Dienstag 23. April 2024

„Solidarität trägt!? Katholisch-soziale Ideen im Härtetest“

V. l: Dr.in Katja Winkler, Dr. Johann Kalliauer, Dr. Manfred Scheuer, KommR Leo Jindrak, Dr. Markus Schlagnitweit

Unter diesem Titel wurde bei einer Online-Veranstaltung am 30. April 2021 die Katholische Soziallehre in den Blick genommen, die seit 130 Jahren den politischen und gesellschaftlichen Diskurs in Sozialfragen mitbestimmt.

Es diskutierten Bischof Manfred Scheuer, WKOÖ-Vizepräsident Leo Jindrak und AK OÖ-Präsident Johann Kalliauer. Dr. Markus Schlagnitweit, interimistischer Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), und Dr.in Katja Winkler, Assistenzprofessorin am Institut für Christliche Sozialwissenschaften Johannes Schasching SJ der KU Linz, führten mit Fachvorträgen ins Thema ein.

 

Vor 130 Jahren, am 15. Mai 1891, veröffentlichte Papst Leo XIII. (1878 – 1903) das erste päpstliche Rundschreiben zur Arbeiterfrage. Die Enzyklika mit dem Titel „Rerum novarum“ (Über die neuen Dinge) wurde zum grundlegenden Dokument einer systematischen und zeitgemäßen Positionierung der katholischen Kirche zu sozialen und gesellschaftlichen Fragen. Im Zentrum der Katholischen Soziallehre stehen die vier Prinzipien „Personalität“, „Gemeinwohl“, „Subsidiarität“ und „Solidarität. Drei weitere Prinzipien wurden vor allem seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) entwickelt: die vorrangige Option für die Armen, Nachhaltigkeit und Dialog. Auch Papst Franziskus stellt in seinen Texten die Prinzipien der Katholischen Soziallehre in den Mittelpunkt. So ruft er etwa im jüngsten päpstlichen Dokument Fratelli tutti 2020 zu einer Art weltweiter „Sozialpartnerschaft“ auf. Der nachhaltige Umgang mit den Ressourcen dieser Erde und die Achtung der Würde jedes Menschen sind ihm dabei ein großes Anliegen.

 

Im Rahmen des Jubiläums fand am 30. April 2021 eine Online-Veranstaltung statt, die aus der Katholischen Privat-Universität Linz übertragen wurde. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Sozialreferat der Diözese Linz, vom Bereich mensch & arbeit, der Katholischen Aktion Oberösterreich und der Katholischen Privat-Universität Linz mit Unterstützung der Gesellschaft für politische Bildung und des EB-Forum OÖ – Gemma Demokratie.

Mag.a Lucia Göbesberger vom Sozialreferat der Diözese Linz für die VeranstalterInnen: „Solidarität ist das Prinzip der Katholischen Soziallehre, das im Moment besonders gefragt ist. Einerseits war sie es, die uns im Zuge der Pandemie und auch bei anderen Krisen getragen hat. Aber es geht nicht nur um das gute Miteinander im Privaten, das Basis einer gelingenden Demokratie ist – es braucht auch die institutionelle Ausformung der Solidarität, zum Beispiel als Sozialstaat oder durch die Gesetzgebung. Auch die Sozialpartner spielen dabei eine wichtige Rolle. In diesem bewährten Rahmen des Dialogs findet der erforderliche Interessensausgleich statt. Der von Papst Franziskus in den letzten Sozialenzykliken betonte unerlässliche Dialog zu den brennenden Fragen der ökosozialen Gerechtigkeit wird hier konkret. Dieses Prinzip des Dialogs, das auch mit dieser Veranstaltung gepflegt wird, soll den Weg ebnen zum guten Leben aller auf dieser Erde.“

 

Leitlinien der Katholischen Soziallehre und ihre Relevanz für die Gegenwart

Vor dem Hintergrund der Corona-Krise, die die Bedeutung eines funktionierenden Sozialsystems vor Augen führt, wurden mit VertreterInnen aus der Sozialpartnerschaft folgende Fragen erörtert: Sind die „Leitlinien“ der Katholischen Soziallehre auch heute noch relevant? Was können sie zu einem guten Leben für alle Menschen beitragen? Geben sie Antworten auf aktuelle Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, Mehrfachbelastungen, Umweltverschmutzung? Positioniert sich die Kirche entschieden genug als Anwältin für soziale Gerechtigkeit?

