Montag 13. Mai 2024

Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz!

Herz, Schatz, Angst, Gewalt

Schrifttexe: Lk 12,32-48

Im Rahmen der Sommer-Predigtreihe (18. bis 21. Sonntag im Jahreskreis ) zu den Anliegen der Europäischen ökumenischen Versammlung in SIBIU/Hermannstadt von 3. bis 9. September 2007: Europa, Frieden/Versöhnung, Islam/Integration, Schöpfung bewahren

 

Angst macht unfrei und führt zur Gewalt

Wo ist mein Schatz? Wo ist mein Schaaaaatz? Wenn Sie J.R.R. Tolkiens Klassiker "Der Herr der Ringe" gesehen oder – noch besser – gelesen haben, dann steht Ihnen Gollum vor Augen, jene abgrundtief böse und hinterlistige, aber auch abgrundtief bedauernswerte Kreatur, die verkrümmt und verkümmert, kaum mehr menschenähnlich, an nichts anderes mehr zu denken vermag, als den Ring Saurons wiederzuerlangen, jenen einen Ring, "sie alle zu knechten". Und wirklich – alle werden sie letztlich vom Ring beherrscht, vom geheimen Zauber dieses Schatzes, der größte Macht verspricht und doch nichts anderes schafft als SklavInnen und Unmenschen.

 

Und unser Schatz? Eine schwierige Frage. Habe ich einen Schatz? Keinen, weil ich nicht reich bin? Oder doch einen: etwas, an dem mein Herz hängt? Woran hängt Ihr Herz? Wenn Sie glücklich sind, dann können Sie vielleicht ganz ehrlich sagen: "mein Schatz", und meinen damit nicht einen Besitz, sondern einen anderen Menschen, einen Geliebten oder eine Geliebte, die weder besessen werden noch besitzen will, also nicht "besessen" ist, sondern der/die vielmehr im gegenseitigen Freigeben und im geschenkhaften Empfangen zum "Schatz" wird.

 

Was denn nun? Ist es gut oder ist es schlecht, einen Schatz zu haben? Knechtet ein Schatz, oder macht er frei? Vielleicht ist die Schwierigkeit eben die, dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt. Jeder und jede von uns kann das nur für sich selbst beantworten: Bin ich Sklavin, Sklave meines Schatzes, oder bin ich frei? Muss ich meine Schätze loslassen, um frei zu werden, oder sind meine Schätze wirklich solche, die mich und andere frei machen, glücklich machen, das Leben gelingen lassen? Und so wird unversehens die Frage zum Kriterium: Das loszulassen, was mich knechtet, das zu suchen, was mich frei macht.

 

Der Schlüssel dazu, so scheint mir, liegt im ersten Satz des heutigen Evangeliums: "Fürchte Dich nicht!" Das schließt direkt an die Botschaft des Evangeliums vom letzten Sonntag an: "Sorgt Euch nicht!" Die Furcht, die ängstliche Sorge um die unsichere Zukunft bringt Menschen dazu, sich Schätze zu sammeln, um die Zukunft abzusichern. Und je unsicherer die Zeiten werden, desto mehr wird in "Versicherungen" aller Art investiert.

 

"Fürchte Dich nicht, du kleine Herde, du bist gut versichert." Ja, die Herde der gut Versicherten ist klein – die große Herde ist eben nicht versichert, sie hat allen Grund zur Sorge, und keinen Schatz weit und breit. Die kleine Herde, die nach dem Motto lebt: "Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt", lügt sich selbst und der Welt vor, dass Konkurrenz der Schlüssel zum Glück für alle ist – und bedenkt dabei nicht, dass der universale Konkurrenzkampf zum Tod führt; genauer: zum Mord, zum Brudermord. Das zeigt schon die Parabel von Kain und Abel, die in Konkurrenz zueinander stehen und um die Gunst Gottes buhlen; und auch Gollum, die bedauernswert-böse Kreatur aus "Der Herr der Ringe", hat seinen unaufhaltsamen Abstieg in die Dunkelheit als Brudermörder begonnen.

