„Zehn Gebote der Digitalisierung“
Bankkundin, Patient oder Maschinenhersteller, sie alle profitieren von den digitalen Möglichkeiten. Diese haben das Arbeits- und das private Leben bereits verändert. In den nächsten Jahrzehnten ist ein massiver Wandel zu erwarten. Die Geschwindigkeit verunsichert viele. Doch in Angststarre zu verfallen, sei die falsche Strategie, waren sich DI Dr. Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung OÖ, und der Ökonom Univ.-Prof. Dr. Friedrich Schneider (Johannes Kepler Universität Linz) einig. „Die Welt wandelt sich und jeder soll lernen, die für ihn positiven Aspekte zu finden“, sagte Friedrich Schneider und erläutert das an einem Beispiel: Die Wegwerfgesellschaft geht dem Ende zu. Die Vernichtung von Ressourcen wird schlicht zu teuer. Wer Reparatur, Rück- und Neuentwicklung von Konsumgütern als Geschäftsidee aufgreift, könnte davon profitieren. Der regionale, dienstleistungsorientierte Arbeitsmarkt (Stichwort Pflege und Altenbetreuung) wird neben dem globalisierten Arbeitsmarkt ein wesentlicher Schwerpunkt sein, so Schneider.
Computer werden auf beiden Märkten eine zentrale Rolle spielen. „In Zukunft werden immer mehr Menschen das tun, was Computer ihnen sagen“, so der Philosoph Prof. Dr. Richard David Precht. Er kämpft dafür, dass das Bildungssystem dementsprechend weiterentwickelt wird. Gegenwärtig würde es vielen Kindern die Chance nehmen, von der Globalisierung zu profitieren. Auch Friedrich Schneider nimmt die „Globalisierungsverlierer“ in den Blick: „Wenn wir ihre Ängste nicht aufgreifen und ihnen die Würde nicht zurückgeben, wird der politische Rechtsruck stärker.“
V. l.: Friedrich Schneider (JKU), Philosoph Richard David Precht, Michael Rockenschaub (Sparkasse OÖ), Joachim Haindl-Grutsch (IV OÖ), Bischof Manfred Scheuer. © Sparkasse OÖ / Laresser
Es braucht verbindliche Verhaltensregeln
Die Digitalisierung ist weder positiv noch negativ zu bewerten, sagte Bischof Manfred Scheuer. So ließen sich erhebliche positive Wirkungen benennen, etwa die viel leichtere Erreichbarkeit von unter Umständen dringend benötigten Daten. Auf der anderen Seite verändere sich durch die Digitalisierung das Kommunikationsverhalten auch negativ und es würden Unmengen kaum benötigter Daten („Datenmüll“, „Datenflut“) gespeichert. Computer und Internet führten zu einer massiven Beschleunigung des Lebens, so Scheuer. Der Bischof betonte, das Internet erschließe nicht nur in einem positiven Sinne Informations- und Kommunikationsräume, sondern auch „ Räume für Desinformation und Falschdarstellungen, Diffamierungen und Verleumdungen, digitales Mobbing und Hasspostings sowie für die massenhafte Verbreitung von gewaltverherrlichendem, rassistischem und pornografischem Material, alles in der Regel zum Nachteil von ohnehin schon benachteiligten, schwächeren Menschen“.
Wichtig sei, dass verbindliche Verhaltensregeln gefunden würden. Mit „Zehn Geboten für die digitale Welt“ in Anlehnung an Johanna Haberer („Digitale Theologie. Gott und die Medienrevolution der Gegenwart“ / Kösel, 2015) sorgte der Bischof für Schmunzeln und zustimmendes Nicken.
Du brauchst dich nicht vereinnahmen lassen!
Welchen Anspruch haben die neuen Kommunikationsformen auf mein Leben? Das erste Gebot des Dekalogs mahnt daran, frei zu werden von den Mächten und Gewalten, die drohen, einen allumfassenden Anspruch auf mein Leben zu erheben.
Du sollst keine Unwahrheiten verbreiten
Es geht um Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der menschlichen Rede in der gesellschaftlichen Kommunikation.
Du darfst den netzfreien Tag heiligen
Der Sabbat als Tag, an dem sich der Mensch als Mensch erleben darf, ohne in einer Kauf- und/oder Handelsbeziehung zu stehen. Das Privileg der Nichterreichbarkeit.
Du musst ein Datentestament machen
Es geht im vierten Gebot um die Generationenfürsorge, um den Jugendschutz, um die Verantwortung, die Eltern für ihre Kinder haben. Kinder zu behüten vor gefährlichen und schädlichen Zugriffen durch das Netz und ihnen zugleich einen produktiven, kreativen und verantwortungsvollen Zugang ermöglichen. Lernen, die eigene Biografie zu schützen, lernen Geheimnisse zu hüten und ihre Würde. Recht auf Vergessen! (Testament)
Du sollst nicht töten
Liebe und Tod lassen sich nicht digitalisieren. Es können aber menschliche Existenzen im Netz vernichtet und quasi zum Verschwinden gebracht werden. Der Diebstahl der virtuellen Identität ist Thema von manchen Trillern.
Du brauchst keine „schwachen“ Beziehungen eingehen
Dem schier unbegrenzten Pool an potenziellen Partnern und Partnerinnen steht die Sehnsucht nach der einen Liebe entgegen. Wichtig: Es kann auch eine Freiheit von den vielen Optionen geben, gerade auch in Zeiten moderner Liebe.
Du sollst nicht illegal downloaden
Was ist Eigentum? Was ist Diebstahl? Die Begriffe Eigentum, Gemeinnutz und Eigennutz müssen neu definiert werden.
Du darfst nicht digitalen Rufmord betreiben
Die weltweite Plattform für Meinungsbildung kennt durchaus Gerücht und üble Nachrede. Je weiter gespannt das soziale Netz, desto vernichtender der soziale Tod. Mobbing kann bisweilen zur tödlichen Waffe werden.
Du hast Verantwortung für persönliche Daten anderer
Es gibt die großen Begehrlichkeiten auf alles, was in einem Haus elektronisch vernetzt ist. Das Zuhause wird gläsern und Google weiß, was die Leute essen und trinken. Tageablauf und Konsumgewohnheiten werden kontrolliert (des Nächsten Gut!)
Du gestaltest die Gesellschaft, wenn du dich im Netz bewegst
Die Begehrlichkeiten richten sich auch auf die Menschen selbst, ihre Beziehungen und ihre Gefühle. Netzunternehmen kontrollieren Liebe, Sex und Streit. Sie erheben Anspruch auf alle unsere Geheimnisse. Mit Selbstdisziplin gilt es uns selbst vor Übergriffen und der Übernahme unseres Lebens zu schützen. Unternehmen müssen verpflichtet werden, ihre KundInnen ausführlich und fair zu informieren, z. B. offenzulegen, was mit den KundInnendaten passiert. Netzpolitik ist ein Politikfeld!
Gedanken von Bischof Scheuer zur digitalen Revolution zum Nachlesen
V. l.: Joachim Haindl-Grutsch, Friedrich Schneider, Michael Rockenschaub, Richard David Precht, Manfred Scheuer. © Sparkasse OÖ / Laresser
Christine Grüll / KirchenZeitung