Interviews und Häftlingsschilderungen
Auszüge aus diversen Berichten von ZeitzeugInnen über Papa Gruber
Papa Gruber brachte mir zu essen. Ein Mithäftling erhielt die Kommunion aus der Hand des Priesters. Ich zeigte ihm, dass ich auch danach Verlangen hatte, denn die Kommunion war meine Hoffnung. Er schaute mich lange und sehr lieb an: „In deinem Zustand, in diesem Moment, ist die Suppe wichtiger als die Hostie. Eure Hostie, meine Kinder, es ist eine Rübensuppe.“
Wir sprachen oft über diesen Satz. Nach meiner Freilassung habe ich diesen Satz einem Prälaten in Bordeaux erzählt. Auch er schaute mich lange an: „Das war ein Heiliger.“ (Dugrand)
Ein französischer Häftling berichtet über seine Begegnung mit Papa Gruber:
An dem Tag, an dem Papa Gruber mich gefunden hatte, hatte ich nur noch wenige Stunden zu leben. Ich litt schrecklichen Hunger und fror im Fieber. Ich war nur sehr knapp bekleidet und war erschöpft von der Arbeit im Steinbruch. Papa Gruber brachte gekochten Erdäpfelbrei. Ich rief meinen Freund und zu zweit aßen wir alles in fünf Minuten auf. Papa Gruber hatte Tränen in den Augen.
Er war ein kleiner, runder Mann, fröhlich und beweglich, mit herzlichen blauen Augen. Wir nannten ihn Papa Gruber und es war wahr. Wir verdanken ihm unser Leben. Er war eine unglaubliche Persönlichkeit. Er lenkte unsere Gedanken niemals auf die Religion. Ich habe ihn auch niemals beten gesehen.
Mehrmals sagte er mir: „Man muss essen.“ Ein anderes Mal: „Die Seele nachher. Du musst sofort essen.“
Von Zeit zu Zeit ging Papa Gruber in den Krankenblock und bereitete selbst das Essen. Er fütterte die Häftlinge mit einer mütterlichen Geduld, besonders die Kranken, die nicht mehr essen wollten, weil sie den Tod wie eine Erlösung erwarteten. Essen aber war die erste und grundlegendste Form des Widerstandes. So gesehen hatte Papa Gruber höchste Vernunft. (Cayrol)
Papa Grubers Todesstunde schildert ein Überlebender in folgender Weise:
Am 4. April 1944 wurde Papa Gruber verhaftet und brutal in eine Bunkerzelle geschleift. Drei Tage lang wurde er durch Kommandant Seidler gefoltert. Alle Schützlinge von Papa Gruber versuchten vergeblich in die Nähe zu gelangen, durch das enge Gitterfenster zu spähen oder gar ein Stück Brot hineinzuwerfen.
Am Freitag, 7. April, dem Karfreitag: eine Minute nur Stille. Alle weinten.
Der Kommandant Seidler selbst hatte ihn gefoltert während der drei Tage. Am Karfreitag hatte er ihm angekündigt: „Du wirst verrecken wie dein Meister zur dritten Stunde.“ Um drei Uhr hatte Seidler ihn erwürgt. Dann hatte er den Gürtel von Papa Gruber genommen und befohlen, ihn daran aufzuhängen mit dem Kopf nach unten.
Die Türe der Zelle wurde geöffnet. Der Körper, ein Körper schon ohne Gesicht, ein völlig zerstörter Körper, zerschnitten, hing am Ende eines Ledergürtels. „Schaut hin, schaut!“ Die Mithäftlinge sollten nicht sehen, wie die Wände voll Blut waren, die Wunden schrecklich entstellend. Alle, Kommunisten wie Katholiken, dachten: „Mörder, Schlächter, ihr habt ihn aufgehängt!“
Louis Deblé, Überlebender von Gusen I
Jedes Mal wenn ich komme, stelle ich mich vor das Krematorium von Gusen. Beim ersten Mal im Mai 1948 zusammen mit meiner Mutter, später mit meiner Gattin und den Mitgliedern meiner Familie. Jedes Mal habe ich sie wieder gefunden, die alte Landschaft, die einstmals das Lager Gusen I war. Ich fand sie bekannter als ich sie verlassen hatte, meine ganze Welt damals während der zwei Jahre meiner Gefangenschaft.
Heute wächst eine Siedlung aus dem Boden, Kinder spielen. Das Leben hat wieder seine Rechte eingefordert, und das ist gut so.
Liebe Freunde, nehmt es mir nicht übel. Nehmt es uns allen nicht übel. Für einige von uns, die wir damals als junge Männer aus ganz Europa in Gusen angekommen sind, bleibt Gusen, wie soll ich sagen, unser Schutzgebiet, unsere Heimat. Hier fühlen wir uns nicht als Fremde.