Donnerstag 25. April 2024

Welt-Suizid-Präventionstag 2018: Gesprächsangebot und einfühlsames Zuhören kann Suizid verhindern

Dr. Claudius Stein (Kriseninterventionszentrum Wien), Mag.a Silvia Breitwieser (TelefonSeelsorge – Notruf 142) und Alexander Pointner (betroffener Vater).

Am Welt-Suizid-Präventionstag informierte die TelefonSeelsorge OÖ mit dem Wiener Mediziner und Präventionsforscher Dr. Claudius Stein und mit Alexander Pointner am 10. September 2018 im OÖ. Presseclub über Möglichkeiten, suizidgefährdete Menschen und ihre Angehörigen zu entlasten und zu stärken.

Der 10. September ist heuer bereits zum 16. Mal Welt-Suizid-Präventionstag. Dieser Tag ermöglicht es, das Thema Suizid, das nach wie vor tabuisiert wird, in der Öffentlichkeit zur Sprache zu bringen. 2018 steht der Welt-Suizid-Präventionstag unter dem Thema „Hand in Hand für Suizidprävention / Working together to prevent suicide“. Hilfe für suizidgefährdete Menschen und ihre Angehörigen ist auch das Anliegen der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142. Bei einer Pressekonferenz im OÖ. Presseclub berichtete deren Leiterin Mag.a Silvia Breitwieser aus ihrem Beratungsalltag und informierte über Möglichkeiten, wie suizidgefährdete Menschen und ihre Angehörigen rasch und effizient unterstützt und begleitet werden können.

 

Der ehemalige erfolgreiche Skispringer und ÖSV-Trainer Alexander Pointner erzählte aus der Sicht eines Betroffenen, dessen jugendliche Tochter Suizid verübte, was ein Suizid in der Familie bedeutet und was in einer solchen Krise für die Angehörigen hilfreich ist.

 

Dr. Claudius Stein, Arzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeut und Suizidpräventionsforscher, gab detaillierte Einblicke in die Komplexität von Suizidalität und schilderte die Bedeutung und Möglichkeiten der Suizidprävention.

Im Anschluss an die Pressekonferenz luden die TelefonSeelsorge und die Citypastoral Linz um 12.15 Uhr zur einer Gedenkfeier in der Linzer Ursulinenkirche ein. Dabei wurden 207 Kerzen entzündet – eine Kerze für jeden Menschen, der im Jahr 2017 durch Suizid verstorben ist.

 

 

„Über Suizid und Depression so selbstverständlich sprechen wie über eine Grippe“

 

Wie es Eltern nach dem Suizid ihres Kindes geht, berichtete ein betroffener Vater in eindrücklichen Worten. Alexander Pointner ist ehemaliger erfolgreicher Skispringer und ÖSV-Trainer. Er und seine Frau Angela Pointner, ehemalige Volleyballerin und Erziehungswissenschafterin, haben vier Kinder. 2014 unternahm Tochter Nina einen Suizidversuch, an dem sie im Dezember 2015 im Alter von 17 Jahren starb, nachdem sie über ein Jahr im Wachkoma gelegen hatte. Zum Zeitpunkt des Suizidversuchs litt Nina unter Depressionen und war in psychiatrischer Behandlung. Vor ihr war bereits ihr älterer Bruder von Depressionen betroffen, gesundete aber, bevor Nina erkrankte.

Mit Ninas Suizid habe er „von einer auf die andere Sekunde gemerkt, was wirklich wichtig ist im Leben, so Alexander Pointner, den die Tatsache erschreckt, „dass es doppelt so viele Suizidtote wie Verkehrstote gibt“. Ihm ist es ein Anliegen, das Thema Depression und Suizid zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren, indem darüber geredet wird. „Aus dem Sport und aus dem Berufsleben weiß man, dass es wichtig ist, Informationen weiterzugeben. Beim Thema Suizid verstummt man und traut sich nicht, das Thema anzuschneiden – aus Angst, Suizidgefährdete gar nicht erst auf die Idee zu bringen, diesen Schritt zu tun. Dabei ist es im Gegenteil für den betroffenen Menschen wie eine Befreiung – er fühlt sich wahrgenommen.“

