Krisenzeiten
Predigt 19. Sonntag Jahreskreis, 13.8.2023
Perikopen: 1 Kön 19,9b-13 Mt 14,22-33
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Die Jünger im Seesturm sind einer schweren Krise. Sie drohen unterzugehen. Bei dem Wort Krise möchte ich heute stehen bleiben, ausnahmsweise nicht in drei Punkten, sondern zusammenhängend. Ich möchte auch zuvor bemerken, dass es eine durchaus kritische Beschreibung der Gegenwart wird, nicht zum Anprangern, sondern zum Nachdenken. Krise, kaum ein Wort ist in den letzten Jahren häufiger in den Medien vorgekommen. Klimakrise, Coronakrise, Energiekrise, Kirchenkrise etc. Wir sind abgestumpft und wollen es nicht mehr recht hören. Auch der Krieg im Osten, der nun eineinhalb Jahre geführt wird, ist eine Krise. Interessant war für mich die Berichterstattung auf der ORF Homepage. Die ersten Monate war ganz oben ein eigner Bereich mit teilweise stündlicher Erneuerung der Details, nach dem Motto „das ist wichtig, da musst du hinschauen, das ist interessant.“ Jetzt wird berichtet wie alles andere. Ist scheinbar nicht mehr so wichtig. Mich persönlich ängstigen weniger die Krisen direkt, so unangenehm sie sind, sondern was dahintersteckt. Es ist der Verlust des Vertrauens in die Qualität der Führung von Staat, Gesellschaft und Kirche. Viele der schön gepolsterten Sicherheiten auf denen wir es uns bequem gemacht haben, haben sich als trügerisch erwiesen. Kaum zu überblicken sind die Meinungen, warum alles so gekommen ist und was zu tun wäre, dass es besser wird. Alles war bzw. ist so selbstverständlich für uns: dass das Licht angeht, wenn man den Schalter drückt; dass das Wasser fließt, wenn man den Hahn aufdreht; dass unser Müll sofort abgeholt wird; dass ein Auto selbstverständlich ist; dass wir die Natur konsumieren können u.v.m. Wir müssen bedenken, dass nicht die Natur den Menschen braucht, sondern der Mensch die Natur. All das hat uns schon bequem und oft gedankenlos gemacht. In Kirche und Gesellschaft ist eine Lebenshaltung entstanden, die es sich leisten konnte, weniger zu arbeiten, weil ohnehin alles läuft. Die vier Tage Woche wäre wohl am besten. Man nimmt sich, was man brauchen kann und schreit gleichzeitig nach Förderungen, Subventionen und Entschädigungen. In der Kirche ist es ähnlich. Wir verlangen Taufen und Begräbnisse. Wenn uns ein Gottesdienst hineinpasst, konsumieren wir ihn. Aber im alltäglichen Leben soll uns die Kirche in Ruhe lassen. Ob man den Sonntag hält oder nicht, ob man betet oder nicht, ob man beichten geht oder nicht, hängt alles von der momentanen Lust und Laune ab, aber nicht von der gemeinsamen Überzeugung der Kirchenmitglieder. Wer kennt noch die Gebote der Kirche, und wenn interessiert es, was ein Papst oder Bischof erlaubt oder verbietet. Das hat auch seine Gründe. Vieles, was als unumstößliche Wahrheit gepredigt wurde, ist brüchig geworden, oft auch deshalb, weil jene, die es gepredigt haben menschlich versagt, oft schwer versagt haben. Ein Problem ist sicher der sogenannte Mainstream. Im Bekanntenkreis machen es die einen so, und die anderen so. Es finden sich alle möglichen Glaubensansichten und moralische Einstellungen. