Montag 6. Mai 2024

"Verbrechen des Missbrauchs ausmerzen"

Der Anti-Missbrauchs-Gipfel im Vatikan (21.–24. Februar 2019) ist zu Ende. Die Bilanz: Die Abschlussrede des Papstes hat viele enttäuscht, die sich konkretere Maßnahmen erwartet hatten. 

"Verbrechen des Missbrauchs ausmerzen"

 

Kathpress veröffentlichte wesentliche Passagen der Rede von Papst Franziskus zum Abschluss des vatikanischen Kinderschutzgipfels (24. Februar 2019) im Wortlaut:

 

"Liebe Brüder und Schwestern,

 

(...) Unsere Arbeit hat uns dazu geführt, einmal mehr anzuerkennen, dass das schwere Übel des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen leider in allen Kulturen und Gesellschaften ein geschichtlich verbreitetes Phänomen ist. (...)

 

Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die weltweite Verbreitung dieses Übels bestätigt, wie schwerwiegend es für unsere Gesellschaften ist, schmälert aber nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche.

 

Die Unmenschlichkeit dieses Phänomens auf weltweiter Ebene wird in der Kirche noch schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht. Die gottgeweihte Person, die von Gott auserwählt wurde, um die Seelen zum Heil zu führen, lässt sich von ihrer menschlichen Schwäche oder ihrer Krankheit versklaven und wird so zu einem Werkzeug Satans.

 

(...)

 

Wenn in der Kirche auch nur ein Missbrauchsfall ausfindig gemacht worden wäre - was an sich schon eine Abscheulichkeit darstellt, - so würde dieser Fall mit der größten Ernsthaftigkeit angegangen. In der Tat erblickt die Kirche in der gerechtfertigten Wut der Menschen den Widerschein des Zornes Gottes, der von diesen schändlichen Gottgeweihten verraten und geohrfeigt wurde. (...)

 

Welches wäre also die existenzielle "Bedeutung" dieser kriminellen Erscheinung? Unter Berücksichtigung ihrer menschlichen Weite und Tiefe ist sie nichts anderes als der gegenwärtige Ausdruck des Geistes des Bösen. Wenn wir uns diese Dimension nicht vergegenwärtigen, werden wir der Wahrheit fern und ohne wahre Lösungen bleiben. (...)

 

Und so wie wir alle praktischen Maßnahmen ergreifen müssen, die der gesunde Menschenverstand, die Wissenschaften und die Gesellschaft uns bieten, so dürfen wir diese Wirklichkeit nicht aus dem Blick verlieren und müssen die geistlichen Maßnahmen treffen, die der Herr selbst uns lehrt: Demütigung, Selbstanklage, Gebet, Buße. Das ist die einzige Weise, um den Geist des Bösen zu besiegen. So hat ihn Jesus besiegt. (...)

 

Es ist daher die Stunde gekommen zusammenzuarbeiten, um diese Brutalität aus dem Leib unserer Menschheit herauszureißen, indem wir alle notwendigen Maßnahmen anwenden, die auf internationaler und kirchlicher Ebene schon in Kraft sind. Es ist die Stunde gekommen, das richtige Gleichgewicht aller Werte zu finden, die auf dem Spiel stehen, und einheitliche Richtlinien für die Kirche zu geben. (...)

 

In diesem Zusammenhang möchte ich 'Best Practices' erwähnen, die unter der Leitung der Weltgesundheitsorganisation von einer Gruppe von zehn internationalen Agenturen formuliert wurden (...)

 

Wenn sich die Kirche auf ihrem gesetzgeberischen Weg dieser Leitlinien bedient (...) , wird sie sich auf folgenden Dimensionen konzentrieren:

 

1. Kinderschutz: Das Hauptziel jeder Maßnahme besteht darin, Kinder zu schützen und zu verhindern, dass sie Opfer psychischer und physischer Gewalt gleich welcher Art werden. Daher ist ein Mentalitätswechsel erforderlich, um die Abwehrhaltung zum Schutz der Institution zu bekämpfen und so eine aufrichtige und entschlossene Suche nach dem Wohl der Gemeinschaft zu fördern. Hierbei ist den Opfern von Missbrauch in jeder Hinsicht Vorrang einzuräumen. (...)

 

2. Absolute Ernsthaftigkeit: Ich möchte hier wiederholen, dass "die Kirche keine Mühen scheuen wird, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz zu unterstellen. Die Kirche wird nie versuchen, einen Fall zu vertuschen oder unterzubewerten". (...)