 

Am Podium diskutierten Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, WKOÖ-Vizepräsident KommR Leo Jindrak (in Vertretung von Präsidentin Mag.a Doris Hummer) und AK OÖ-Präsident Dr. Johann Kalliauer. Die Moderation übernahmen Mag.a Michaela Pröstler-Zopf, Leiterin des Bereichs mensch & arbeit im Pastoralamt der Diözese Linz, und Mag. Daniel Neuböck, Leiter des Bereichs Kinder und Jugend im Pastoralamt der Diözese Linz. Im Fokus standen die Bereiche Solidarität, Arbeitslosigkeit bzw. gerechte Verteilung von Arbeit, Nachhaltigkeit und Sozialpartnerschaft.

 

 

STICHWORT SOLIDARITÄT

 

Solidarität bedeutet für mich in meiner Funktion …

 

Manfred Scheuer: „Die Solidarität untereinander und mit der Welt erfordert es, „die Würde aller Menschen in ihren familiären, zwischenmenschlichen, kulturellen, gesellschaftlichen und die Arbeit betreffenden Beziehungen“ (Papst Franziskus) zu unterstützen. In den komplexen Abhängigkeits- und Verflechtungsverhältnissen, in der „Gemeinverstrickung“ fordert Solidarität eine „Gemeinhaftung“, aber auch Empathie. Ohne konkrete Geschwisterlichkeit und Solidarität bleiben Freiheit und Gleichheit abstrakt und leere Formeln.“

 

Leo Jinkdrak: „… das Gemeinsame und Verbindende in und außerhalb der Wirtschaftskammer stets in den Vordergrund zu stellen und jene bestmöglich zu unterstützen, die es am dringendsten brauchen. Das können kranke, alte, arme oder arbeitslose Menschen sein, aber genauso geforderte Betriebe und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie jetzt während der Pandemie. Wer solidarisch sein möchte, muss freilich etwas ‚geben können‘ – dafür braucht es eine funktionierende Wirtschaft und eine positive Einstellung der Menschen zur Leistung, natürlich im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten.“

 

Johann Kalliauer: „Solidarität bedeutet für mich als AK-Präsident, für eine Gesellschaft einzutreten, in der niemand zurückgelassen und in der der gemeinsam erwirtschaftete Wohlstand gerecht verteilt wird, statt nur wenige Privilegierte immer reicher zu machen.“

 

STICHWORT ARBEITSLOSIGKEIT

 

Arbeitslosigkeit bringt Menschen – auch in Österreich – auf längere Sicht in finanzielle Nöte. Aber nicht nur das: Gesundheitliche Folgen und soziale Ausgrenzung machen Menschen, die lange nach Arbeit suchen, zu schaffen. Was ist Ihnen in Bezug auf die Katholische Soziallehre oder Sozialethik hier wichtig zu sagen?

Manfred Scheuer:
„Arbeit ist eine unverzichtbare Dimension menschlichen Lebens. Menschen wollen sich in eine sinnvolle, in eine gute Arbeit einbringen können. Von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, kratzt am Selbstbild eines jeden Menschen. Zwar ist die Würde des Menschen – und das sagt die Katholische Soziallehre ganz deutlich - unabhängig von Leistung, von Arbeit zu sehen. Aber Arbeit zu haben heißt auch, teilzuhaben an der Gesellschaft, teilzuhaben am sozialen Leben, teilzuhaben an einer Alltagsstruktur.“

 

Wie können wir allen Menschen gerecht werden? Welche Beiträge können die Wirtschaftstreibenden und UnternehmerInnen zum Wohl bzw. zum guten Zusammenleben aller leisten? Ganz konkret: Wie kann es gelingen, Arbeitsplätze für jene jungen Menschen zu schaffen, die geringer qualifiziert sind?

