Theologisch-praktische Quartalschrift: „Kapitalismus – Kultur und Kritik“
„WIR statt Gier – Wer einen anderen Kapitalismus will, muss das Mitgefühl fördern“1,, so lautete unlängst eine Schlagzeile im Zeit Online-Magazin. Wirtschaftsjournalist Uwe Jean Heuser votiert im entsprechenden Artikel zusammen mit alternativen Wirtschaftsexperten, Psychologen und Neurowissenschaftlern eindeutig: Nur ein umfassender Bewusstseins- bzw. Wertewandel weg vom Egoismus und einer Kultur der Ausbeutung hin zu mehr Rücksichtnahme auf sich selbst und den Mitmenschen verbunden mit strukturellen Änderungen in Organisationen könne „eine Gegenbewegung hin zu neuer Solidarität“2
erzeugen und Grundlegendes in der Weltgesellschaft wandeln. In Zeiten anhaltender Wirtschafts- und Finanzkrisen, weiter wachsender Ungleichheit zwischen Arm und Reich, immer neuen Schreckensmeldungen über bevorstehende Klimakatastrophen und einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft mit zur Selbstausbeutung neigenden Individuen steht der Kapitalismus neuerlich zur Disposition. Heuser will denselben nicht abschaffen, sondern ihn über veränderte Haltungen systemimmanent umgestalten. Damit setzt er an einem Punkt an, den schon Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts betont und den auch der Soziologe und Gesellschaftsforscher Wolfgang Streeck erneut herausgestellt hat. Der Kapitalismus „basierte weniger auf dem Wunsch, reich zu werden, als auf Selbstdisziplin, methodischem Vorgehen, verantwortlicher Verwaltung, nüchterner Hingabe an einen Beruf als Berufung und rationaler Lebensführung“. „Gier“, so Streeck mit Weber, habe es schon „immer und überall gegeben“. Sie sei gerade „kein Spezifikum des Kapitalismus“. Im Gegenteil sei sie „sogar geeignet, ihn zu untergraben“3
Ob derartige Konzepte aber auch in Zeiten des Neoliberalismus noch tragen, stellt er in Frage. All das zeigt: Kapitalismus, seine Kultur und seine Kritik, verfügt demnach über vielfältige Dimensionen, die ineinander verschränkt sind, und Stichworte wie Solidarität, gutes Leben, Haltungen und letztlich Ethik sind von entscheidender Bedeutung, wenn es um die Ausdeutung desselben geht.
Genau das hebt der Linzer Christliche Sozialwissenschaftler Christian Spieß im ersten Beitrag des aktuellen Heftes ausdrücklich hervor. Ökonomie, Ethik und Politik sind wechselseitig aufeinander verwiesen, und Unterschiede in Wirtschaftssystemen sind weniger strukturell bedingt als kulturell geprägt. Dadurch werden Wirtschaftsordnungen zur verantwortungsvollen „Gestaltungsaufgabe“, welche mit Werten aufgeladen werden müssen, die es auszuhandeln gilt.
Einseitigkeiten aber führen zu Schieflagen, wie der Salzburger Dogmatiker Alois Halbmayr am Beispiel des Geldes eindrücklich vor Augen führt. Selbiges bestimmt fast alle Bereiche des Lebens mit dem Vorteil großer Freiheit, aber auch mit der Gefahr zu verkennen, dass nicht alles, was gutes Lebens ausmache, mit Geld erworben werden könne. Demnach müssten alternative Lebensstile kreiert werden.
Neue Lebensstile und Haltungen können aber ebenfalls Gefahren in sich bergen und sich im Geist des Kapitalismus gegen den Menschen wenden, so der Berliner Sozialwissenschaftler David Bebnowski. Weil vielfach an die Stelle von Geld als Entlohnung für Arbeit bzw. von dauerhaften Arbeitsverträgen der Wert der Selbstverwirklichung getreten ist, diagnostiziert er krankmachende Leistungslogiken, die aus der Sache heraus schon nicht zur Zufriedenheit führen können.