 

3. Wirkliche Reinigung: (...) Die Kirche bekräftigt daher den festen Willen, 'den Weg der Reinigung mit all ihrer Kraft fortzusetzen. Die Kirche wird sich, auch unter Hinzuziehung von Experten, darüber beraten, wie die Kinder zu schützen sind; wie solche Katastrophen vermieden werden können, auf welche Weise man sich der Opfer annehmen und sie reintegrieren kann; wie man die Ausbildung in den Seminaren verbessert.' (...)

 

4. Ausbildung: Das heißt, die erforderliche Auswahl und Ausbildung der Priesteramtskandidaten nicht nur nach negativen Kriterien durchführen, die in erster Linie darauf abzielen, problematische Persönlichkeiten auszuschließen, sondern auch nach positiven Maßstäben: Den geeigneten Kandidaten muss ein ausgewogener Ausbildungsweg geboten werden, der auf Heiligkeit ausgerichtet ist und die Tugend der Keuschheit mit einschließt. (...)

 

5. Die Leitlinien der Bischofskonferenzen verstärken und verifizieren: Das heißt, die erforderliche Einheit der Bischöfe bei der Anwendung der Parameter, die als Normen und nicht bloß als Orientierungen gelten müssen, neu bekräftigen. Kein Missbrauch darf jemals vertuscht (so wie es in der Vergangenheit üblich war) oder unterbewertet werden, da die Vertuschung von Missbrauch die Verbreitung des Übels begünstigt und zusätzlich eine weitere Stufe des Skandals darstellt. Im Besonderen muss ein neuer wirksamer Ansatz zur Prävention in allen Einrichtungen und Bereichen kirchlicher Tätigkeit entwickelt werden.

 

6. Missbrauchte Personen begleiten: Das Übel, das ihnen widerfahren ist, lässt in ihnen unheilbare Wunden zurück, die sich auch in Form von Hass und selbstzerstörerischen Tendenzen zeigen. Die Kirche hat daher die Pflicht, ihnen jede notwendige Hilfe zukommen zu lassen und dabei auf Fachleute auf diesem Gebiet zurückzugreifen. (...)

 

7. Digitale Welt: (...) Seminaristen, Priester, Ordensmänner und -frauen, in der Pastoral Tätige und alle Menschen müssen sich bewusst sein, dass die digitale Welt und die Anwendung ihrer Instrumente oft viel mehr damit zu tun hat, als man denkt. Hier muss man die Länder und die Verantwortungsträger dazu ermutigen, alle notwendigen Maßnahmen zur Einschränkung von Webseiten anzuwenden, welche die Würde von Männern, Frauen und insbesondere von Minderjährigen gefährden: Eine Straftat kann kein Recht auf Freiheit beanspruchen. (...) Hierbei unterstreiche ich die neuen Normen über schwerwiegendere Straftaten, die im Jahr 2010 von Papst Benedikt XVI. approbiert wurden. Darin wurde als Delikt der "neue Tatbestand des Erwerbes, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornografischer Bilder von Minderjährigen" durch einen Kleriker "in jedweder Form und mit jedwedem Mittel" hinzugefügt. Damals war von Minderjährigen "unter 14 Jahren" die Rede. Jetzt denken wir, dass diese Altersgrenze angehoben werden muss (...)

 

8. Sextourismus: (...) Bei der Bekämpfung von Sextourismus muss größerer rechtlicher Druck ausgeübt werden; es müssen aber auch den Opfern dieses verbrecherischen Phänomens Unterstützung und Projekte zur Wiedereingliederung angeboten werden. Die kirchlichen Gemeinschaften sind aufgerufen, die Seelsorge für die vom Sextourismus ausgebeuteten Menschen zu verstärken. (...)

 

Lasst mich allen Priestern und gottgeweihten Personen innigen Dank sagen, die dem Herrn vollkommen und treu dienen. Sie fühlen sich vom schändlichen Verhalten einiger ihrer Mitbrüder entehrt und in Misskredit gebracht. Alle - die Kirche, gottgeweihte Personen, das Volk Gottes und sogar Gott selbst - tragen wir die Folgen ihrer Untreue. (...)

 

Das beste Ergebnis und die wirksamste Resolution, die wir den Opfern, dem Volk der heiligen Mutter Kirche und der ganzen Welt bieten können, besteht im Bemühen um eine persönliche und gemeinschaftliche Bekehrung sowie in der Demut, zu lernen und den am meisten Verwundbaren zuzuhören, ihnen beizustehen und sie zu schützen.