Leo Jindrak:
Die Unternehmerlandschaft in Oberösterreich ist sehr vielfältig und bunt: Wir haben wichtige Leitbetriebe, die weltweit exportieren und dadurch tausenden Menschen vor Ort Arbeit geben; wir haben die klassischen Familienbetriebe in zweiter oder dritter Generation, die – wie niemand anderer – für Nachhaltigkeit stehen und für sichere Arbeitsplätze vor Ort sorgen; und wir haben über 60.000 EPUs – klassische Nischenplayer, die für Innovation, Flexibilität stehen und das Salz in der Suppe sind. Diese Betriebe stellen alleine in Oberösterreich 666.000 Arbeitsplätze – ein Rekordwert, der auch während Corona nur marginal zurückging - zur Verfügung. Im Übrigen nicht irgendwelche Arbeitsplätze, sondern fair bezahlte und mit guten Arbeitsbedingungen. Österreich führt hier in allen EU-Rankings!

Der gemeinsame wirtschaftliche Erfolg bewirkt einerseits eine hohe Kaufkraft (und damit Wohlstand), andererseits eine hohe soziale Sicherheit. Durch ihre Abgaben ermöglichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Sozialstaat, dessen Leistungen weltweit zu den Besten gehören.

Die demografische Entwicklung, der Wandel in der Arbeitswelt, die Folgen des Klimawandels und neue Erwartungshaltungen einer jungen Generation verlangen jedoch Anpassungen und Korrekturen. Eine Verteilung der Arbeit auf dem Reißbrett ist, wie viele Negativbeispiele (z. B. Arbeitszeitverkürzung in Frankreich) zeigen, wenig zielführend. Ich plädiere daher für neue Formen der Aus- und Weiterbildung (Duale Akademie, Training on the Job, professionelle Berufsorientierung etc.) und einen durchlässigeren Arbeitsmarkt. Ich möchte ein gründer- und unternehmerfreundliches Klima, damit noch mehr Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und ihre Stärken ausleben können. Das hilft nicht nur Geringqualifizierten, sondern jedem, der am Arbeitsmarkt nicht so einfach vermittelbar ist. Dort, wo der erste Arbeitsmarkt Menschen nicht aufnehmen kann, bedarf es – dem christlichen Subsidiaritätsprinzip entsprechend – einer ergänzenden Unterstützung durch die öffentliche Hand.“

 

Wie vertritt die Arbeiterkammer die Interessen von arbeitsuchenden Menschen? Welche Konzepte zur gerechten Verteilung von Arbeit halten Sie aktuell für relevant? Wie kann Sozialstaat ohne Vollerwerbsgesellschaft gedacht werden?

Johann Kalliauer:
Heute ist der Tag der Arbeitslosen und morgen der 1. Mai. Rund eine Million Menschen waren 2020 zumindest einen Tag von Arbeitslosigkeit betroffen Deshalb kämpfen wir in der aktuellen Krise für den Ausbau von öffentlichen Job-Angeboten für ältere Langzeitarbeitslose und die Anhebung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70 Prozent des vorigen Nettolohns. Die Politik ist gut beraten, wenn sie am Vollbeschäftigungsziel festhält – verbunden mit einer kurzen Vollzeit für alle mit Ausgleich bei Lohn und Personal.“

 

STICHWORT NACHHALTIGKEIT

 

Welche Maßstäbe kann Kirche für ein ressourcenschonendes, nachhaltiges Wirtschaften setzen? Was kann die Kirche in Oberösterreich konkret selbst dazu beitragen?

Manfred Scheuer:
„Die Kirche hat als weltumspannende Religionsgemeinschaft große Verantwortung als Meinungsbildnerin und hat das Potential das individuelle aber auch das gesellschaftliche Bewusstsein in puncto Schöpfungsverantwortung zu schärfen. Die Betonung der „sozialen Freundschaft“ in einer regionalen und globalen Dimension ist ein Impuls, der von Seiten der Kirche kommt und zwangsläufig massive Ressourcenschonung einfordert.“

 

Wie viel Verantwortung für das Wohl aller können / wollen UnternehmerInnen übernehmen? Die Debatte zum Lieferkettengesetz läuft auf europäischer Ebene. Was erwarten Sie von der Regierungspolitik dazu?

