Mauthausen-Gedenken und ökumenischer Gottesdienst
Die Befreiungsfeier, veranstaltet vom Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ), fand aufgrund der Covid-19-Pandemie in Form eines Gedenkzugs mit reduzierter Teilnehmerzahl vor Ort statt. Um in Vertretung aller, die nicht teilnehmen konnten, an die unzähligen Verstorbenen zu erinnern, fanden sich zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter des offiziellen Österreichs sowie internationale und nationale Delegationen und Jugendorganisationen ein. Tausende ZuseherInnen aus mehr als 20 Ländern der Welt wie Österreich, Deutschland, aber auch Israel, Philippinen und USA waren laut Veranstaltern virtuell mit dabei.
Fotos: © MKOE / Sebastian Philipp
Ökumenischer Gottesdienst mit Bischof Scheuer, Superintendent Lehner und Erzpriester Lapin
Mit einem ökumenischen Gottesdienst haben am Sonntagvormittag im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen die diesjährigen Gedenk- und Befreiungsfeier begonnen. Dem Gottesdienst in der Kapelle der KZ-Gedenkstätte standen Bischof Manfred Scheuer, der evangelische Superintendent Gerold Lehner und der orthodoxe Erzpriester Alexander Lapin vor.
Bischof Scheuer sprach am Beginn des Gottesdienstes klare Worte: "Wir beklagen und verurteilen in dieser Stunde die Angriffe auf Synagogen in den vergangenen Tagen. Wir beklagen und verurteilen alle Vorfälle des Antisemitismus in den vergangenen Wochen und Monaten, besonders auch jene, durch die das Leid der Opfer von Mauthausen verhöhnt und das Gedenken bei der Befreiungsfeier entwürdigt wurde." Und Scheuer fügte hinzu: "Wir beklagen die Gewalt und die Toten im Heiligen Land und beten um Frieden in Israel."
Der Gottesdienst stand – wie die gesamte Befreiungsfeier – unter dem Motto "Vernichtete Vielfalt". Die Nationalsozialisten hätten Millionen Menschen das Lebensrecht abgesprochen und Vielfalt verachtet, Fremde und Andersdenkende nur unter den Aspekten von Angleichung oder Unterwerfung geduldet, erinnerte Scheuer. Das Leben liege aber nicht in der Verfügbarkeit des Menschen, so der Bischof: "Es ist nicht unsere Großzügigkeit und unser Wohlwollen, durch die das Leben in seiner Unantastbarkeit begründet und gestiftet wird. Nicht durch uns wird Leben heilig, sondern durch Gott, der es schenkt."
Ökumenischer Gottesdienst aus der Kapelle des ehemaligen KZ Mauthausen. © Diözese Linz
In die gleiche Kerbe schlug auch Erzpriester Lapin, der Hass, Gewalt, Verachtung und Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen oder ganzen Völkern anprangerte. Nur allzu oft meine der Mensch, er sei selbst Gott, so Lapin, der zu Besinnung und Umkehr aufrief.
Superintendent Lehner verwies in seiner Predigt auf den Soziologen Hartmut Rosa, der u. a. die These vertritt, "dass für spätmoderne Subjekte die Welt schlechterdings zum Aggressionspunkt geworden ist. Alles, was erscheint, muss gewusst, beherrscht, erobert, nutzbar gemacht werden." Doch woher komme dieser Drang und diese Aggression, "die sich gegen alles richtet, keine Grenzen akzeptiert und jedes Tabu bricht?", fragte Lehner: "Wir stehen an einem Ort, wo sich diese Aggression in ihrer ganzen Grausamkeit konzentriert, und sich ungeschminkt gezeigt hat. Wir sprechen von einer entsetzlichen Einzigartigkeit, die nicht relativiert werden darf, und wir tun recht daran."
Diese Einzigartigkeit bringe aber auch eine Gefahr mit sich, warnte der Superintendent, "denn wir schließen dieses Grauen in eine vergangene Geschichte ein und meinen, dass wir uns dieses Grauen mit seiner Isolierung und Singularisierung auch vom Hals halten können. Dass wir uns zu ihm distanziert verhalten können als zu etwas Vergangenem und nicht Wiederholbarem."
"Wir sind nicht Gott"
Lehner verwies an die Worte Jesus an seine Jünger: "Wenn aber jener Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten." Und der Superintendent fügt hinzu: "Wahrheit sagt uns, wer wir sind. Und die Wahrheit sagt uns, wer wir nicht sind. Wir sind nicht Gott. Wir sind nicht diejenigen, die sich die Welt und die Menschen nach ihrem Bilde formen dürfen. Denn dann vergewaltigen wir die Menschen und die Welt." Die christliche Wahrheit lehre vielmehr, "die Menschen und die Welt zu sehen als ein Wunder, das wir nicht gemacht haben". Und Lehner fuhr fort: "Wir werden den Ungeist nicht bannen, wenn wir nicht bereit sind, dem Geist der Wahrheit zu lauschen. Der Lüge und dem Bösen kann man nicht widerstehen ohne die Wahrheit. Ja, wir müssen uns dem Grauen stellen. Ja, wir müssen hinschauen, auch wenn es uns schier die Luft abschnürt und uns das Böse zu erdrücken droht."