Markus Blümel, politischer Erwachsenenbildner und Mitarbeiter der Katholischen Sozialakademie Österreichs, beschreibt in seinem Beitrag, welche vielfältigen und höchst interessanten, zum Teil preisgekrönten Projekte alternativer Wirtschafts- und Lebensformen es in Deutschland und Österreich schon gibt und welche Gestaltungskraft von der ihnen zugrunde liegenden solidarischen Ökonomie ausgehen kann.
Ähnliches zeigt der Missionswissenschaftler Klaus Vellguth für Indien. Vor dem Hintergrund einer ganz eigenen Kultur, in welcher die Schöpfung für die traditionellen Stammeskulturen nach wie vor identitätsstiftend und ihre Erhaltung schon deshalb dringend geboten ist, erläutert der Autor pastorale Praxiskonzepte als Rezeption der Enzyklika Laudato si’.
Der Beitrag vom Salzburger Exegeten Michael Ernst schließt den Kreis und führt am Beispiel der neutestamentlichen Zusammenhänge eindrücklich vor Augen, wie kulturell abhängig Wirtschaftssysteme sind und welche überraschend andere Ausdeutung sie jeweils erfahren können.
Die beiden freien Beiträge runden das Heft ab: Der Budweiser Pastoraltheologe und Pädagoge Michal Kaplánek beleuchtet die pastorale Situation Tschechiens einschließlich notwendiger Mentalitätsänderungen. Die Linzer Kirchenhistorikerin Ines Weber
eröffnet vor dem Hintergrund ihres eigenen Kirchengeschichtsverständnisses Perspektiven, wie geschichtliches Lehren und Lernen als ganzheitliche Bildung zur Personwerdung beitragen kann. Der Artikel legt zugleich das Profil der neuen Chefredakteurin offen.
1 http://www.zeit.de/2017/44/altruismus-empathie-mitgefuehl-kapitalismus [Abruf: 27.10.2017].
2 Ebd.
3 Wolfgang Streeck, Wie wird der Kapitalismus enden? Teil II, in: Blätter für deutsche internationale Politik 4 (2015), 109 –120, hier: 117.
Kirchenhistorikerin als neue Herausgeberin
Die Theologisch-praktische Quartalschrift wird von den ProfessorInnen der Katholischen Privat-Universität Linz (KU) herausgegeben. Seit der Ausgabe 1/2018 hat die Schrift eine neue Herausgeberin. Die Kirchenhistorikerin Univ.-Prof.in Dr.in Ines Weber hat dieses Amt von Ansgar Kreutzer übernommen, „der das ureigene Profil unserer Zeitschrift mit seiner inhaltlichen Offenheit, seiner zugewandten Kommunikation und seinem geschulten Blick
Chefredakteurin Univ.-Prof.in Dr.in Ines Weber / Katholische Privat-Universität Linz
NEU: Theologisch-praktische Quartalschrift jetzt auch als eBook und ePDF
Die Theologisch-Praktische Quartalschrift kann als Abonnement regelmäßig bezogen werden (4 Ausgaben im Jahr). Seit 2017 bietet der Verlag Pustet die Theologisch-Praktische Quartalschrift auch als eBook und ePDF an.
Veranstaltungstipp: Dienstag, 6. Februar 2018: Quartals.Gespräch „Kapitalismuskritik – Marx reloaded?“
Wissenschaft und Praxis im Gespräch.
Am 5. Mai 2018 jährt sich der Geburtstag des Philosophen und Kapitalismuskritikers Karl Marx zum 200. Mal. Marx‘ Theorien werden (derzeit wieder) kontrovers diskutiert, wenn es um Kulturen und Kritiken des Kapitalismus geht.
Beim Quartals.Gespräch diskutieren Mag.a Anna Wall-Strasser (Leiterin der Betriebsseelsorge OÖ) und Univ.-Prof. Dr. Christian Spieß (KU Linz).
Dienstag, 6. Februar 2018, 18.00 – 19.30 Uhr | Pfarrhof der Stadtpfarre Linz, Pfarrplatz 3
Eine Kooperationsveranstaltung von Theologisch-praktischer Quartalschrift (KU Linz), Personalentwicklung der Diözesanfinanzkammer und Pastoralamt der Diözese Linz, KBW-Treffpunkt Bildung, Bildungszentrum Haus der Frau.