Leo Jindrak:
„Wer ein Unternehmen gründet, verlässt bewusst die Komfortzone, nimmt ein hohes Risiko in Kauf und investiert sein Herzblut in seine Geschäftsidee. Diese wird aber nur dann aufgehen, wenn der Unternehmer seine ganz persönliche Verantwortung wahrnimmt: gegenüber seinen Mitarbeitern, ohne die er sein Unternehmensziel nicht erreichen wird; gegenüber seinen KundInnen, die durch sein Produkt einen persönlichen Mehrwert erhalten und letztlich auch die Gehälter bezahlen; gegenüber der Umwelt, die ein wichtiger Produktionsfaktor ist, deren Ressourcen aber nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen; gegenüber Staat und Gesellschaft, die durch seine finanziellen und unternehmerischen Leistungen ihre Aufgaben wahrnehmen können – egal ob es um ein hochwertiges Gesundheitssystem, eine angemessene Altersversorgung oder eine gut ausgebaute Infrastruktur geht. Unsere Unternehmen sind daher nicht ‚Gegner‘, sondern unverzichtbare und wichtige ‚Partner‘, die Wertschätzung verdienen.

Zum Lieferkettengesetz nur so viel: Wer Schaden verursacht, muss dafür geradestehen. Wenn man ein Unternehmer hingegen für andere haften lässt, begibt man sich auf dünnes Eis. Ich halte nichts vom Konzern-Bashing und einseitigen Schuldzuweisungen. So ist es gerade beim Klimathema nicht einfach, die Schadensverursacher zu eruieren. Unsere Industriebetriebe produzieren beispielsweise so umweltbewusst und nachhaltig wie kein anderer auf dem Kontinent. Wer diese in andere Länder mit niedrigeren Umweltstandards vertreibt, tut der Umwelt nichts Gutes. Und wenn man von Lieferketten und Verantwortung spricht, sollte man auch die KonsumentInnen nicht aussparen – sie sind mit ihrer Kaufentscheidung die eigentlich Mächtigen. Im Übrigen sollten derartige Regelungen nur für alle Länder synchron in Kraft treten.“

 

Was kann die Vertretung der ArbeitnehmerInnen in Verhandlungen einbringen, um weltweit gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften zu forcieren? Was bedeutet das im Hinblick auf Standortsicherung zum Beispiel in der Autoindustrie?

Johann Kalliauer:
„Freiwillige Maßnahmen reichen nicht aus, um menschenwürdige Arbeitsbedingungen, fairen Wettbewerb und eine intakte Umwelt zu schaffen. Daher brauchen Handelsabkommen verbindliche, sanktionierbare Arbeits- und Umweltstandards. Vielversprechend ist die internationale Kampagne für ein Lieferkettengesetz, das Konzerne verpflichtet, Verantwortung für die Arbeits- und Produktionsbedingungen auch in Zulieferbetrieben des globalen Südens zu übernehmen. Völlig inakzeptabel ist, dass Österreich die EU-Bemühungen, Agrarförderungen an die Einhaltung von Lohn- und Sozialstandards zu knüpfen, ablehnt. Das fördert die Ausbeutung von LandarbeiterInnen und unfairen Wettbewerb! Konzern-Eigentum bedeutet kein Recht auf Verantwortungslosigkeit! Das gilt auch für MAN Steyr. Und wir müssen jetzt den demokratischen Umbau der Fahrzeugindustrie hin zu sozial und ökologisch verträglicher Produktion starten.“

 

STICHWORT SOZIALPARTNERSCHAFT

 

Was schätzen Sie als „Außenstehender“ an den einzelnen SozialpartnerInnen, evtl. auch konkret in der Zusammenarbeit als Kirche mit ihnen? Was ist Ihnen an dieser Form von Sozialpartnerschaft wichtig?

Manfred Scheuer:
„Die Interessenvertretungen der Kammern sind Solidaritätsnetze – der ArbeitgeberInnen einerseits, der ArbeitnehmerInnen andererseits – nach innen, aber auch nach außen in ihren Vertretungsaufgaben. Aus Sicht der Kirche sind sie Beispiele für gelebte Subsidiarität, die das Wohl des Einzelnen, aber auch das Gemeinwohl im Sinne einer gerechten und ausgewogenen Gesellschaftsstruktur im Dialog in den Blick nehmen.“

 

Wofür schätzen und brauchen Sie die Arbeiterkammer als Partnerin in der Sozialpartnerschaft? Was erwarten Sie von bzw. was schätzen Sie an der Katholischen Kirche bzw. den Religionsgemeinschaften?