 

Wie anders klingt da die Zusage des heutigen Evangeliums: "Fürchte Dich nicht; euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben." Wer frei von Furcht ist, wer auf die Zukunft vertraut – Zu-kunft, d.h. ja das, was uns von Gott her zu-kommt –, braucht sich nicht abzusichern, braucht keine Mauern und keine Stacheldrahtzäune aufzurichten und keine Soldaten um seinen Schätze zu postieren. Wer seinen Schatz "im Himmel" hat, der ist frei, auf andere zuzugehen, weniger das Haben, als das Sein ins Zentrum seines Lebens zu stellen. Wirklich "sein", d.h. aber zuallererst: Miteinander-Sein, Füreinander-da-Sein. In einer Gemeinschaft des Füreinander, wo Menschen frei genug sind, einander zu geben und auch voneinander zu empfangen, braucht es weder Furcht noch Gewalt.

 

Wir alle leben heute nach dem ökonomischen Prinzip: "Es ist immer zu wenig da; die Güter sind knapp und die Konkurrenz groß." Es wäre den Versuch wert, sich von diesem Denken zu verabschieden. Denn ein Mangel entsteht ja insbesondere dann, wenn wir davon überzeugt sind, dass es tatsächlich zu wenig gibt. Denn dann beginnen wir zu horten, und so ist dann wirklich zu wenig da. Wie würde eine Ökonomie, wie würde eine Gesellschaft aussehen, wenn wir vom Gegenteil ausgingen, von einer neuen Denkweise: "Es ist genug für alle da; wir müssen nur anfangen, das, was da ist, richtig zu verteilen"? Was, wenn nicht Konkurrenz, sondern Solidarität der treibende Motor unseres Handelns wäre? Anders gewendet: Wenn nicht das ICH im Zentrum des Denkens stünde, sondern vielmehr das DU? Wenn also mein Schatz, das, woran ich mein Herz hänge, nicht EGO-zentrisch definiert wäre, sondern sich am DU orientieren würde?

 

 

Der Schatz und die Armen – der Schatz sind die Armen

 

"Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz." Schon am letzten Sonntag haben wir die Mahnung gehört, uns Schätze im Himmel zu sammeln. Diesen Sonntag werden wir noch einmal mit der Frage konfrontiert, wie wir mit den Gütern der Erde umgehen. Ein kleiner Blick nur, um zu sehen, wie sich das Thema durch alle heutigen Lesungen zieht: Die Lesung aus dem Buch der Weisheit konfrontiert uns mit dem "göttlichen Gesetz" der Gütergemeinschaft und der Solidarität, eine Grundhaltung, die "die Gerechten" kennzeichnet. Und deutlicher noch die Lesung aus dem Hebräerbrief, die uns vor Augen führt, dass wir alle "Fremdlinge und Gäste auf Erden sind".

 

Beides verweist auf die zentrale Stellung des DU im Denken der Gerechten, auf die Grundhaltung, die Grundbedürfnisse der anderen nicht grundsätzlich geringer zu achten als die eigenen. Vielleicht sollten wir uns viel klarer vor Augen führen, dass auch wir, obwohl wir in unserem eigenen Land leben, "Fremde" und "Gäste" sind und dass dieses Bewusstsein uns auch davor bewahren kann, unser Herz an Schätze zu hängen, die uns nur beschweren. Und es kann uns bewusst machen, dass die Unterteilung in "Wir" und die „Anderen" zutiefst dem Gebot Jesu Christi widerspricht. Wenn wir aber diese Trennung einmal überwunden haben, wenn wir nicht mehr in Trennungs- sondern in Gemeinschaftskategorien denken, dann verändert das nicht nur unser Empfinden und Denken, sondern auch unser Tun.

 

In diesem Sinne verstehe ich auch die Gleichnisrede, die Jesus anschließt. "Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten." Der Aufruf zur Wachsamkeit ist uns bekannt; an dieser Stelle ist er aber nicht primär auf die Stunde des Todes und des Gerichts hin gesagt, sondern auf die Stunde der Gottesbegegnung schlechthin. Mitten im Leben begegnen wir dem Herrn. Das wird in dieser Perikope daran erkennbar, dass auf die Wiederkunft des Herrn nicht das Gericht folgt, also Rechenschaft über die Geschäftsgebahrung gefordert wird, sondern dass der Herr sehr unmittelbar darauf reagiert, wie wir mit den anderen – seinen "Knechten und Mägden" – umgehen. Wir sind wie Verwalter dazu eingesetzt, "seinem Gesinde zur rechten Zeit die Nahrung" zuzuteilen. Das ist hier unsere Aufgabe, und wenn der Herr wiederkommt, soll er uns genau damit beschäftigt finden.

