Schweigen Gottes
Predigt Karfreitag, 29.3.2024
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Mit dem Tod Jesu beginnt ein gewisses Schweigen. Nach der Kreuzigung Jesu verharrt die Kirche in einer Art Schockstarre, zunächst vor dem Kreuz, dann vor dem Heiligen Grab. Ihr Gebet ist Schweigen. Wir können das wohl nachvollziehen. Wir brauchen nur daran zu denken, wie es uns ergeht, wenn wir vom Sterben und Tod eines lieben Menschen erfahren oder gar dabei gewesen sind. Da bleibt einem jedes Wort im Hals stecken. Der Karfreitag gibt uns auch das Recht dazu, wenn wir uns die Leidensgeschichte Jesu vor Augen führen, die Finsternis seines Todes, sein Schrei am Kreuz: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Der englische Schriftsteller Gilbert Chesterton meinte deshalb einmal: „Sollten Atheisten doch einmal eine Religion brauchen, dann empfehle ich ihnen das Christentum, denn in dieser Religion war Gott für einen Augenblick Atheist.“ … nämlich beim Gebet des Gekreuzigten: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Da war Gott gottverlassen. In unserem Glaubensbekenntnis bekennen wir „hinabgestiegen ist in das Reich des Todes.“ Was hier mit wenigen Worten zum Ausdruck gebracht wird, die wir oft gar nicht wahrnehmen, besagt nichts anderes, als das Jesus Christus die Gottverlassenheit und Finsternis des Todes durchlebte. Er hat damit die Warum-Frage stellvertretend für die gesamte Menschheit ausgehalten hat. Das bedeutet für uns ganz lebens- und glaubenspraktisch: Wenn wir keine Antwort wissen, wenn uns das Leid erdrückt, wenn uns Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit quält, wenn die Finsternis alles Licht in unserem Leben zudeckt, haben wir immer noch oder wenigstens noch Jesus Christus, der mit uns oder für uns betet: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen …“
Liebe Brüder und Schwestern!
Unsere Aufgabe am Karfreitag und am Karsamstag besteht darin, gemeinsam mit Jesus Christus das Schweigen Gottes auszuhalten, und nicht gleich zu sagen: Ja aber, da ist doch noch mehr … Der eigentliche Karfreitagspsalm ist daher nicht der Psalm 22 – „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – sondern der Psalm 88. Im Stundengebet der Kirche bildet dieser Psalm 88 jede Woche am Freitag den Abschluss des Tages. Und dieser Psalm endet mit dem Satz: „Mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis“. Es geht nicht darum, am Karfreitag ob des vielen Elends und der vielen Ungerechtigkeit auf dieser Welt in Depression zu geraten, sondern es geht darum, zu erkennen, dass im Glauben der Christen aufgrund unseres gekreuzigten Jesus Christus die Gottverlassenheit und die Warum-Frage, also der nur allzu verständliche Zweifel an einen gütigen und liebenden Gott zum Gebet wird. Wer am Grab steht und nicht begreift, warum Gott so etwas zulassen kann, ist genauso ein Glaubender, wie jener, der sich angesichts von Leid und Tod voll Vertrauen in die Hände Gottes fallen lassen und sagen kann: „Es ist vollbracht … in deine Hände, mein Gott, empfehle ich meinen Geist.“ „Erfasst die Weisheit des Kreuzes“, sagte der heilige Franz von Sales. Und „Der sicherste Weg der Frömmigkeit läuft zu Füßen des Kreuzes.“ Er meinte damit natürlich, dass wir im Angesicht des Gekreuzigten auch im Leid Mut und Kraft schöpfen können, weil Christus durch das Kreuz den Tod und die Sünde besiegte. Bei der „Weisheit des Kreuzes“ geht es aber auch darum, den Schrei der Atheisten zu hören und das Schweigen Gottes zu erkennen und auszuhalten. So stimmt auf jeden Fall: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Hoffnung, im Kreuz ist Leben.“ Amen.