 

Auch Alexander und Angela Pointner trauten sich trotz des offenen Gesprächsklimas in der Familie nicht, Nina nach Suizidgedanken zu fragen. Pointner: „Wir haben über so viele Jugendprobleme diskutiert: über Drogen, Magersucht, Sexualität – aber nicht das Thema Suizid.“ Der Wunsch von Alexander Pointner: „Wir sollten über Suizidgedanken so selbstverständlich sprechen können wie über die Symptome einer Grippe. Auch diese kann unter Umständen tödlich sein. Aber aus Angst davor würde keiner sein Stechen in der Lunge oder seine Kurzatmigkeit verschweigen. Oder wenn sich jemand den Arm bricht, dann ist das durch einen Gips sichtbar und man redet in seinem Umfeld darüber. Man geht mit so einer Verletzung selbstverständlich zum Arzt und würde nie auf den Gedanken kommen, den Knochen selber zu schienen und den Bruch unter der Kleidung zu verstecken. Aber über psychische Erkrankungen reden viele nicht, obwohl es auch hier Hilfe und Heilung gibt. Betroffene schämen sich häufig, dass sie überhaupt Suizidgedanken haben. Und Angehörige empfinden Scham und Schuldgefühle, die sie ebenfalls sprachlos machen.“

 

Für ihn sei nach dem Suizid der Tochter die Sprachlosigkeit des Umfelds am schlimmsten gewesen – manche hätten sogar die Straßenseite gewechselt, weil sie nicht wussten, wie sie das Thema ansprechen sollten. Pointner betont, das Wichtigste für betroffene Angehörige sei „Beistand“ im wahrsten Sinn des Wortes: „dass jemand stehenbleibt und Zeit schenkt, auch ohne viele Worte“. Aufklärung und Prävention könnten helfen, dass das soziale Umfeld im Anlassfall wisse, was für betroffene Angehörige hilfreich sei. Seine Erfahrung: Betroffene und Nichtbetroffene haben im Leben unterschiedliche Fokussierungen. So habe ihn drei Monate nach dem Tod seiner Tochter jemand gefragt, ob er jetzt Cheftrainer in Finnland werde. Auf seine Antwort, seiner Familie gehe es nach dem Suizid von Nina nicht gut und der Trainerjob sei kein Thema, folgte die Frage: „Was, immer noch wegen dieser Geschichte?“ Es brauche daher Sensibilisierung, damit sich Nichtbetroffene besser in Betroffene und deren „neue Gewichtung“ einfühlen könnten. Darüber hinaus sei es wichtig, breit über Hilfsangebote zu informieren, „denn man weiß als Betroffener zuerst gar nicht, wo man sich hinwenden kann“.

 

 

Hinterbliebene brauchen ein offenes Ohr und professionelle Unterstützung

 

Dr. Claudius Stein ist Arzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeut, Suizidpräventionsforscher, Ärztlicher Leiter des Kriseninterventionszentrums Wien, das in das Projekt „Suizidprävention Austria – SUPRA“ eingebunden ist, und Stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS). Nach Stein ist Suizid eine der 20 häufigsten Todesursachen auf der ganzen Welt. Zahlen der WHO zufolge nehmen sich jährlich etwa eine Million Menschen das Leben – diese Zahl übersteigt weltweit die Zahl jener Opfer, die durch Mord, Krieg und Naturkatastrophen zu Tode kommen. Stein konkretisiert: „1,4 Prozent aller Todesfälle weltweit sind Suizide. Alle 40 Sekunden suizidiert sich ein Mensch. Bei den 15- bis 29-Jährigen ist Suizid die zweithäufigste Todesursache. Hinzu kommen die Suizidversuche, deren Zahl etwa 20-mal höher ist als jene der vollzogenen Suizide.“ Das diesjährige Thema des Weltsuizidpräventionstages „Hand in Hand für Suizidprävention“ (engl. „Working together to prevent suicide“) weise darauf hin, dass erfolgreiche Suizidprävention die Vernetzung vieler erfordere – von professionellen HelferInnen des Gesundheitswesens über Angehörige, FreundInnen und KollegInnen bis hin zu LehrerInnen und PolizistInnen. Stein zufolge ist die Suizidrate in Österreich seit Mitte der 1980er-Jahre um mehr als 40 Prozent zurückgegangen. Waren es 1986 noch 2.139 Suizide (das entspricht einer Suizidrate von 26,7 auf 100.000 EinwohnerInnen), so waren es im Jahr 2016 insgesamt 1.204 Suizide (14,5 auf 100.000 EinwohnerInnen, liegt im EU-Durchschnitt). Auffallend sei, dass sich nach wie vor deutlich mehr Männer als Frauen das Leben nähmen (2016: 907 Männer, 297 Frauen) und deutlich mehr ältere Menschen als jüngere, so der Mediziner. Trotz dieses deutlichen Rückgangs der Suizidrate, der unter anderem auf verstärkte Aufklärung und eine großflächige psychosoziale Versorgung zurückzuführen ist, dürften die Bemühungen im Bereich der Suizidprävention nicht nachlassen, so der dringende Appell des Experten.

