Donnerstag 25. April 2024

Theologisch-praktische Quartalschrift: „Freizeit und Muße“

Die Theologisch-praktische Quartalschrift wird von den ProfessorInnen der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz herausgegeben. Ausgabe 3/2015 behandelt das Thema „Freizeit und Muße“.

Die beste Hinführung zu diesem Themenheft stammt vom Satiriker Loriot. In seinem bekannten Zeichentrickfilm „Feierabend“ entscheidet sich ein Mann – nach offenbar getaner Arbeit – dazu, „einfach nur da zu sitzen“. Seine Frau kann es nicht glauben: „Irgendetwas machst Du doch“ unterstellt sie. „Du kannst doch tun, was Dir Spaß macht“ ermuntert sie. „Spazieren gehen“ oder „lesen“ schlägt sie vor. Die immer wieder repetierte Antwort „Ich möchte nur hier sitzen“ findet kein Verständnis, bis die Unterhaltung eskaliert und im Streit endet. Präzise hat Loriot damit die dominante Plausibilitätsstruktur unserer rastlosen Arbeitsgesellschaft beschrieben. „Einfach nur da sitzen wollen“, sich sogar dem verweigern, was effektive Erholung oder nachhaltige Entspannung verspricht, scheint unverständlich, geradezu anstößig. Demgegenüber weisen die Beiträge des Hefts – quer durch theologische und humanwissenschaftliche Fachdisziplinen – auf den Eigenwert frei bestimmter Zeit hin, und sie betonen die kulturelle und ethische Bedeutung von Muße.

 

Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa, der sich wie kein zweiter mit der Beschleunigungs-dynamik der spätmodernen Gesellschaft beschäftigt hat, ist analytisch dem Verschwinden der Muße auf der Spur. Muße bedeutet in seiner Lesart nicht die Verweigerung gegenüber notwendiger Arbeit. Sie resultiert vielmehr aus dem Gefühl, alles Notwendige erledigt zu haben. Eine solche in sich ruhende Zufriedenheit, ja „Welterfahrung“ stellt sich jedoch, so Rosa, unter den heutigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen kaum mehr ein. War das schon immer so, dass das aktive das kontemplative Moment menschlichen Lebens zu verdrängen scheint?

 

Roman Sandgruber, Sozial- und Wirtschaftshistoriker in Linz, zeigt auf, dass Intensivierung und Extensivierung von Erwerbsarbeit neuzeitlich-moderne Phänomene sind, die es so im Mittelalter nicht gegeben hat. Der heutigen Etappe der Arbeitsgesellschaft bescheinigt er ein Regime der Flexibilität, das zwar individuelle Freiräume gewährt, zugleich jedoch gemeinschaftlich begangene Festkreisläufe und feste Lebensrhythmen einzuebnen droht.

 

Den gesellschaftlichen Aspekt der Thematik greift der Mainzer Sozialethiker Gerhard Kruip systematisch auf. Freizeit, Zeitsouveränität und Möglichkeiten zur Muße sind nicht bloß Fragen individuellen Lebensstils, sie berühren zugleich die gesellschaftliche Verteilung von Ressourcen. Folgerichtig stellt Kruip verteilungsethische Überlegungen zur Zeitgerechtigkeit an und fordert Maßnahmen zur Zeitpolitik.

 

In die gleiche gesellschaftskritische Kerbe schlägt der Philosoph und Kulturkritiker Konrad Paul Liessmann aus Wien. Im Fokus seiner scharfsinnigen Analyse und engagierten Kritik steht das Bildungssystem, das durch seine fortgesetzte Ökonomisierung seine Grundlagen zu untergraben droht. Bildung bedeutet nicht bloß Kompetenzenerwerb, sondern Persönlichkeitsenfaltung und Orientierungsfähigkeit. Dazu bedarf es der Zeit und der Gelassenheit, der Freiheit und der Möglichkeit, „bei sich zu sein“.

