Freitag 29. März 2024

Bischof Scheuer zu Novemberpogromen: "Verweigerte Erinnerung ist Mord"

Bischof Manfred Scheuer

"Verweigerte Erinnerung ist Mord": Auf dieses "drastische" jüdische Sprichwort hat Bischof Manfred Scheuer angesichts des Jahrestags der Novemberpogrome von 1938 hingewiesen. Erinnern und Gedenken zeichneten jede humane Kultur aus.

"Getragen von der Suche nach Wahrheit, reinigen sie das Gedächtnis, nehmen das Leid der Opfer in Blick, machen dankbar für das bleibend Gute und ermöglichen so Gerechtigkeit, Versöhnung und ein Lernen aus der Geschichte", erklärte Scheuer in seinen Kathpress vorliegenden Ausführungen zum markanten Vorboten der Shoa vor 82 Jahren.

 

In den zwischenmenschlichen Bereichen merke man heute zunehmende Teilnahms- und Interesselosigkeit sowie "Berührungstabus gegenüber allem, was nach Schmerz, Leid, Trauer, Krankheit, Alter und Tod riecht", warf der Bischof einen kritischen Blick auf das Zeitgeschehen. Die vom Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich beschriebene "Unfähigkeit zu trauern" gehe Hand in Hand mit dem Verlust an Sehnsucht und führe zur Reduktion des Menschen auf seine Bedürfnisse und Funktionen. In einer oberflächlichen Erfolgs- und Siegergesellschaft verarmen laut Scheuer menschliche Kontakte, es drohten Empathie- und damit auch Wirklichkeitsverlust.

 

Menschsein braucht Leidempfindlichkeit

 

Für Papst Franziskus gehöre eine elementare Leidempfindlichkeit und Leidenschaft für die Mitwelt zum Humanum, erinnerte der Linzer Bischof.  Der verstorbene Theologe Johann Baptist Metz sehe in einer Gerechtigkeit suchenden "Compassion" das Schlüsselwort im Zeitalter der Globalisierung. Diese Mitleidsfähigkeit "schickt zu den politischen, sozialen und kulturellen Konflikten in der heutigen Welt" und ist nach den Worten Scheuers unverzichtbar für jede Friedenspolitik und die Überbrückung "des eskalierenden Risses zwischen Arm und Reich". Und der Bischof formulierte noch schärfer: "Freiheit ohne Mitleid, ohne Empathie wird zur Tyrannei."

 

Scheuer erinnerte auch an Hannah Arendts Jerusalemer Prozessbericht über den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann. Ihr Wort von der "Banalität des Bösen" sollte die Durchschnittlichkeit des Täters bezeichnen; es legte laut dem Bischof nahe zu sagen: Die große Masse war nicht besser als Eichmann, jederzeit bereit, Gleiches unter gleichen Umständen zu tun. "Eichmann hat sich nie vorgestellt, was er eigentlich anstellt. Seine Handlungen und Entscheidungen waren banal, gedankenlos, vordergründig ohne teuflisch dämonische Tiefe", schrieb Scheuer und zitierte nochmals Arendt: "Dass eine solche Realitätsferne und Gedankenlosigkeit in einem mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen vielleicht innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen, das war in der Tat die Lektion, die man in Jerusalem lernen konnte."

 

Der Linzer Bischof warnt: "Wer nur mit sich selbst beschäftigt ist, kann andere gar nicht wahrnehmen. Die Zuspitzung der Individualisierung kennt keine verbindlichen Netzwerke und keine Zugehörigkeiten mehr. Egoisten lassen andere am eigenen Leben, am Wohlstand und an der Kultur nicht partizipieren."

 

Shoah hinterließ tiefe Risse bis heute

 

Scheuer erinnerte weiters an den Terror des Jahres 1938. Jüdische Geschäftsleute und Verantwortliche der jüdischen Gemeinde in Linz hätten zu den ersten Opfern gehört. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde der Linzer Tempel in Brand gesteckt und zerstört. Kurz davor war eine große Anzahl von Männern festgenommen und nach Dachau deportiert worden, rief Scheuer in Erinnerung. Auf einer Tafel der Linzer Kultusgemeinde gedenkt man einer Anzahl von 194 Linzer Jüdinnen und Juden als Opfer des NS-Regimes. "Die Zahl der Ermordeten ist aber sicher höher", beklagte der Bischof.

 

In der Nacht des 9. November 1938 sei "das Angesicht Österreichs und auch der Stadt Linz grundlegend verändert" worden. "War die jüdische Gemeinde davor ein Teil der österreichischen Gesellschaft und Kulturlandschaft gewesen, so hat mit dieser Nacht die Wandlung hin zu einem weitgehend synagogen- und judenleeren Staat begonnen." Politische Naivität, Angst, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes lehrte, und mangelnde Liebe hätten auch viele Christen damals veranlasst, gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, die jüdischen Menschen angetan wurden. Die Shoah habe tiefe Risse hinterlassen. "Bis heute fehlen die Menschen, die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen", so Scheuer.

 

Es sei wichtig, die heute verbreiteten hasserfüllten Worte nicht zu unterschätzen. Der Bischof plädierte für eine Kultur der Begegnung, der Kenntnis der Gegenwart und der Erinnerung an die Vergangenheit als Basis dafür, um allem Rassismus und Antisemitismus entgegenzutreten. Es gelte wachsam gegenüber jeglicher Form von Politik zu sein, die auf Abwertung und Ausgrenzung von Minderheiten setzt. "Insbesondere sind wir hellhörig im Hinblick auf jede Form des Antisemitismus und werden ihr entschieden entgegentreten", versicherte Scheuer.

 

Gedanken von Bischof Scheuer zum Nachlesen

 

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