Donnerstag 25. April 2024

Kirchen feierten am 17. Jänner den "Tag des Judentums"

Chanukkaleuchter

Mit Veranstaltungen in ganz Österreich gedachten die christlichen Kirchen ihrer jüdischen Wurzeln. Auch an der Katholischen Privat-Universität Linz fand am 19. Jänner 2016 ein Vortrag des Salzburger Historikers Prof. Albert Lichtblau zum Judentum statt.

Das Christentum ist in seinem Selbstverständnis wesentlich mit dem Judentum verbunden. Damit dies den ChristInnen immer deutlicher bewusst wird, hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) im Jahr 2000 den "Tag des Judentums" als Gedenktag im Kirchenjahr eingeführt. Dabei sollen sich die Christen in besonderer Weise ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden und zugleich des von ihnen an jüdischen Menschen und ihrem Glauben begangenen Unrechts in der Geschichte gedenken.

Die Initiative zum "Tag des Judentums" geht auf die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zurück. Auch in Italien, Polen und den Niederlanden wird der Tag des Judentums begangen. Das Datum für den Tag des Judentums ist bewusst gewählt: Den Geist dieses Tages sollen die Kirchen in die anschließende weltweite "Gebetswoche für die Einheit der Christen" (18. bis 25. Jänner) weiter tragen. Denn bei allen Trennungen der Christenheit untereinander sei allen Kirchen gemeinsam, dass sie im Judentum verwurzelt sind, so die Veranstalter.

 

In ganz Österreich fanden Veranstaltungen zum "Tag des Judentums" statt, so auch in Oberösterreich.

 

 

„Rückkehr oder Exil ... ? – Jüdische Überlebensgeschichten und die österreichische Nachkriegsgesellschaft“

 

Zum "Tag des Judentums" am Dienstag, 19. Jänner 2016 an der Katholischen Privat-Universität Linz konnte Ökumene-Referentin Mag.a Helga Schwarzinger namens der Veranstalter (Christlich-jüdisches Komitee OÖ; Referat für Ökumene und Weltreligionen; Katholische Privat-Universität; Forum St. Severin, Evangelisches Bildungswerk OÖ) viele Interessierte begrüßen, unter ihnen auch den neuen Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, der mit seinem Kommen seine Unterstützung für das Anliegen des Tages des Judentums dokumentierte, und Bischof em. Maximilian Aichern, der seit Bestehen des Tages des Judentums stets ein interessierter Besucher der Vorträge ist.

 

Ao. Univ.-Prof. Dr. Albert Lichtblau, Universität Salzburg, Fachbereich Geschichte und stellvertretender Leiter des Zentrums für jüdische Kulturgeschichte, referierte zum Thema „Rückkehr oder Exil...? – Jüdische Überlebensgeschichten und die österreichische Nachkriegsgesellschaft“.

 

Ao. Univ.-Prof. Dr. Albert Lichtblau. © KU Linz / Eder

 

Vor der NS-Zeit lebten in Österreich 191.000 Jüdinnen und Juden (2,83 % der Bevölkerung; Wien: 9,39 %; Linz: 0,60 %; Oberösterreich gesamt: 0,11 % der Bevölkerung; Stand: 1934). 65.000 österreichische Jüdinnen und Juden wurden von den Nazis ermordet, 126.000 wurden ab 1938 vertrieben. Sie wanderten in verschiedenste Länder aus, vor allem nach Großbritannien (24,4 %), USA (22,6 %), China (14,3 %) und Palästina (7,3 %). Ihre Flucht hatte oft viele Zwischenstationen und dauerte bisweilen mehrere Jahre. Ein allerletzter Ausweg war für viele aufgrund der offenen Zugangsbedingungen Shanghai. Leider wurden auch 17.000 Jüdinnen und Juden aus Österreich, die in andere europäische Länder geflüchtet waren, von den Nazis „eingeholt“, als diese Länder okkupiert wurden, und in Vernichtungslager deportiert.

 

Nach dem Ende des NS-Regimes gab es von Seiten des wiedererstandenen österreichischen Staates keine offizielle Einladung zur Rückkehr an die jüdischen Vertriebenen. (Und in den Exilländern propagierte lediglich die Kommunistische Partei eine Rückkehr!) Die Stimmung in Österreich dokumentiert eine Umfrage vom August 1946, in der sich 46 % der befragten ÖsterreicherInnen gegen eine Rückkehr der vertriebenen Jüdinnen und Juden aussprachen und nur 28 % diesbezüglich positiv eingestellt waren. Insgesamt kehrten nur relative wenige Juden aus dem Exil nach Österreich zurück (etwa 4.500, davon 3.900 nach Wien); ein Bündel von Motiven ist zu nennen: einige kehrten aus Heimweh zurück (Jean Améry: „Entborgenheit“); andere, weil sie in den Asylländern, etwa Schanghai, keine Lebensperspektive (in klimatischer, wirtschaftlicher, politischer Hinsicht) sahen; andere, weil sie die Familienehre wiederherstellen und um die Restitution der ihnen enteigneten Betriebe kämpfen wollten.