 

Eindringlich appelliere ich an alle Verantwortungsträger und an die einzelnen Personen, in allen Bereichen gegen den Missbrauch von Minderjährigen zu kämpfen, im sexuellen wie in den anderen Bereichen, denn es handelt sich um abscheuliche Verbrechen, die auf dem Antlitz der Erde ausgemerzt werden müssen: Darum bitten viele verborgene Opfer in den Familien und in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft."

 

Papst Franziskus

Der Papst fand in seiner Abschlussrede klare Worte, die vielen zu wenig weit gingen. © Stefano Spaziani

 

Vatikan plant konkrete Maßnahmen nach Anti-Missbrauchsgipfel

 

Zum Abschluss des Anti-Missbrauchsgipfels hat der Vatikan weitere konkrete Maßnahmen bekanntgegeben. So soll es in Kürze einen Papst-Erlass "zum Schutz von Minderjährigen und schutzbefohlenen Personen" geben, teilte der Moderator des viertägigen Treffens, Federico Lombardi, am Sonntag, 24. Februar 2019 vor JournalistInnen mit. Dieses "Motu proprio" solle die Vorbeugung und den Kampf gegen Missbrauch vonseiten der römische Kurie und des Vatikanstaats stärken. Begleitet werde dieses von einem neuen Gesetz für den Staat der Vatikanstadt sowie Richtlinien für das Vikariat des Vatikan.

 

Des Weiteren werde die Glaubenskongregation ein "Vademecum" veröffentlichen, das Schritt für Schritt auflistet, wie Bischöfe mit Fällen umzugehen haben und wie Prävention auszusehen hat. Außerdem habe der Papst den Wunsch geäußert, eine Art von "Task Forces" zu schaffen, besetzt mit ExpertInnen verschiedener Disziplinen. Diese sollen jenen Bischofskonferenzen und einzelnen Diözesen helfen, die sich schwer tun, das Problem anzugehen und Präventionsmaßnahmen in die Wege zu leiten, erläuterte Lombardi.

 

Am Montag, 25. Februar trafen sich zudem die Organisatoren der Konferenz mit den Leitern der vatikanischen Behörden, die an dem Treffen genommen hatten. Das Ziel: die Festlegung weiterer konkreter Folgemaßnahmen, die sich aus den Ideen und Vorschlägen der vergangenen Tage ergeben haben.

 

Vatikan

Federico Lombardi kündigte konkrete Maßnahmen des Vatikan an. © bohemidan / www.pixabay.com CC0 1.0

 

 

Nach dem Anti-Missbrauchsgipfel: eine Kathpress-Bilanz von Roland Juchem

 

Alle hatten gebannt auf die Abschlussrede des Papstes gewartet. Am Ende der viertägigen Beratungen von 190 Bischöfen, Ordensoberen und Kurienchefs aus aller Welt sollte Konkretes stehen. Und dann waren viele enttäuscht. Dabei hatte Franziskus selbst zu Beginn dieser bisher einmaligen Kirchenkonferenz gesagt: "Das heilige Gottesvolk (...) erwartet nicht nur einfache Verurteilungen, sondern konkrete und wirksame Maßnahmen!"

 

Dass der Papst in der Rede am Sonntag acht Punkte nannte, an denen weitergearbeitet werde, reichte vielen nicht. Viele hatten neue Gesetze, aktuelle Fallzahlen oder Namen von Tätern erwartet. Ob die Kritik milder ausgefallen wäre, hätte Franziskus die drei Stunden später in einer Pressekonferenz angekündigten Schritte in seiner Rede erwähnt, steht dahin. Platz wäre gewesen.

 

Der Papst wollte noch einmal das große Bild zeichnen, in dem er die Kirche und ihren Missbrauchsskandal sieht. Seine Verweise, dass dies ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, dass Gewalt gegen Kinder nicht nur sexueller Art ist, spiegeln auch die Gespräche während des Gipfels wider. Dass der Hinweis auf den größeren Zusammenhang keinesfalls die Schuld und das Versagen der Kirche schmälerten, sagte er ebenfalls klar. Auch Schuldbekenntnisse gab es, zuletzt am Abend vorher beim Bußgottesdienst in dem allerdings unpassenden Rahmen der "Sala Regia" des Apostolischen Palastes.