"Unsägliche Befreiung"
Die Befreiung des Konzentrationslagers sei eine "unsägliche Befreiung" gewesen, so der Superintendent weiter: "Wir wissen, dass die Geschichte vieler dieser gefangenen und gequälten Menschen nicht einfach in die Freiheit führte. Denn sie kamen in ein Land und sie kamen unter Menschen, die selbst nicht frei waren. Die verstrickt waren in das Geschehene. Die deshalb nicht frei waren, diese Menschen aus den Konzentrationslagern anzusehen, ihnen in die Augen zu schauen. Die wegschauen mussten, weil sie die Wahrheit über sich selbst nicht zu ertragen vermochten."
Dem Grauen standzuhalten sei das eine. Aber es brauche den Geist der Wahrheit, um das Grauen zu überwinden und um Heilung zu erfahren. "Wir werden den Ungeist nicht bannen, wenn wir nicht bereit sind, uns dem Geist der Wahrheit zuzuwenden", so Lehner.
Der ökumenische Wortgottesdienst in der KZ-Gedenkstätte konnte auch heuer aufgrund der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie nicht vor Ort mitgefeiert werden. Er wurde aber von ORF III und via Livestream (www.mkoe.at) übertragen. Die musikalische Gestaltung übernahm ein Quartett des Chores der Pfarre Mauthausen unter der Leitung von Alfred Hochedlinger.
Für ein "Niemals wieder" eintreten
Nach dem Gottesdienst begrüßten internationale Jugendliche und verlasen den Mauthausen Schwur in verschiedenen Sprachen. Anschließend folgten Willkommensworte des MKÖ-Vorsitzenden Willi Mernyi: "Wir haben von den Überlebenden den Auftrag bekommen, das Gedenken der Toten zu ehren und für ein 'Niemals wieder' einzutreten. Deshalb ist es uns und allen Anwesenden so wichtig, dass wir uns hier jedes Jahr um den Tag der Befreiung einfinden."
"Wir gedenken der Opfer und behalten sie in unserer Erinnerung. Und wir verstehen 'Niemals wieder' als Auftrag, entschieden gegen jedes Aufkeimen von Rassismus, Antisemitismus und Totalitarismus einzutreten. Der Respekt vor Andersdenkenden und die Achtung der Grund- und Freiheitsrechte sind die Grundfesten, auf denen unser Kontinent nach 1945 sukzessive geeint wurde", so auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich der Gedenk- und Befreiungsfeier.
In Kurzvideos kamen u. a. die KZ-Überlebenden Daniel Chanoch und Shaul Spielmann zu Wort. Als sichtbares Zeichen, dass das Vermächtnis der KZ-Überlebenden weitergereicht wurde, nahmen Schülerinnen und Schüler der Mittelschule Mauthausen an der Spitze des Gedenkzugs teil.
Am Samstag, 15. Mai 2021 fand in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zudem eine besondere Zeremonie statt. Der russische Botschafter in Österreich Dmitrii Liubinskii überreichte Anna Hackl stellvertretend für ihre Mutter Maria Langthaler den Tapferkeitsorden der Russischen Föderation. Die Familie Langthaler rettete zwei sowjetischen Kriegsgefangenen im Zuge der "Mühlviertler Menschenhatz" das Leben.
Jugendgedenkmarsch
Nachdem 2020 das Jugendgedenken ausschließlich online stattgefunden hatte, konnte heuer der Gedenkmarsch der Jugend- und Opferverbände wieder in der KZ Gedenkstätte Mauthausen in Präsenz stattfinden. Sowohl VertreterInnen der Katholischen Jungschar, wie Cosima Spieß und Samuel Haijes (ehrenamtliche Vorsitzende die Katholischen Jungschar Oberösterreich) als auch der Katholischen Jugend mit Christian Breitwieser (ehrenamtlicher Vorsitzender der Katholischen Jugend Oberösterreich) und Bernhard Birklbauer und Tobias Kirschner (ehrenamtliche Vorsitzende der Katholischen Jugend Österreich), nahmen daran teil.
Jugendgedenkmarsch. Fotos © Samuel Haijes
Der Jugendgedenkmarsch erstreckte sich dieses Jahr unter Einhaltung strenger Covid-Maßnahmen vom Steinbruch vorbei am Kinder- und Jugenddenkmal und schloss sich anschließend dem allgemeinen Gedenkzug an. Das Schwerpunktthema „Vernichtete Vielfalt“ wurde auch von den Jugendorganisationen aufgegriffen: Das gemeinsame Transparent „Wir haben Platz für Vielfalt: Elendslager evakuieren“, das den Jugendgedenkmarsch angeführt hat, stellt die aktuelle Forderung in den Vordergrund, Vielfalt als Ressource und Chance zu sehen und geflüchtete Menschen endlich aufzunehmen. Um in der Gegenwart couragiert handeln zu können, brauche es die aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Genau aus diesem Grund gedenken jedes Jahr zahlreiche Jugendorganisationen der schrecklichen Geschehnisse und fordern ein #niemalswieder, damit sich die Gräuel des Nationalsozialismus nie mehr wiederholen können.
Quellen: mkoe | kathpress | Katholische Jugend OÖ