 

Mich erinnert diese Passage an die Rede vom Weltgericht in Mt 25. Dort wird dieselbe Sache noch eindringlicher vorgestellt: Die Armen selbst sind es dann, in denen der Herr uns begegnet. Wir wissen also nicht nur nicht, wann uns Christus begegnet, wir wissen auch nicht, in wem oder in welcher Gestalt. Wachsamkeit heißt also nicht nur, "allzeit bereit" zu sein, sondern auch offen dafür, dass der Herr uns in Gestalten begegnet, in denen wir ihn nicht erkennen, nicht vermuten würden.

 

Und wehe uns, wenn wir im Bewusstsein, dass die Wiederkunft des Herrn – wenn überhaupt – noch lange auf sich warten lässt, anfangen, "seine Knechte und Mägde zu schlagen", während wir "essen, trinken und uns berauschen". Dann, so heißt es, bekommen wir genau den Platz zugewiesen, der uns zusteht: den bei den Ungläubigen – eben weil wir nicht daran geglaubt haben, dass Christus wirklich mitten unter uns ist. Denn wenn wir glauben, dann heißt das, an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zu glauben – und das heißt zu allererst, an die Gegenwart Christi in jedem Menschen zu glauben, vor allen in den Armen und Unterdrückten. Papst Paul VI. hat dies 1968 auf seiner Lateinamerikareise auf unüberbietbare Weise deutlich gemacht: Die Armen, so der Papst, sind das Sakrament der realen Anwesenheit Gottes in der Welt, in ihnen ist Gott real präsent und zwar – expressis verbis – so wie in der Eucharistie. Die Armen zu unterdrücken, sie "zu schlagen" ist also kein geringeres Vergehen als die Entehrung / Entweihung der Eucharistie. Und wir, die als "Verwalter" eingesetzt sind – und das bezieht sich nicht nur auf den Klerus, sondern auf alle Getauften – wird es härter treffen als die, die Gottes Willen nicht kennen; denn wir haben keine Ausrede, wir wissen genau worum es geht. Christ zu sein, das ist eine große Gabe – aber weil uns viel gegeben ist, wird auch viel gefordert.

 

Der Schatz der Kirche

Gehen wir noch einen Schritt weiter: Woran hängen wir als Kirche unser Herz? Was ist der "Kirchenschatz"?

 

Wir könnten diese Frage in den heutigen Sprachgebrauch vielleicht so übersetzen: Was werten wir heute in der Kirche als "Erfolg"? Sind es Großevents mit vielen TeilnehmerInnen? Ist es die große Zahl von BesucherInnen bei Gottesdiensten oder anderen kirchlichen Aktivitäten? Ich habe nichts gegen Events; sie spielen eine wichtige Rolle, nicht zuletzt in der Öffentlichkeit und in den Medien, deshalb sind sie auch ernst zu nehmen. Aber zugleich sehe ich darin eine Gefahr: Wenn wir anfangen, uns daran zu "berauschen" und dann im Erfolgsrausch nicht mehr die zu sehen, die in unserem Erfolgskonzept nicht vorkommen, denen aber unser erstes Augenmerk gelten müsste, dann trifft uns die Mahnung Jesu. Dasselbe gilt übrigens auch für die Einzelnen: Der spirituelle "Rausch" birgt in sich die Gefahr, den Blick auf die anderen zu verlieren, die eigene spirituelle Befriedigung zu suchen und nicht mehr das Angesicht Christi im Anderen. Wenn es so weit mit uns gekommen sein sollte, dann ist völlig gleichgültig, ob wir das Objekt unserer spirituellen Suche – oder besser: Sucht – Christus nennen oder irgendwie anders. Wir sind dann nichts anderes als Ungläubige, d.h. wir glauben nicht mehr an Gott, sondern an uns und unsere Interessen.

