Staatsschulden: „Selber schuld“ oder kollektive Verantwortung?
Ob die Schuldenkrise in Griechenland oder Probleme in anderen Ländern der Welt: Staatsschulden sind zu einem vorrangigen politischen Thema geworden. Im Zusammenhang mit Griechenland, aber auch mit der staatlichen Abwicklung der früheren Hypo Alpe Adria stehen Aspekte wie Schuldenschnitt und Schuldenerlass im Raum. Wie schädlich sind Staatsschulden, wie und wo wirken sie sich aus? Und hat die Katholische Soziallehre Hinweise für den Umgang mit Schulden? Zu diesem Thema lud am 26. März 2015 das OÖ. Journalistenforum in den OÖ. Presseclub.
„Staatsverschuldung ist kein vorrangiges Problem“
Univ.-Prof. DDr. Johann K. Brunner, Professor für Volkswirtschaftslehre und Vorstand des Department of Economics an der Johannes Kepler Universität Linz, betonte, aus seiner Sicht stelle die Staatsverschuldung in Österreich kein gravierendes Problem dar. Vorrangiger sei das Problem des zu geringen Wirtschaftswachstums in Verbindung mit der hohen Arbeitslosenrate. Dass die Zinsen niedrig seien, zeige, dass die Gläubiger die Lage nicht als eklatant schlimm einschätzten, so Brunner. Was den Schuldenstand betreffe, gebe es sehr disziplinierte und weniger disziplinierte Länder. So habe etwa die Schweiz einen Schuldenstand von nur 40 % des BIP, Norwegen liege bei 20 %. Österreich halte derzeit bei etwa 80 %, Italien bei 130 %, Griechenland bei 160 %. „Japan hat eine Staatsverschuldung von 250 % bei einem Zinssatz von unter einem Prozent – auch das geht also“, so Brunner. Öffentliche Schulden seien nicht anders zu sehen als Schulden von Unternehmen. „Wenn die Zinsen so niedrig sind, sollte der Staat mehr investieren – es ist nichts Verwerfliches daran, einen Kredit aufzunehmen“, unterstrich der Ökonom.
Gleichzeitig würden Staatsschulden dazu verleiten, sorgloser mit der Budgetpolitik umzugehen. In Griechenland wurde das Budgetdefizit jahrelang verborgen, die korrekten Daten wurden nicht gemeldet. „Deutsche Ökonomen übertragen dieses Verhalten nun auf den südeuropäischen Raum und befürchten ähnliche Szenarien für Italien und Spanien. Aus meiner Sicht gibt es dafür derzeit keine Indizien, die Zinsen haben sich deutlich entspannt“, so Brunner. In der EU herrsche momentan ein Ungleichgewicht: Während Länder mit eher geringerer Verschuldung wenig Anlass sähen, konjunkturelle Maßnahmen zu setzen, wäre dies in südeuropäischen Ländern wichtig, allerdings fehle der nötige Spielraum. Zur Frage, ob es Grenzen öffentlicher Verschuldung gebe, antwortete der Ökonom: „Ja, die die gibt es, aber niemand kennt sie. Und niemand weiß, wann die Finanzmärkte nervös werden.
Christliche Verantwortung für eine gerechte (Um-)Verteilung
Dr. Markus Schlagnitweit, Akademiker- und Hochschulseelsorger in Linz, früherer Direktor und jetziger Kooperationspartner der Katholischen Sozialakademie Österreichs, betonte, dass für die Katholische Soziallehre die Staatsverschuldung kein sehr großes Thema sei. In den vergangenen Jahren hätten die österreichischen Bischöfe bei den Bischofskonferenzen das Thema immer wieder aufgegriffen, allerdings unter dem Aspekt der Verantwortung für künftige Generationen: Eine vererbte Schuldenlast verringere deren Handlungsspielraum. Weltkirchliche Dokumente nähmen die Verschuldung armer (Entwicklungs-)Länder und deren Entwicklungschancen in den Blick, so Schlagnitweit. Grundsatz sei auch bei der Katholischen Soziallehre, dass Schulden zurückzuzahlen seien, es stelle sich aber immer die Frage, ob Schulden auf gerechten Beziehungen basieren. „Nicht legale Ansprüche stehen hier im Vordergrund, sondern es wird nach dem Maß der Freiheit gefragt, in dem die Verträge eingegangen wurden. Die Frage ist: Verhandeln Gläubiger und Schuldner überhaupt auf Augenhöhe?“, akzentuierte der Sozialethiker.
