesgericht hingerichtet wurde; dessen Bruder Karl ist bekannt als Fotograf des einzigen Fotos von Schloss Hartheim mit dem aufgrund der Leichen-Verbrennung rauchenden Schornsteins. Wolfgang Schuhmann hat die Geschichte seines Vaters und seines Onkels rekonstruiert und damit ein wichtiges Kapitel des Widerstands dokumentiert.
  • Maria Heimel: Zeugin Jehovas aus dem Bezirk Braunau, die von 1939 bis 1945 im KZ Ravensbrück inhaftiert war. Enkelin Friederike Schneeberger würdigt sie anhand von persönlichen Erinnerungen und Familienerzählungen, die durch Recherchen ergänzt wurden.
  • Franz Brunner: von 1922 bis 1952 Pfarrer in Eggelsberg, Bezirk Braunau. Er wurde vom NS-Regime wegen NS-feindlicher Gesinnung verfolgt und für mehrere Jahre inhaftiert. Er wurde wegen Abhörens von Fremdsendern, Bereitstellen eines Frühstücks für französische Kriegsgefangene sowie konspirative Treffen einer Priestergruppe angeklagt. Michaela Quast-Neulinger, Assistenzprofessorin für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft an der Universität Innsbruck, hat sich aufgrund verwandtschaftlicher Verbindung mit dem Schicksal Brunners beschäftigt.

 

Schwerpunkt zur Kulturhauptstadt Bad Ischl

  • Theresia Pesendorfer: aus Bad Ischl. Sie organisierte als Mitglied des kommunistischen Widerstands Botengänge, Fluchthilfe, illegale Unterkünfte für entflohene Inhaftierte im Salzkammergut. Nina Höllinger, Historikerin im Zeitgeschichte Museum Ebensee und Kurt Lux, Initiator des Projektes „Stecknadeln der Erinnerung“, fassen das bewegte Leben von Theresia Pesendorfer zusammen.
  • Josef Plieseis: aus Bad Ischl. Plieseis war Mitglied des kommunistischen Widerstands, kämpfte in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg. Ende 1943 gelang ihm die Flucht aus dem KZ-Außenlager von Dachau bei Hallein. Daraufhin gründete er im Salzkammergut die Widerstandbewegung „Fred-Willy“, die bis Kriegsende nicht vom NS-Regime aufgespürt wurde. Michael Kurz, Historiker in Bad Goisern, beleuchtet das Leben und die umstrittene Erinnerung an Plieseis.

 

Weitere regionale Beiträge

  • Angela Wagner: aus Ried im Innkreis. Sie wurde wegen Fremdsenderhörens von Nachbarn denunziert und im Gefängnis Aichach bei Augsburg inhaftiert, ihre beiden Töchter in ein NS-Kinderheim verbracht. Gottfried Gansinger, Forscher der regionalen NS-Geschichte in Ried im Innkreis, hat durch Quellen und Zeitzeug:innengespräche das Schicksal der Familie beleuchtet.
  • Paulette Callandreau: Zwangsarbeiterin aus Frankreich, die im Kugellagerwerk in Münichholz/Steyr eingesetzt war und dort bei einem Bombardement 1944 ums Leben kam. An sie wird heute im Erinnerungsstollen der Gedenkstätte Steyr erinnert – Beitrag verfasst von Martin Hagmayr, Museum Arbeitswelt Steyr.

 

Die Beitragenden stellten die erarbeiteten Biografien vor und schlugen anschließend die jeweiligen Seiten im Gedächtnisbuch auf. © Diözese Linz /  Kienberger

 

 

Bischof Scheuer: „Zur Kultur des Trauerns gehört Wachhalten der Frage nach den Toten“

 

Bischof Manfred Scheuer betonte in seinem Schlusswort: „Gedächtnis des Leidens richtet sich primär auf ganz konkrete Menschen mit ihren Gesichtszügen, mit ihren Namen, mit ihrer Biografie, mit ihren Ecken und Kanten, mit ihrem Sinnentwurf. Im Vordergrund stehen die Opfer und Zeug:innen, die standgehalten haben, das Unrecht nicht mitmachen wollten, ihm Widerstand leisteten und die unschuldig Verfolgten geholfen haben.“ Ihm zufolge hätten wir die Pflicht, den Opfern zuzuhören. „Nur wer sich das eigene Leid von der Seele reden kann und wer es von anderen anerkannt erfährt, kann sich mit sich und mit den anderen versöhnen.“

 

Bischof Manfred Scheuer: „Zur Kultur des Trauerns gehört Wachhalten der Frage nach den Toten“

Bischof Manfred Scheuer: „Zur Kultur des Trauerns gehört Wachhalten der Frage nach den Toten“. © Diözese Linz / Johannes Kienberger

 

Zu einer Kultur des Trauerns und des Todes gehöre Scheuer zufolge das Wachhalten der Frage nach den Toten und ihrem Geschick. „Das ist mehr als im bekannten Satz von Immanuel Kant zum Ausdruck kommt: ,Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.‘ Christ:innen erinnern sich der Toten, nicht damit sie leben, sondern weil sie leben. Sie hoffen auf Leben und Gemeinschaft mit den Verstorbenen über den Tod hinaus“, erklärte Bischof Scheuer und unterstrich in Anlehnung an Gabriel Marcel: „Einen Menschen lieben, das heißt, zu ihm sagen: Du wirst nicht sterben.“

 

 

Besonderes Gedenkprojekt

 

Das Gedächtnisbuch ist ganzjährig im Linzer Mariendom und im Oberösterreichischen Landesmuseum aufgelegt. Eine digitale Fassung findet sich auf der Webseite des Jägerstätter-Instituts (www.ku-linz.at/gedaechtnisbuch_ooe).

 

Was sind die Kennzeichen dieses Projektes? Das Gedächtnisbuch Oberösterreich verbindet Wissenschaft und Forschung mit gelebter partizipativer Erinnerungskultur. Das Projekt führt geschichtlich bis in die kleinsten Dörfer des gesamten Bundeslandes Oberösterreich. Es umfasst damit die diversesten sozialen Gruppierungen, Altersgruppen, Weltanschauungen, Verfolgungsgründe, auch solche, deren Erinnerung teils bis in die Gegenwart eine Leerstelle darstellen.

 

Um Teil des Projekts zu werden und selbst eine Verfolgtenbiografie in das kollektive lokale Gedächtnis aufzunehmen, können sich Interessierte an das Franz und Franziska Jägerstätter Institut wenden (ffji@ku-linz.at).

 

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