Altar oder Kühlschrank?
Predigt 18. Sonntag im Jahreskreis, 4.8.2024
Perikopen: Eph 4,17.20-24 Joh 6,24-35
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Ein wichtiger Ort in unseren Kirchen ist der Tabernakel, in dem das Allerheiligste aufbewahrt wird. Hans Magnus Enzensberger, ein zeitgenössischer und zeitkritischer Schriftsteller, hat ein Gedicht geschrieben, bei dem man aufs Erste meinen würde, es handle sich um den Tabernakel. Aber schon die Überschrift „Profane Offenbarung“ sagt uns, dass es sich um etwas ganz anderes, etwas Weltliches handelt. Aber zuerst einmal das Gedicht und dann wollen wir es in Verbindung mit dem heutigen Evangelium bringen.
Profane Offenbarung Schneeweißes Tabernakel selbst der ewige Säufer findet Gnade vor dir im Handumdrehn spendest du der Sünderin die Absolution und erleuchtest die Schlaflosen, die in deinem hellen Widerschein vor dir knien nächtlicher Trost der Dürstenden, süßer Nothelfer aller Hungerleider! Verheißungsvoll offenbarst du dich den Bedürftigen, winziger eisiger Garten Eden! Mit Manna segnest den Pilger du, mit frischen Pfirsichen, Trauben, schimmernden Kirschen und Wein. Altar oder Kühlschrank: vor die Wahl gestellt, so mancher fromme Glaube, glaubt mir, geriete ins Wanken.
Erstens: Was ist das Allerheiligste in meinem Leben? Wovon gehe ich in die Knie. ,,Schneeweißes Tabernakel,“ beginnt das Gedicht. Der Tabernakel enthält für uns Christus, das Allerheiligste. Davor gehen wir in die Knie beim Betreten und Verlassen der Kirche. Aber schnell lässt das Gedicht erkennen, dass es doch nicht um den Tabernakel in der Kirche geht. An seine Stelle ist ein anderes Heiligtum getreten, vor dem Menschen in die Knie gehen. Das Gedicht spricht vom „eisigen Garten Eden“, vom Kühlschrank. Der Kühlschrank, heute in allen Größen zu haben, ist Kultsymbol der Konsumgesellschaft geworden. Die Situation im Gedicht ist ein Mensch, der nachts schlaflos durch die Wohnung irrt und beim Kühlschrank landet. Steht er am Boden, muss man in die Knie gehen, wie bei der Anbetung. Die Tür wird geöffnet, ein Licht geht an, auch ein ewiges Licht. Dieses Licht erleuchtet den Schlaflosen. Hier findet der Säufer Gnade, das was er braucht, und die Sünderin im Handumdrehen Absolution, Lossprechung, wenn sie gegen die Diätvorschriften verstoßen hat. Was ist das Allerheiligste in meinem Leben? Wovon gehe ich in die Knie? Wer kann den wirklichen Hunger der Menschen stillen? Fragen über Fragen, die uns nicht kalt lassen sollen.
Zweitens: Umdeutung und Verkehrung des Religiösen ins Weltliche. Verweltlichung bzw. Säkularisierung. Das Gedicht ist eine Offenbarung, aber keine Offenbarung Gottes, sondern eine weltliche, eine profane Offenbarung, wie es schon die Überschrift sagt. Es wird uns rein Weltliches, rein Irdisches gezeigt. Die religiösen Begriffe, die uns vielfach fremd geworden sind, sind alle noch da im Gedicht: Gnade, Sünde, Absolution, Nothelfer, Manna. Aber sie haben nichts mehr mit Gott zu tun. Ihr ursprünglicher Inhalt ist weg. Sie sind verweltlicht worden. Der Tabernakel, in dem sich das Paradiesische befindet, ist zum Kühlschrank geworden, zu einem eisigen Garten Eden. Der Inhalt ist ausgewechselt, so wie wenn man einen Beichtstuhl oder eine Kniebank in einen Partykeller stellt. Mancher wird sich denken, dass Altar oder Kühlschrank nicht unbedingt eine Alternative sein muss. Man kann ja beides verbinden, tagsüber Kühlschrank und für die religiöse Feierstunde, die gar nicht so oft sein muss, dann ein bisschen Tabernakel. Doch letztlich geht es um eine Entscheidung: Vor wem oder was gehe ich in die Knie? Sogar mach frommer Glaube kommt da ins Strudeln, wie es das Gedicht am Ende aussagt. Wo der Glaube schwindet, tritt anderes an seine Stelle, für nicht wenige der Konsum.
Drittens: Da braucht es dringend ein Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium: „Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die bleibt für das ewige Leben.“ Was ist das für eine Speise? Keine Götterspeise. Man muss sich um diese Speise bemühen, wie Jesus sagt, sie ist nicht im Handumdrehen zu haben. Ich kann mich da auch nicht einfach selber bedienen, wie beim Kühlschrank. Es geht um Jesus. Er will unseren Hunger und Durst stillen. Dafür müssen wir uns sein Denken und Handeln zu eigen machen, das sich in einer Haltung bündelt, und diese heißt Hingabe. „Das Brot das ich geben werde ist mein Fleisch für das Leben der Welt.“ Im Abendmahl vollzieht Jesus Hingabe bis zum Äußersten, bis zum Tod am Kreuz. Das ist sein Leben für uns, Hingabe. Diese Haltung soll zu unserer Haltung werden, dann bleibt der Tabernakel auch Tabernakel, und wird nicht zu einer weltlichen Offenbarung.
Liebe Brüder und Schwestern!
Altar oder Kühlschrank? Was ist das Allerheiligste in meinem Leben? Wovor beuge ich die Knie. Wie kann ich Hingabe verwirklichen, dass Religiöses auch Religiöses bleibt oder wieder wird. Wir dürfen nicht nur säkularisieren, verweltlichen, sondern brauchen jene Entweltlichung, von der der verstorbene Papst Benedikt oft gesprochen hat. „Er ist da,“ so hat der heilige Pfarrer von Ars, dessen Gedenktag heute ist, öfters zu seinen Pfarrangehörigen gesagt. „Er ist da!“ Das ist eine göttliche Offenbarung und die braucht es, sonst nichts. Amen.