Mittwoch 24. April 2024

Die Angst um den Frieden

Nach Friede sehnen wir uns alle; besonders zur Weihnachtszeit. Wer den Blick auf das Weltgeschehen richtet, könnte meinen: Weltfriede ist so visionär wie manche Kinderträume.

Wie kann Frieden gelingen? Seit den Terroranschlägen in Paris beschäftigt diese Frage die Menschen. Ein Interview zum Frieden mit dem neuen Professor der christlichen Sozialwissenschaften an der Katholischen Privat-Universität Linz, Dr. Christian Spieß, und Mag.a Reinhilde Spiekermann, Religionsprofessorin des BRG Enns und Pax-Christi-Vorstandsmitglied.

Bereits Anfang dieses Jahres titelte die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“: „Ist Friede überhaupt möglich?“ Die Zeitung reagierte auf die sich überschlagenden Ereignisse rund um „Charlie Hebdo“ in Frankreich und den Vormarsch des sogenannten „Islamischen Staates“ im Irak und in Syrien. Zwölf Monate später bewegen der Terror und die Flucht vieler Menschen aus den Kriegsgebieten nach wie vor die ganze Welt. Aber: 17 Staaten schickten VertreterInnen zu Friedensverhandlungen nach Wien. Für viele die einzige Möglichkeit zur Friedenssicherung: miteinander reden.

 

Der Blick weg von den Ereignissen in Paris führt uns zu Weihnachts­schmuck und Glühweinduft. Nie ist der Wunsch nach einem friedlichen Miteinander im Kreise der Familie größer als zu Weihnachten, sagen alle Umfragen zu diesem Thema. Mitten­drinnen die christliche Botschaft des Weihnachtsfestes: Gott wird Mensch, geboren in eine Flüchtlingsfamilie am Rande der Stadt.

Kriege und Konflikte sind heute sehr komplexe Angelegenheiten. Viele Staaten sind involviert mit Wirtschafts- und Machtinteressen im Hintergrund. Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass Friede Realität werden kann?
 
Christian Spieß: Zunächst halte ich es für wichtig, dass es Treffen und Gespräche wie die Syrienkonferenz in Wien gibt. Man hat zwar mitunter den Eindruck, dass sich Gespräche und Ver­handlungen im Kreis drehen. Aber zum einen gelingen ja schon zumindest kleine Schritte der Annäherung und zum anderen ist die Bedeutung der Tatsache, dass die wichtigen Akteure mit­einander kommunizieren und ihre Interessen austauschen, gar nicht zu unterschätzen. Ich halte das Kennen und Verstehen der Interessen der verschiedenen „Parteien“ für den Schlüssel zu einer Befriedung. Auch für die eigene Meinungsbildung ist es wichtig. Nehmen wir das Beispiel des Ukraine-Konflikts. Ich habe die mitunter heftige Diskussion darüber im vergangenen Jahr noch mit meinen Studierenden in Berlin geführt, unter denen eine wirklich enorme Polarisierung zu beobachten war. Viele haben sich viel weniger mit den Interessen der Beteiligten auseinandergesetzt, als sich um die Bestätigung der je eigenen Meinung bemüht. Man hat sozusagen im Diskurs über den Konflikt die gleiche Zuspitzung und Verschärfung der Auseinandersetzung erlebt wie im Konflikt selbst.

Reinhilde Spiekermann: Der Schlüssel für den gelebten Frieden ist für mich das bekannte Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Doch greift die Botschaft auch im Christentum nicht überall, weil sie eher moralisch verkündet wurde und wird, anstatt befreiend und spirituell fühlbar. Mich in Bezug zur gesamten Schöpfung zu erleben und meine Familie größer als meine Kleinfamilie zu fühlen, diese ganzheitliche Sicht bringt für mich Papst Franziskus in „Laudato si’“ so wunderbar zum Ausdruck. Angesichts der aktuellen Situation muss gerade eine Religionsgemeinschaft (re-legere bedeutet: noch einmal lesen) besonders hinschauen: Woher kommt diese Entwicklung? Was hat das mit uns und unserem Lebensstil zu tun? Wir plündern die Erde oder beuten Arbeitskräfte für billige Produkte aus. Und schließlich wird mit Waffenlieferungen immer noch das große Geld gemacht. Pax Christi will im nächsten Jahr einen Atlas der Betriebe in Österreich erstellen, die direkt und indirekt für Rüstungsprodukte arbeiten, um diese Verflechtungen aufzuzeigen. SchülerInnen sehen diese Zusammenhänge oft auch sehr deutlich. Friede lässt sich nur mit Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sichern.

Wo würden Sie den Hebel ansetzen, um der gegenwärtigen Gewaltspirale und Kriegsspirale entgegenzuwirken?
 