 

Durch jeden Suizid seien etliche Menschen im unmittelbaren Umfeld betroffen, die durch den Verlust in ein Gefühlschaos gestürzt würden, betonte Stein: „Viele Hinterbliebene beschäftigt diese Erfahrung und die damit verbundenen, meist unbeantworteten Fragen ein Leben lang. Sie haben mit langandauernden Gefühlen der Trauer, Schuld, Scham, Ohnmacht und Hilflosigkeit zu kämpfen.“ Bei nahen Angehörigen bestehe das Risiko, dass sich traumatische bzw. komplizierte Trauer entwickle, wie der Experte weiß: „Der Verlust kann oft nicht adäquat verarbeitet werden und es kommt zu länger andauernden Leidenszuständen wie etwa depressiven Episoden. Ebenso ist die Gefahr deutlich höher, dass Menschen, die vom Suizid eines nahen Angehörigen betroffen sind, selbst Suizidgedanken entwickeln oder gar selbst Suizidhandlungen setzen.“ Stein wies darauf hin, dass die Situation umso dramatischer und traumatisierender sei, wenn Hinterbliebene die suizidierte Person auffinden.

 

Der Leiter des Kriseninterventionszentrums Wien betonte die Bedeutung guter Unterstützung der Hinterbliebenen nach einem Suizid. Stein: „Sie brauchen Menschen, die für sie da sind, ihnen zuhören und mit denen sie offen über das Geschehene und ihre Gefühle sprechen können. Im Gespräch kann eine vertrauensvolle Beziehung hergestellt werden, die als hilfreich erlebt wird.“ Gerade das gestalte sich aber oft schwierig – zum einen deshalb, weil es Betroffenen wegen Schuld- und Schamgefühlen schwerfalle, mit nahestehenden Menschen zu reden, zum anderen, weil viele Menschen im Umgang mit Betroffenen unsicher und überfordert seien. Die Empfehlung des Experten: „Keine Scheu haben, nachfragen und aktiv Hilfe anbieten bzw. vermitteln. Ein offenes Zugehen macht es dem bzw. der Betroffenen leichter, Unterstützung anzunehmen.“ Gerade wenn das Gespräch mit Personen aus dem persönlichen Umfeld schwerfalle, sei eine gute professionelle Unterstützung unerlässlich – und diese müsse „rasch und möglich kostenfrei“ zur Verfügung stehen, so Stein.

 

Als mögliche Anlaufstellen nannte der Experte Kriseninterventionsteams und -einrichtungen, die TelefonSeelsorge, die Kontaktstelle Trauer der Caritas oder die Trauerbegleitung des Roten Kreuzes OÖ, aber auch niedergelassene PsychotherapeutInnen, PsychologInnen, PsychiaterInnen und HausärztInnen. Stein wies auch auf Selbsthilfegruppen als wichtige Unterstützung hin.

 

Stein räumte mit dem Vorurteil auf, man dürfe Suizidgefährdete nicht auf ihre möglichen Suizidgedanken ansprechen, weil sie dies vielleicht erst auf die Idee bringe: „Man regt niemanden dazu an, wenn man darüber spricht.“ Der Experte riet zu einer offenen Kommunikation: daran denken – danach fragen – darüber sprechen.