 

Eine andere Weise des Christseins zeigt uns einer der großen frühen Märtyrer der Kirche, der wie Stephanus ein Diakon war: der heilige Märtyrer Laurentius (hingerichtet am 10.8.258), dessen Fest die Kirche vorgestern gefeiert hat. Als er gefangen genommen und von Kaiser Valerian aufgefordert wurde, den Schatz der Kirche herauszugeben, brachte er die vielen Armen und Notleidenden, denen sein Dienst als Diakon gegolten hatte: "Diese Armen, sie sind der wahre Schatz der Kirche!" Ich sehe darin eine doppelte Bedeutung: Zum einen ist der Schatz der Kirche längst zu den Armen gewandert: Da wurde Hunger gestillt und Leiden gelindert, er ist also nicht mehr "da", zumindest nicht in Form von barem Geld. Zum anderen aber sind diese Armen selbst der Schatz der Kirche – nicht nur Aufgabe, sondern selber die Gabe. Die Armen sind ein Gnadengeschenk Gottes an die Kirche, weil sie das eigentlichste Wesen der Kirche darstellen: Ganz von der Gnade Gottes her zu leben, ganz auf diese Gnade angewiesen zu sein. Deshalb halte ich es für die wesentlichste Aufgabe der Kirche, sich von einer Kirche für die Armen zu einer Kirche der Armen zu wandeln. Und immer neu danach zu fragen, was denn das hier und heute heißen könnte.

Wahrhaft Kirche der Armen zu werden, das ist unsere Aufgabe als Gemeinde, aber auch Aufgabe jeder christlichen Kirche und insbesondere der Gemeinschaft der Kirchen, die gemeinsam auf Schatzsuche gehen, die ihren gemeinsamen Schatz finden wollen. Anfang September findet in Sibiu/Hermannstadt (Rumänien) die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung statt. Ihr Motto lautet: "Das Licht Christi scheint auf alle". Der Indikativ ist hier das Erste: Wir brauchen also nicht so zu tun, als seien wir selber das Licht oder als müssten wir das Licht anzünden. Dieses Licht ist schon da, und zwar für alle, nicht nur für einige wenige. Dennoch klingt in diesem Satz auch ein Imperativ mit: Es gibt nämlich immer noch die, die faktisch in der Finsternis leben, weil ihnen das Licht verstellt wird. Und wer sollte diesem Licht den Weg zu den Menschen freimachen, wenn nicht die christlichen Kirchen? Wer sollte die Rolle des "Verwalters" einnehmen, der dem Gesinde zu essen gibt, wenn nicht wir? Schließlich sind wir Kirche, um der Welt die Gnade Gottes nahebringen. Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils: "Zeichen und Werkzeug" zu sein "für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (Lumen Gentium 1).

Deshalb werden die christlichen Kirchen in der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung nicht über sich selbst sprechen, sondern über ihren gemeinsamen Dienst an der Welt. Es geht eben nicht darum, sich an Gott oder an Großevents zu berauschen, sondern in der frohen Erwartung, dass uns Christus begegnet, wo und wann wir es nicht erwarten, hier und heute für Gott einzutreten, für Frieden und Gerechtigkeit, für Versöhnung unter den Menschen und natürlich auch für die Bewahrung der Schöpfung, damit auch kommende Generationen noch gut leben können. Was das konkret für uns heißt, das wird u.a. auf dieser großen Konferenz mit mehr als 3000 Delegierten aus ganz Europa Thema sein. Der wichtigere Teil kommt aber erst hinterher: Nämlich die großen Gedanken umzusetzen in die kleine Münze des alltäglichen Tuns. Unser Gebet und unser Engagement soll beidem gelten: dem großen Treffen ebenso wie den vielen Gemeinschaften und auch den Einzelpersonen, die sich so sicher in Gott geborgen wissen, dass sie frei genug sind, um sich für andere einzusetzen.

Gott hat uns in denen, die uns brauchen, seinen Schatz anvertraut; ich wünsche Ihnen und mir die Weisheit, diesem Schatz – und damit der tiefsten Sehnsucht unseres Herzens – auf der Spur zu bleiben.

 

 

12.08.2007, Gunter M. Prüller-Jagenteufel

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