Leo Jindrak:
„Eine funktionieren Sozialpartnerschaft ist wertvoll und ein klarer Standortvorteil. Ich schätze daher jeden Sozial- und Standortpartner, der zwar mit Nachdruck die Interessen seiner Klientel vertritt, aber letztlich das Gemeinsame über das Trennende stellt und seinem jeweiligen Gegenüber bzw. dessen Mitgliedern mit Wertschätzung gegenübertritt. So gesehen stimmt mich der Neustart mit der OÖ AK im letzten Jahr zuversichtlich. Denn auch für uns gilt: Niemand ist so gescheit wie wir alle zusammen.

Die christlichen Kirchen sind ein unverzichtbarer Mahner, bisweilen auch ein Stachel im Fleisch, Anwalt für jene, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, und ein Ort der praktischen Nächstenliebe (Caritas, Ordenskrankenhäuser).

Was ich mir wünsche und erwarte: eine faire, nicht zeitgeistgetriebene oder einseitige Herangehensweise an die großen Herausforderungen unserer Zeit. Kirche sollte stets Kontrapunkt zum derzeit populären Schwarz-Weiß-Denken sein und sich den Luxus leisten, differenzierte und ausgewogene Lösungen zu suchen. Damit man nicht nur einzelnen Gruppen, sondern möglichst vielen Menschen guten Willens gerecht wird.“

 

Wofür schätzen und brauchen Sie die Wirtschaftskammer als Partnerin in der Sozialpartnerschaft? Was erwarten Sie von bzw. was schätzen Sie an der Katholischen Kirche bzw. den Religionsgemeinschaften?

Johann Kalliauer:
„Sozialpartnerschaft ist vor allem ein Instrument zur friedlichen und konstruktiven Austragung unvermeidbarer Interessenskonflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Vorteil beider Seiten. Insbesondere die kollektive betriebs- und branchenübergreifende Lohnfindung ist eines ihrer großen Vorteile. Die Sozialpartnerschaft hat sich auch in der Corona-Krise bewährt: Durch Kurzarbeit wurden Einkommen und Beschäftigung, aber auch die betriebliche Wissensbasis gesichert.

An der Kirche und an der Katholischen Soziallehre schätze ich den Fokus darauf, dass Wirtschaften kein Selbstzweck ist, sondern vor allem den Menschen und ihren Bedürfnissen dienen muss. Auch die von Papst Franziskus propagierte „Option für die Armen“ trifft sich mit den Forderungen der Arbeiterkammer nach einer gerechteren Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Reichtums.

Ich bin ein Fan des Sozialstaats. Er ist die Basis für die Verwirklichung eines Rechts auf hochwertige Grund-Versorgung. Er ist dem Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens eindeutig überlegen. Denn er hilft Menschen zielgenau, wenn sie besonders schutzbedürftig sind: in der Kindheit, bei Krankheit und Arbeitslosigkeit, nach Unfällen, im Alter oder bei Pflegebedarf. Im Verlauf eines Lebens kommt er allen Menschen zugute, denn jeder ist irgendwann jung, krank, alt oder pflegebedürftig.“

 

Fachvorträge zu Aspekten der Katholischen Soziallehre

 

Vor der Podiumsdiskussion gaben zwei Fachvorträge zum Thema „130 Jahre Katholische Soziallehre“ inhaltliche Impulse. Keynote Speaker waren Dr. Markus Schlagnitweit, interimistischer Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), und Dr.in Katja Winkler, Assistenzprofessorin am Institut für Christliche Sozialwissenschaften Johannes Schasching SJ der KU Linz.

 

Dr. Markus Schlagnitweit, interimistischer Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), wies in seinem Vortrag auf die Zeitbedingtheit der Katholischen Soziallehre hin: Sie sei kein dogmatisches, in sich abgeschlossenes Lehrgebäude, sondern vielmehr ein „System offener Sätze“: offen für jeweils sich neu stellende soziale Fragen, aber auch offen in der Ableitung konkreter politischer Antworten auf diese Fragen. Die Stärke der Katholischen Soziallehre liege in ihrer kritisch-korrektiven Orientierungsfunktion angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen, sie sei aber „keine gesellschaftspolitische Gebrauchsanweisung und kein Partei-Programm für christliche Politik“. Zu konkreten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Sachfragen könne es daher stets eine legitime Vielfalt an Meinungen und Positionen geben – immer auf Basis der Katholischen Soziallehre.