Prinzipien der Katholischen Soziallehre wie Solidarität und Teilen seien im heutigen Wirtschaftsdenken nicht verankert, so Schlagnitweit. So sei etwa in der Katholischen Soziallehre festgehalten, dass dem Recht auf Privateigentum das Prinzip der universalen Bestimmung der Erdengüter für alle Menschen übergeordnet ist. „Es ist immer wieder eine Neu- und Umverteilung der Güter notwendig, für die auch internationale Organisationen Sorge tragen müssten“, ist Schlagnitweit überzeugt.
V.l.: Univ.-Prof. DDr. Johann K. Brunner, Dr. Heinz Niederleitner (OÖ. Journalistenforum, Moderation), Dr. Markus Schlagnitweit © Diözese Linz
Ist Besitz unantastbar?
Die Katholische Soziallehre stelle generell in Frage, ob es Besitz gebe. „Von unserem Glauben her gehen wir davon aus, dass uns letztlich nichts gehört oder zusteht, sondern dass alles nur geliehen ist und dass wir immer auch Verantwortung für das Geliehene tragen – auch anderen gegenüber“, so der Theologe. Bis heute gebe es etwa in Lateinamerika Aneignung von Landbesitz, bei dem die Kleinbauern brutal vertrieben würden. In den USA werde Umverteilung als solidarische Aufgabe von Privathaushalten gesehen, während in den europäischen Wohlfahrtsstaaten die Solidarität in Gesetze gegossen sei. „In den letzten Jahren zeigt sich aber auch in Österreich in der politischen Diskussion eine gewisse Gefährdung, weil Solidarität als moralische Grundhaltung bei Einzelpersonen nicht mehr einfach vorausgesetzt werden kann“, ist Schlagnitweit besorgt.
Brunner sieht den Aspekt des Besitzes naturgemäß anders: „Der Markt funktioniert nun einmal nicht ohne klare Eigentumsregeln. Wenn ich mir etwas gerecht angeeignet habe, dann steht mir dieser Besitz auch zu.“ Die Frage sei, inwieweit der Staat solidarisches Handeln durch Zwang regeln solle.
Biblische Zugänge – hilfreich für heute?
Schlagnitweit nannte als biblisches Prinzip das sogenannte „Jubeljahr“ aus dem Alten Testament, bei dem alle 50 Jahre alle Schulden zu erlassen sind. Dieses Prinzip sei vermutlich schon damals nicht realisierbar gewesen und auch heute sei die Umsetzbarkeit fraglich. Es lege aber nahe, dass Schulden dann zu erlassen seien, wenn ein gewisses Schuldenmaß überschritten sei und klar sei, dass die Schulden nicht mehr zurückbezahlt werden können – auch hier im Blick auf nachfolgende Generationen. Es gehe hier nicht nur um ein Korrektiv, sondern um die Katholische Soziallehre in ihrem Kern: „In allen wirtschaftlichen Beziehungen müsste die Freiheit und Würde aller Wirtschaftspartner oberstes Gebot sein – und nicht der eigene Vorteil“, so Schlagnitweit. Ökonom Brunner sieht hier ein Anreizproblem: „Alle werden versuchen, die Schuldenrückzahlung hinauszuschieben.“ Im Fall von Griechenland sei es bedauerlich, dass eine breite Schicht der Bevölkerung für das Budgetdefizit bezahle, während die Wohlhabenden ihr Geld längst in Sicherheit gebracht hätten. „Andererseits wird es nicht leicht sein, die europäischen Steuerzahler zu überzeugen, dass sie für die griechischen Schulden bezahlen sollen“, so Brunner. Das Problem sei aus seiner Sicht nur innergriechisch zu lösen.
Als zweites biblisches Prinzip führte Schlagnitweit das „Zins- und Wuchergebot“ an: Wenn sich Menschen in einer Notlage befinden und sich etwas leihen, darf der Gläubiger keinen Mehrwert verlangen und keinen Nutzen aus der Notlage ziehen. In anderen Fällen darf durchaus eine Gegenleistung erwartet werden. „Die spannende Frage ist: Wo ist die Grenze? Wo beginnt eine Zwangslage? Das ist sicher nicht leicht zu sagen und von Fall zu Fall zu klären“, räumte Schlagnitweit ein.
Der Theologe betonte, es brauche nicht nur die Solidarität der Wohlhabenden gegenüber den Armen, sondern auch umgekehrt die Solidarität der Armen. „Bei einem Schuldenschnitt müsste sich etwa ein Land zu Reformen beim Wirtschaften und Haushalten verpflichten. Allerdings ist so etwas natürlich sehr schwer festschreibbar“, sieht Schlagnitweit ein Problem bei der Umsetzung.
(be/ej)