 

Mit der Rückkehr war oft ein „Rückkehrschock“ verbunden. Die Rückkehrer erhielten wenig Unterstützung, insbesondere was die Restituierung enteigneten („arisierten“) Besitzes betraf. Im Nachhinein „war niemand Nazi“, und mancher Rückkehrer wurde mit Aussagen wie „Ihr hattet Glück, wir waren im Krieg“ konfrontiert. Der österreichische Mythos, Opfer des NS-Regimes gewesen zu sein, und ein weiterhin vorhandener Antisemitismus taten das Ihre, sodass viele Zurückgekehrte ein „Leben mit gepackten Koffern“ führten und isoliert waren. Ruth Beckermann („Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945“) konstatierte in Österreich eine „Kontinuität der Schamlosigkeit“. So gab es nicht wenige, die Österreich wieder verließen. Andererseits blieben viele, die nicht Österreich zurückkehrten, dennoch dem Land – oft mit gemischten Gefühlen – ihr Leben lang zutiefst verbunden, was sich z.B. in Reisen, d.h. einer temporären Rückkehr nach Österreich – sei es einmal, mehrmals oder regelmäßig – zeigt.

 

Albert Lichtblau bot nach Überblicken, die die Dimensionen des Phänomens aufzeigen, unter anderem mit historischen Bild- und Tondokumenten Einblicke in berührende Einzelschicksale: Walter Kammerling (geb. 1923) kehrte 1946-57 aus Großbritannien nach Wien zurück, aufgrund von Erfahrungen antisemitischer Äußerungen lebt er aber seit 1957 wieder in England. Michael Gielen, Dirigent aus Dresden, floh nach Argentinien und kam nach dem Krieg nach Österreich, wo er mit seiner Frau in Mondsee lebt. Ingeborg Guttmann (geb. 1930) floh mit ihrer Familie nach Shanghai, wo sie nach der japanischen Eroberung im Ghetto lebte. 1949 kehrte die Familie nach Wien zurück, wo sie zunächst im Obdachlosenheim wohnte. Ingeborg Guttmann heiratete einen orthodoxen jüdischen Mann. Als Beispiel für eine temporäre Rückreise nach Österreich wurde ein kurzer Film über Mimi Grossberg (1905-1997), Modistin und Lyrikerin, gezeigt, die über ihre erste Reise nach dem NS-Regime nach Wien im Jahr 1957 anlässlich einer Buchpräsentation sprach. Die große Verbundenheit vieler mit ihrer „alten Heimat“ zeigt ein altes jüdisches Ehepaar, das in San Diego lebt, aber sagt, dass ihre Heimat noch immer Wien ist. Kurt Sonnenfeld aus Wien (geb. 1925) lebt in New York. Er legte großen Wert darauf, zusätzlich zur US-Staatsbürgerschaft auch die österreichische Staatsbürgerschaft wieder zu erhalten. Ein Beispiel für einen, der bewusst nicht nach Österreich zurückkehrte, ist Norbert Abeles (geb. 1923 in Wien). Er kam mit einem Kindertransport 1938 nach Großbritannien. Nach dem Krieg brachte ihn und seine Frau der Film „King Solomo’s Mines“ auf die Idee, nach Afrika auszuwandern, wo er in Nigeria lebte und arbeitete und nun in Malawi seinen Lebensabend verbringt. Aufgrund der großen politischen Enttäuschungen sowohl bei ihm als auch bei seiner Frau wollten sie bewusst nicht nach Österreich zurückkehren. Abeles fühlt sich nach wie vor sehr wohl in Afrika.

 

Univ.-Prof. Dr. Albert Lichtblau ist a.o. Universitätsprofessor am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg und stellvertretender Leiter des Zentrums für jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg. Er gilt österreichweit als einer der ausgewiesensten Experten für jüdische Zeitgeschichte. Geboren 1954, studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien. Publikationen und Mitarbeit an zahlreichen Forschungsprojekten über Wohnungspolitik, Mieterprotest, die Geschichte von Minderheiten und Zuwanderung, jüdische Geschichte und die Geschichte des Antisemitismus. Von 1987 bis 1989 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, bis 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Juden in Österreich (St. Pölten).

 

Text: Univ.-Ass. Dr. Michael Zugmann / Institut für Bibelwissenschaften KU Linz

 

V. l.: Pfarrer Mag. Günter Merz (Christlich-Jüdisches Komitee), Mag.a Helga Schwarzinger (Referat für Ökumene und Weltreligionen), Ao. Univ.-Prof Albert Lichtblau (Universität Salzburg), Bischof Dr. Manfred Scheuer, Univ.-Prof. Dr. Christoph Niemand (KU Linz). © KU Linz / Eder

 

 

Informationen rund um den Tag des Judentums


Weitere Informationen zu Veranstaltungen rund um den "Tag des Judentums" sind im Internet auf der Website des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit unter www.christenundjuden.org abrufbar.

Zum "Tag des Judentums" publiziert "Kathpress" ein Themenpaket, das laufend erweitert wird und auch über www.kathpress.at/judentum abrufbar ist.

 

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