Spieß: Ich glaube, wir müssen eine Strategie auf drei Stufen entwickeln. Auf der ersten und wichtigsten Stufe geht es um eine faire globale Politik. Wenn ganze Weltregionen von der ökonomischen Entwicklung abgeschnitten sind oder der Wohlstand der Privilegierten sogar zu Lasten der Benachteiligten gewonnen wird, führt das zu Auseinandersetzungen. Aggressive Akteure, die beispielsweise mit „anti-westlichen“ Programmen auftreten, gewinnen Zulauf. Extreme sozio-ökonomische Ungleichheit und Ungerechtigkeit im globalen Maßstab ist also zwar nicht der einzige, aber zweifellos ein wichtiger Grund für gegenwärtige Konflikte. Auf einer zweiten Stufe geht es um die akute Krisenprävention. Dazu gehören Friedensinitiativen und Verhandlungen. Wir müssen uns aber auch mit der Frage nach der Notwendigkeit und Legitimität militärischer Interventionen auseinandersetzen. Das ist natürlich höchst problematisch, aber wer diesen Weg angesichts von Völkermorden und in brutalster Weise gegen Menschen vorgehenden Gruppen völlig ablehnt, gerät leicht in eine zynische Haltung. In Extremfällen, wenn ein äußerst gravierender Grund, eine legitime Absicht – etwa die Aussicht auf eine wirkliche Verbesserung der Situation – und die völker­rechtliche Legalität gegeben sind, kann meines Erachtens auch eine militärische Intervention legitim sein. Auf der dritten Stufe ist auch die Einwanderungspolitik Teil der Krisenpolitik. Wir sind in hohem Maße verpflichtet, über das Menschenrecht auf Asyl hinaus, Kriegsflüchtlinge in unseren wohlhabenden Gesellschaften aufzunehmen. Dies gilt erst recht dann, wenn wir auf der ersten Stufe versagt haben.

Spiekermann: Eigentlich braucht man sich nicht zu wundern, dass Menschen ihre Heimat verlassen, wenn ihre Lebensgrundlagen entzogen wurden. Das Engagement für „bessere Lebensbedingungen“ ist bisher eher abstrakt geblieben. Nun hat die west­liche Ausbeutung von Welt, Umwelt und Menschen ein Gesicht bekommen. Im Fernsehen, auf unseren Bahnhöfen, in unseren Orten. Für den Religionsunterricht in der Oberstufe habe ich deshalb konkret eine Begegnung mit Flüchtlingen geplant.

 

Nach Friede sehnen wir uns alle; besonders zur Weihnachtszeit. Wer den Blick auf das Weltgeschehen richtet, könnte meinen: Weltfriede ist so visionär wie manche Kinderträume. © shutterstock/P. Chinnapong


Unser christlicher Glaube hat im Kern die Friedens­botschaft, gerade zu Weihnachten. Wenn es zwei Milliarden ChristInnen gibt, warum geht es dann nicht friedlicher zu?

Spieß: Religionskritisch könnte man sagen, dass nicht eine Friedens­botschaft der Kern der Religionen ist, sondern Ab­grenzung und ein Vorherrschaftsanspruch. So würde ich das natürlich nicht sagen, aber es gibt schon das Problem einer – mindestens historischen – Nähe zur Gewalt. Ich glaube nicht, dass sich die großen Religionen in diesem Punkt substanziell unterscheiden. Natürlich wird Religion von Gruppen instrumentalisiert, denen es um etwas ganz anderes geht. Aber sie lässt sich eben auch instrumentalisieren. Ich lade deshalb zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Problem der Gewalt sowohl in der eigenen Tradition als auch in der Heiligen Schrift ein.

Spiekermann: Wenn sich Menschen zu Weihnachten eine „heile“ Familie im engsten Familienkreis wünschen, ist das verständlich. Denn je turbulenter die Welt „draußen“ ist, desto größer die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden im kleinen Kreis. Doch die Welt ist so turbulent, weil wir die Welt nach Wirtschafts- und Machtinteressen orientieren. Die Botschaft der Menschwerdung ist aber die immer neue Herausforderung, Menschwerdung global zu denken und kleine Schritte zu gehen, damit andere menschlich leben können und Menschen sein können. Lasst uns einfach leben, damit andere einfach leben können!

Spieß: Im Sehnen und Ringen nach Frieden in der Familie zu Weihnachten können wir die Dynamik von Konflikten oder auch die Dynamik des Friedens gut beobachten. Für mich bedeutet das Weihnachtsfest ein Zurückgehen auf das Wesentliche der Menschwerdung. Dann fallen viele unwesentliche Interessen und Gedanken, Begehrlichkeiten und Kleinlichkeiten weg. Vielleicht können auf diese Weise auch schwierige Probleme erkannt werden. Aber sicher nicht, wenn wir die Probleme einfach nur bis zum zweiten Feiertag zudecken. So wie hinter der Krippe schon das Kreuz sichtbar wird, geht es zu Weihnachten immer sowohl um das Heil als auch um das Unheil in der Welt.

Der Artikel erschien in der MitarbeiterInnen-Zeitung der Diözese Linz „informiert“, Ausgabe 12-01/2015-2016. Verfasserin ist Gabriele Eder-Cakl. Sie führte die Interviews und Recherchen.

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