Gleichzeitig verwies Schlagnitweit auf bleibende Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre als „Konstanten über die Zeiten hinweg“ – „auch sie immer als korrektiv-kritische Antwort auf bestimmte gesellschaftliche Schieflagen bzw. Fehlentwicklungen“: Personalität als Gegenposition zum Kollektivismus, Solidarität als Gegenposition zum Individualismus, Subsidiarität gegen totalitären Staatsdirigismus und Zentralismus, Gemeinwohl gegen ungebremsten Liberalismus. Schlagnitweit: „Diese Grundprinzipien sind einander auch gegenseitig als Ergänzungen zugeordnet. In einer konkreten zeitgeschichtlichen Situation sind sie deshalb auch nicht einfach beliebig und je nach politischem Geschmack in Anschlag zu bringen, sondern immer als kritisches Gegengewicht zu gesellschaftlichen Einseitigkeiten.“

 

Dr.in Katja Winkler, Assistenzprofessorin am Institut für Christliche Sozialwissenschaften Johannes Schasching SJ der KU Linz, machte in ihrem Vortrag deutlich, dass katholisch-soziale Ideen aktualisierbar, veränderbar und konkretisierbar sind und dass sie auch nach 130 Jahren wichtige Impulse und Orientierungen für die sozial- und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen bieten.

Hochaktuell, so Winkler, ist zurzeit vor allem das Solidaritätsprinzip, das im Kontext der Pandemie in einem „katholischen“ Verständnis Eingang in die gesellschaftlichen Diskurse findet, das heißt als eine gesamtgesellschaftliche Solidarität über die Grenzen von Klassen, sozialen Milieus, Interessensvertretungen und Berufsgruppen hinweg.

Eine Veränderung im Vergleich zu früheren Lehrschreiben lässt sich laut Winkler in den beiden Sozialenzykliken Papst Franzikus‘ finden. Zum einen ergänzt er in Laudato si (2015) die katholische Soziallehre um das Prinzip der Nachhaltigkeit und fordert soziale und ökologische Ressourcenschonung. Zum anderen kritisiert er in Fratelli tutti (2020) pauschal den Liberalismus und plädiert für „soziale Liebe“; damit tritt er gewissermaßen aus der katholisch-sozialen Tradition heraus, die in Pacem in terris (1963) und auf dem Zweiten Vatikanum (1965) die personale Autonomie und den politischen Liberalismus anerkennt.

 

Zwei Konkretisierungen katholisch-sozialer Ideen führt Winkler zum Tag der Arbeitslosigkeit bzw. der Arbeit an: im Sinne der Nachhaltigkeit eine Begrenzung der Erwerbsarbeit und eine Ressourcenschonung des Arbeitsvermögens und im Sinne der umfassenden Solidargemeinschaft – gerade mit Blick auf die Zeit nach Corona – die soziale Sicherung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, hierzulande und weltweit.

Wie und welche Impulse aus der katholischen Soziallehre in die politische Praxis Eingang finden, so Winkler, bleibt selbstverständlich letztlich immer den gesellschaftlichen Akteuren in politischen Aushandlungsprozessen überlassen.

 

 

Presseunterlagen zum Download

 

Pressemitteilung zum Download (doc / PDF)

Vorträge zum Nachlesen (PDF)

 

Pressefotos zum Download: © KU Linz / Eder (honorarfrei

 

Foto 1: V. l.: AK OÖ-Präsident Dr. Johann Kalliauer, Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, WKOÖ-Vizepräsident KommR Leo Jindrak.

 

Foto 2: Am Podium: V. l.: Moderator Mag. Daniel Neuböck (Leiter des Bereichs Kinder und Jugend im Pastoralamt der Diözese Linz), AK OÖ-Präsident Dr. Johann Kalliauer, Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, WKOÖ-Vizepräsident KommR Leo Jindrak, Moderatorin Mag.a Michaela Pröstler-Zopf (Leiterin des Bereichs mensch & arbeit im Pastoralamt der Diözese Linz)

 

Foto 3: V. l: Dr.in Katja Winkler (Assistenzprofessorin am Institut für Christliche Sozialwissenschaften Johannes Schasching SJ der KU Linz), AK OÖ-Präsident Dr. Johann Kalliauer, Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer, WKOÖ-Vizepräsident KommR Leo Jindrak, Dr. Markus Schlagnitweit (interimistischer Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe)).

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