 

Das am Sonntagmittag vom Moderator des Treffens, P. Federico Lombardi, vor der Presse quasi aus dem Hut gezogene Motu Proprio des Papstes "zum Schutz von Minderjährigen und schutzbefohlenen Personen" klingt beeindruckend. Es beinhaltet aber wohl nur jene Richtlinien zum Kinderschutz, die die Bischofskonferenzen schon 2011 erstellen und seither aktualisieren sollten. Dieses Mal gelten sie dem Staat der Vatikanstadt. Der macht nicht viel Jugendarbeit, hat aber unter anderem ein kleines Seminar und den Chor der Sixtina. Der Entwurf dieses Motu Proprio soll dem Vernehmen nach seit fast zwei Jahren fertig sein, ist also kein Ergebnis des Gipfels.

 

Wann das ebenfalls angekündigte Vademecum kommt, ist unklar. Einige meinen binnen weniger Tage, andere zweifeln, dass mit der Abfassung bereits begonnen wurde. Dass es nötig ist, daran zweifelt keiner. Was nützen die besten Gesetze und Vorschriften, warnen Experten wie Hans Zollner oder Charles Scicluna, wenn Kirchenobere, die keine Juristen sind, nicht wissen, wie sie diese anwenden sollen.

 

Das Konzept für die Task Forces, die der Leiter des Kinderschutzzentrums an der Gregoriana Hans Zollner, schon vor dem Gipfel ins Spiel gebracht hatte, stehe, bestätigte er gegenüber "Kathpress". Leute gebe es auch, was fehle, sei die zentrale Koordination im Vatikan. Die muss, davon ist auszugehen, genügend Autorität besitzen, falls die Expertenteams zu Aufklärung und Prävention nicht nur gern angenommene Hilfe sind, sondern auch mehr oder sanft geschickte Nachhilfe.

 

Die Strafrechtsreform des Kirchenrechts ist seit zehn Jahren im Gange. Der Missbrauchsskandal verschafft ihr zunehmende Dringlichkeit. Dabei wird auch klar, warum Bischöfe früher so zögerlich oder gar nicht reagiert haben, wenn Fälle von Missbrauch bekannt wurden. In den 1970er und 1980er Jahren waren Strafen in der Kirche verpönt, eher setzte man – wie auch außerhalb der Kirche – auf Pastoral und Psychologie.

 

Zu den von Opfern immer wieder geforderten Namenslisten von Beschuldigten oder Verurteilten ist allein staatlicherseits die Rechtslage völlig unterschiedlich – etwa zwischen USA und Europa oder Australien. Von der Gefahr möglicher Lynchjustiz in Ländern andernorts abgesehen. Über Einzelfälle wollten die Verantwortlichen bei den Pressekonferenzen vergangene Woche nicht reden, es seien Untersuchungen im Gange.

 

Die Ahndung von Bischöfen, die bei Missbrauchsverdacht nicht reagiert oder Fälle gar vertuscht haben, bleibt eine große Baustelle. Für den 2016 veröffentlichten Erlass namens "Wie eine liebende Mutter", der es ermöglicht, Bischöfe wegen solchen Fehlverhaltens abzusetzen, fehlen bis heute Ausführungsbestimmungen. Ob es behördeninterne Verfahrensregeln gibt oder eine Koordination zwischen den vier betroffenen Dikasterien (Bischöfe, Ordensleute, Mission und Ostkirchen) ist unklar. Die "liebende Mutter" Kirche entschließt sich nicht so recht, ihren höchstrangigen Söhnen die Ohren langzuziehen.

 

Es ist weniger Unwille als wohl eher Unprofessionalität, die hinter mancher Zögerlichkeit im Vatikan steckt. Franziskus ist ein Seelsorger, weniger strukturierter Organisator. Seinen Kampfeswillen gegen Missbrauch schmälert das nicht, eher die Umsetzung. Am Montagvormittag berieten die Kurienchefs mit den Organisatoren des Gipfels. Sie wollen liefern, verspricht – knapp zusammengefasst – Vatikansprecher Gisotti am Montagnachmittag. Ausgangspunkt aller Maßnahmen sei das Hören auf die Opfer. Mehr Laien sollten beteiligt werden und überall Ausbildung sowie Prävention verbessert werden. Über alles werde klar und detailliert informiert. "Das heilige Volk Gottes" wird genau hinschauen.

 

Kathpress

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