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Wo soll man sich anhalten? Wem soll man trauen? Wer hat Recht? In der Kirche hatte man es früher eine Spur leichter. Man konnte predigen, was man wollte, die Leute kamen ohnehin, aber das Ganze wurde auch nicht hinterfragt, oder nur ganz heimlich, was auch nicht richtig war. „Gehorsam ist des Christen Schmuck,“ schrieb Friedrich Schiller. Dass hier irgendwann einmal ein Ausbruchversuch kommen musste, der dann massiv im Jahr 1968 losgerollt ist, versteht sich auch von selber. Die Rede von der Selbstverwirklichung und Emanzipation, so wichtig sie einige Zeit war, sind Folgen des Ganzen. „Freiheit ist eine neue Religion,“ schreibt ein anderer deutscher Schriftsteller, Heinrich Heine. Und man muss auch sagen “die Freiheit der Kinder Gottes“ ist wesentlicher Teil des Evangeliums. Aber wie erfahren wir diese Freiheit, wie setzen wir sie um? Wir erfahren sie heute als Freiheit von Verpflichtung, Verantwortung und Bindung. „Ich kann tun und lassen, was ich will. Was geht mich der Andere, die Gemeinschaft an, wenn es mir keinen Nutzen bringt.“ Freiheit von ist nicht unwesentlich, aber sie wird zum Problem, wenn ihr die andere Hälfte fehlt, die Freiheit für. Es ist die Freiheit dafür, dass man sich Einspannen lässt für das Gute und Wahre, für das Wohl des Nächsten und für jede Form von gemeinschaftlichem Leben. Aber, dann stört uns doch gleich wieder die Angst zu kurz zu kommen, und wir setzen die Freiheit, dann doch lieber für uns persönlich ein. Jeder von uns weiß jedoch, dass aller Wohlstand, alle Sicherheit ihre Grenzen hat, weil jedes Menschenleben kontinuierlich auf ein Ende zugeht, das freilich oft noch weit weg erscheint. „Ich möchte, dass es dir gut geht,“ ist Grundsatz der Nächstenliebe, auf die der Herr uns immer wieder einschwört. Es geht um jene, die wirklich unsere Hilfe brauchen. Eigentlich müssten wir es anders sagen: „Ich freue dich, wenn es dir sogar besser geht.“ Leider ist, da kann man nichts beschönigen, das Gegenteil der Fall. Wir fordern, dass Staat und Kirche uns so bedienen, wie es uns passt. Wir holen uns aus den anderen Ländern qualifizierte Leute, Pflegekräfte, IT-Experten und andere heraus. Die sollen uns den Wohlstand erhalten. Und wer das nicht kann, wird zurückgeschickt, wie unpassende Ware im Versandhandel. So plündern wir nicht nur Rohstoffe, sondern auch Menschen. Leider meinen viele Bewohner dieser Länder, dass sie bei uns ein Paradies finden. Das stimmt jedoch auch nicht. Eigentlich sollten wir übergreifend zusammenarbeiten, dass diese Auswanderer, Bedingungen vorfinden, wie sie ihre Heimat wieder aufbauen können. Aber davon haben wir nichts, und dann lässt man es besser bleiben.
Liebe Brüder und Schwestern!
Das war jetzt meine persönliche, durchaus kritische Beschreibung der der gegenwärtigen Krise. Ich erwarte nicht, dass mir alle bedingungslos zustimmen. Aber es wäre doch schön, wenn wir ein bisschen nachdenken, und wenn die Predigt in nachfolgenden Frühschoppengesprächen ein wenig nachbearbeitet wird, hat sie ihren Sinn gehabt. Wir können die Krisen im Großen sicher nicht lösen, aber, wir können das Unsrige tun. Die Jünger im Seesturm haben das Wort Jesu gehört: „Habt Vertrauen, ich bin es, fürchtet euch nicht.“ Dieses Wort des Herrn soll uns in den gegenwärtigen Krisen in Fleisch und Blut übergehen. Und wie Petrus nur im Blick auf Jesus nicht unterging, so brauchen wir nichts anderes als einen vertieften Blick auf unseren Herrn und Meister. Amen.