Freitag 29. März 2024

Mutter und Innigkeit

Zwei nackte Körper - eine Frau und ein Säugling - liegen am Boden auf einem weißen Tuch. Ansonsten gibt es nichts zu sehen. Keinen Stuhl, kein Bett, keine Requisiten. Im Hintergrund lediglich eine beruhigend blaue Fläche.

Die Betrachterinnen und Betrachter dieses Bildes werden ganz auf die Innigkeit des Augenblicks verwiesen - auf die Symbiose von Mutter und Kind. Bei dem 1906 gemalten Ölgemälde handelt es sich um eine der innovativsten Mutter-Kind-Darstellungen der Kunstgeschichte. Innovativ, weil dieses Bild mit dem Titel "Liegende Mutter mit Kind" mit allen Traditionen der abendländischen Kunst bricht. Dass Säuglinge, auch Jesus, nackt dargestellt wurden, war üblich. Aber eine Mutter wurde, abgesehen von der entblüßten Brust bei Stillbildern, niemals nackt gezeigt.

 

Paula Modersohn-Becker: Liegende Mutter mit Kind II, 1906, Paula Modersohn-Becker Museum Bremen. © Manchot sanguinaire/wikimedia.org (gemeinfrei)

 

Sicherlich gab es immer Darstellungen nackter Frauen. Aber das waren dann begehrenswerte erotische Frauen wie "Venus" oder "Susanna im Bade" und keine Mütter, alle gemalt von männlichen Künstlern natürlich.

 

Man kann sich also vorstellen, wie Aufsehen erregend dieses Motiv war, als Paula Modersohn-Becker es Anfang des vorigen Jahrhunderts auf die Leinwand pinselte.

 

Als Kunsthistorikerin begeistert mich dieses Bild nicht nur aufgrund seiner schlichten, elementaren Ausdrucksweise. Sondern auch, weil hier eine Malerin mit einem weiblichen Blick eine vollkommen neue Sichtweise auf Frauen aufzeigt und zugleich das Natürlichste auf der Welt - eine nackte Mutter mit ihrem nackten Säugling in zärtlicher Umarmung - erstmals zu einem bildwürdigen Thema erklärte.

 

Als Mutter geht mir dieses Bild nahe, weil es mich an die ersten Wochen mit meinen Kindern erinnert. An eine Zeit der Innigkeit, in der weder Nachrichten, noch meine Arbeit, noch die Hektik der Konsumgesellschaft mich aus der Ruhe bringen konnten. Dass es Modersohn-Becker gelang, derartige Momente in Farben und Formen auszudrücken, obwohl ihr Kinderwunsch damals noch unerfüllt blieb, berührt umso mehr. 

 

Quellenangabe:

Schwanberg, Johanna: Mutter und Innigkeit. In: kunst und kirche, Nr. 03/2010. S. 21.

 

Erstmals erschienen in:

Präsidium des Evangelischen Kirchbautages, in Verbindung mit dem Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg, Deutschland, vertreten durch Prof. Dr. Thomas Erne und Diözesan-Kunstverein Linz, in Verbindung mit dem Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie, Katholisch-theologische Privatuniversität Linz, Österreich, vertreten durch Prof. DDr. Monika Leisch-Kiesl (Hrsg.) (2010): kunst und kircheMutter unser - Suche nach Mutterbildern in der Kunst. Nr. 3/2010. Wien/New York: Springer.

 

(sp)

MMMag. Hubert Nitsch
MMMag. Hubert Nitsch

Kunstreferent der Diözese Linz

"kunst und kirche"-Bücherregal

Sichtbar gemacht
Paul Klee: Abstraction with Reference to a Flowering Tree (1925) / National Museum of Modern Art, Tokyo. © Daderot/wikimedia.org

Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder,

sondern macht sichtbar…

(Paul Klee)

Kulturgüter der Orden
Im Blickpunkt: „kunst und kirche”
kunst und kirche. © Springer Verlag

„kunst und kirche”, seit 1971 als ökumenische Zeitschrift für Architektur und Kunst erscheinend, widmet sich immer wieder Themen wie neuen Kirchenbauten, religiösen Traditionen in Phänomenen der Gegenwartsarchitektur, Transformationen zentraler christlicher Inhalte in zeitgenössische Kunst oder der Rolle von Kunst im interreligiösen Dialog. Sie beleuchtet Kunst und Architektur vor einem philosophischen und religiösen Hintergrund. Günter Rombold als Doyen der Zeitschrift freut sich: „Ich finde, die Zeitschrift geht einen guten Weg. Die Kunst hat sich verändert, und die Zeitschrift greift diese jungen Positionen auf; das finde ich gut...”

Im Bild: Engel von Paul Klee

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Impuls zu Paul Klees Engelbilder

Ausstellung „Paul Klee - Engel”

Hamburger Kunsthalle (2013)

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