 

 

Sprachlosigkeit überwinden und verengte Sichtweisen erweitern

 

Da sein, zuhören, Beistand leisten – das auch ist der Auftrag der MitarbeiterInnen der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142, wie deren Leiterin Mag.a Silvia Breitwieser betont. „Unser Angebot ist anonym, vertraulich und gebührenfrei und steht rund um die Uhr zur Verfügung. Bei uns können sich die Menschen einfach einmal alles von der Seele reden – ohne bewertet zu werden, ohne Scham und ohne das Gefühl, versagt zu haben.“ Viele Menschen, die die Nummer der TelefonSeelsorge wählen, stellen das Warum des Lebens in Frage, „aber sie wollen noch etwas vom Leben, und das ist ein gutes Zeichen“, so Breitwieser. Hauptanliegen der MitarbeiterInnen am Telefon sei es, die Verzweiflung und Enge der Betroffenen mitauszuhalten und nicht zu beschönigen oder abzumildern. „Wenn man die eigene Situation anderen mitteilt, geschieht Öffnung. Durch ein Telefonat kann schon viel geschehen – etwa wenn wir einen betroffenen Menschen dazu motivieren können, sich seinem Umfeld anzuvertrauen oder eine Beratungsstelle aufzusuchen und sich so mit ihrem Problem zu zeigen. Im Gespräch werden oft die Sichtweisen auf das eigene Leben erweitert und die Perspektive aufgezeigt, dass Krisen bewältigbar sind.“

 

Für all jene, die nicht gerne telefonieren, bietet die TelefonSeelsorge auch Online-Beratung in Form von Mail- und Chat-Beratung an.

 

www.ooe.telefonseelsorge.at | Notruf 142

 

 

Wesentlicher Beitrag zur Suizidprävention: sensible Medienberichterstattung

 

Dr. Claudius Stein appellierte an die JournalistInnen, bei Suiziden auf eine sensible Berichterstattung zu achten. Berichte in bestimmter Form, die etwa die Details der Methode des Suizids ausschmücken oder die Umstände vereinfachen, würden zur Imitation verleiten. Ein Suizid sei immer das Ergebnis komplexer Umstände. Hilfreich sei, medial Personen zu Wort kommen zu lassen, die schildern, wie sie eine Lebenskrise bewältigt hätten und was geholfen habe, betonte der Experte. Dass sich die Medienberichterstattung bei Suizidfällen in den letzten Jahren zum Positiven verändert habe, sei mit ein Grund für den Rückgang der Suizidrate, so Stein.

 

 

interessantes zum Thema

 

Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid

 

Suizid und Suizidprävention in Österreich (SUPRA, 2016)

 

Weitere Broschüren, Downloads und Links: www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention/anlaufstellen/broschueren-links

 

 

Presseunterlagen zum Download

 

Pressemitteilung zum Download (doc / PDF)

Statements von Dr. Claudius Stein, Alexander Pointner und Mag.a Silvia Breitwieser (doc / PDF)

 

Pressefotos zum Download: honorarfrei / Credit siehe jeweiliges Foto

 

Fotos von der Pressekonferenz: © Diözese Linz / Fürlinger

 

Foto 1 und Foto 2:
V. l.: Dr. Claudius Stein (Kriseninterventionszentrum Wien), Mag.a Silvia Breitwieser (TelefonSeelsorge – Notruf 142) und Alexander Pointner (betroffener Vater).

 

Foto 3:
V. l.: Mag.a Silvia Breitwieser (TelefonSeelsorge – Notruf 142), Alexander Pointner (betroffener Vater) und Dr. Claudius Stein (Kriseninterventionszentrum Wien)

 

Foto „Buchcover ‚Mut zur Klarheit‘ von Angela und Alexander Pointner“ © Christian Forcher

Foto 1, Foto 2, Foto 3, Foto 4, Foto 5, Foto 6: Angela und Alexander Pointner mit ihrem Buch „Mut zur Klarheit“. © Christian Forcher

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