 

Und wie steht es um Freizeit und Muße in der Kirche, der Institution also, die Kult und Kontemplation sowie die Anwaltschaft für geschützte Festzeiten auf ihre Fahnen geschrieben hat? Christian Bauer, Pastoraltheologe aus Innsbruck, unterzieht seelsorgliche Aktivitäten einem „Reality-Check“. Gerade die pastorale Praxis weist nach seinem Urteil einen Trend zum ausufernden Aktionismus auf. Den steigenden Anforderungen an pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzt Bauer spirituelle und kulturelle Quellen entgegen, aus welchen sich die Haltung der Gelassenheit, der Mut zur Unterbrechung oder eine evangeliumsgemäße Sorglosigkeit speisen können.

 

Antje Schrupp hat bei sich selbst die Probe aufs Exempel gemacht. Ist das Sonntags- und Sabbatgebot der jüdisch-christlichen Tradition tatsächlich lebbar? Die Journalistin hat sich vorgenommen, den „Sabbat“ bzw. den „Sonntag“ zu „heiligen“. Das heißt, zu diesen geschützten Zeiten dürfen keine „profanen“, sondern nur „heilige“ Dinge getan werden. Während der „heiligen“ Sabbat-Zeit darf nichts verrichtet werden, was durch äußeren Zwang geboten, sondern nur, was aus innerem Antrieb gewünscht ist. Diese Differenz zwischen den Sphären des Profanen und des Heiligen in der Lebensweise aufrechtzuhalten ist, folgt man der Autorin, schwierig, aber mit der nötigen Konsequenz und Flexibilität möglich.

 

 

 

 

Das Heft trägt drei weitere instruktive Beiträge zusammen, die nicht zum Schwerpunktthema gehören: Die Historikerin Martha Keil gibt einen interessanten Überblick zur jüdischen Geschichte bis zur Gegenwart, dessen Dringlichkeit und Wichtigkeit durch aufkommende Antisemitismen auch in unseren Gesellschaften unterstrichen wird. Die Gründung des „Linzer Forums Religionspädagogik“ im März 2015 nimmt der Religionspädagoge Rudolf Englert zum Anlass, in seinem Beitrag über das veränderte Rollenverständnis von Religionslehrerinnen und -lehrern nachzudenken. Schließlich bietet der Bibelwissenschaftler Franz Hubmann eine hilfreiche Zusammenfassung und pointierte Kommentierung des umfangreichen Dokumentes „Inspiration und Wahrheit der Heiligen Schrift“, das die päpstliche Bibelkommission unlängst vorgelegt hat.

 

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Iris Hauth, hat jüngst in einem Interview gewarnt: „In der Arbeitswelt haben Leistungsdruck, Zeitdruck und Multitasking in den letzten Jahren zugenommen. Vor allem durch die ständige Erreichbarkeit über Handy und E-Mail können viele Arbeitnehmer buchstäblich nicht mehr abschalten.“ Zur Entspannung rät sie, „sich Muße zu gönnen“, auch „Nichtstun“ in den Kalender einzutragen; und sie konkretisiert – als habe sie Loriot gesehen: „Einfach sitzen, vor sich hinschauen.“

 

Das Themenheft „Freizeit und Muße“ wurde gezielt in die Zeit der Sommerferien platziert. Die AutorInnen betonen unisono, dass Muße nicht schlichtes Nichtstun bedeutet, sondern ein besonderes Weltverhältnis, eine besondere Kulturform darstellt. Sie meint ein (Un-)Tätigsein jenseits äußerer Zwänge, jenseits von Effektivitäts- und Nützlichkeitserwägungen, jenseits von Verwertungslogik. Im Gegensatz zur Arbeit, die auf ein Ziel ausgerichtet sein muss, ist Muße selbstzwecklich, ein (Nichts-)Tun, das seinen Sinn schon in sich trägt. Die Redaktion hofft, dass sich für die Leserinnen und Leser nicht nur nützliche Reflexionen zur effektiveren Nutzung der Freizeit (und damit doch wieder zur Optimierung der Arbeitskraft) verbinden, sondern sich auch Stunden „wirklicher Muße“ einstellen, qualitätsvolle Zeiten des Bei-sich-selbst-Verweilens.

 

http://www.thpq.at/

 

Univ.-Prof. Dr. Ansgar Kreutzer / Katholische Privat-Universität Linz

 

 

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