„Ich hatte als Kind schon die Glocken im Ohr“

Das Geläute gibt dem Mariendom, und auch jeder anderen Kirche, seine Identität und unverwechselbare Stimme. Keine Glocke gleicht einer anderen – weder in der Gestaltung noch in ihrem Klang. „Es gibt keine gleichen Glocken oder Geläute. So unterschiedlich wie wir Menschen sind auch die Glocken“, klärt Siegfried Adlberger, Orgel- und Glockenbeauftragter der Diözese Linz undLeiter der Fachkommission Glocken für Österreich, auf. Kirchenglocken laden zum Gebet oder Gottesdienst ein und begleiten alle Kirchenfeste und besonderen Ereignisse im Leben der Gläubigen. Und tatsächlich gibt es über Glocken viel mehr zu wissen, als man aufs Erste denkt – das wird im Interview mit Adlberger schnell klar.
Faszination Glocke
Als Spezialist ist Adlberger nicht nur mit der im Herbst beginnenden „Glockensanierung“ im Mariendom betraut, sondern kann auch viel Wissenswertes über Glocken berichten. Dabei erinnert er sich, dass ihn die Glocken des Mariendoms schon in frühen Kindertagen beeindruckt haben: „Ich bin Niederösterreicher. Da mein Vater aber in Linz gearbeitet hat, war ich als kleiner Bub oft bei meiner Tante in Linz. Mit ihr bin ich häufig in den Mariendom gegangen. Ich war überwältigt und tief beeindruckt vom Klang im Gebäude und das ganze Ensemble mit den Glocken hat mich immer fasziniert. Ich hatte als Kind schon die Glocken im Ohr, das kann man schon so sagen“, erzählt er.
Seine Leidenschaft gilt jedoch nicht nur Glocken, sondern auch Orgeln. Schon als Kind beschließt er, Orgelbauer zu werden und legt nach der Orgelbauerlehre in St. Florian und einigen Praxisjahren die Meisterprüfung als Orgelbauer ab. „Bis 1995 war ich als Orgelsachverständiger der Diözese Linz angestellt, dann wurde ich zum Orgel- und Glockenreferenten ernannt. Das Amt des Glockenreferenten habe ich von meinem Vorgänger übernommen, der von 1929 bis 1995 als Glockenreferent tätig war – zu seiner Pensionierung war diesr 95 Jahre alt“, umreißt er seinen Werdegang.
Unser Wahrzeichen erhalten
„Mit der Vollendung des Turmbaus fand am 30. April 1902 die feierliche Weihe der Glocken des Mariendoms statt. Doch schon bald stellte man fest, dass die Glocken den Turm in bedenkliche Schwingungen versetzen. Ursprünglich waren alle Glocken in der vierten Turmetage untergebracht, aber man hat sich 1910 dann damit beholfen, die größte Glocke des Domes, die Immaculata, einen Stock tieferzusetzen, zu drehen und quer zur Läuterichtung schwingen zu lassen. Und das war eine sehr vernünftige Lösung, die für damalige Zeiten ausgereicht hat“, erklärt Adlberger.
Im Zuge der Turmsanierung wurde allerdings festgestellt, dass die Glocken den Turm immer noch in Schwingungen versetzen. Linz besitzt mit den Glocken des Mariendoms das einzige vollständig erhaltene Großgeläute aus der Zeit um 1900 im gesamten deutschen Sprachraum. Und das gilt es ebenso zu bewahren wie das Bauwerk an sich. „Im Zuge der anstehenden Glockensanierung passen wir das Geläute den notwendigen Bedingungen an, damit uns das Bauwerk, also der Domturm, noch viele Jahrzehnte und Jahrhunderte erhalten bleibt. Und ich glaube, dass das gut gelingen wird“, meint Adlberger und fährt weiter fort: „Mit der Glockensanierung setzen wir ab Herbst fort, was 1910 begonnen wurde. Wir korrigieren die Läutewinkel, also wie weit die Glocke ausschwingt, ein neuer Klöppel wird eingebaut, der genau dem Läutewinkel und den Parametern, wie sie geläutet werden muss, entspricht und das, ohne dass wir klangliche Einbußen haben. Denn klanglich ist das Geläute wirklich einzigartig. Darüber hinaus wird die ganze Technik angepasst. Kabel werden neu verlegt, damit alles sicher ist. Das ist ja alles schon irrsinnig alt – immerhin wurden die Glocken des Mariendoms bereits ab 1903 elektrisch geläutet, die Immaculata ab 1910.“
Glockengeläute ohne die Immaculata
Im Laufe der Glockensanierung wird es wohl eine Zeitspanne geben, in der die Immaculata nicht läutet. „Das wird dann einfach weniger klingen. Aber es gibt ja ohnehin eine Anordnung, wann welche Glocke läutet: Das nennt man liturgische Läuteordnung. Die Immaculata läutet ohnehin nur an hohen Festtagen, wenn ein Bischofsgottesdienst ist, oder wenn beispielsweise der Papst oder ein Bischof, stirbt“, erklärt Adlberger und weiter: „Grundsätzlich ist die Immaculata sehr gut zu hören. Bei Testversuchen für die Glockensanierung haben wir sie außerhalb der Läuteordnung läuten müssen und tatsächlich haben viele Leute im Dompfarramt angerufen, um sich zu erkundigen, was denn passiert oder ob jemand verstorben sei. Von daher ist es auch wichtig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pfarre über die Termine für das Testläuten zu informieren, damit sie entsprechend Auskunft geben können.“
Wie wird ein Geläute disponiert?
Eine spannende Frage haben wir uns für den Schluss aufgehoben: Wie wird ein Geläute zusammengestellt bzw. komponiert? „Wenn sich eine Pfarre ein neues Geläut anschaffen möchte, dann ist es meine Aufgabe, einen vernünftigen Vorschlag zu unterbreiten. Das heißt, die Geläute werden von mir bewusst nach musikalischen Kriterien disponiert. Für den Entwurf eines Geläutes gibt es viele Parameter. Es gilt, die bauliche Situation ebenso zu beachten, wie die Größe und das Budget. Zudem soll ein Geläute vielseitig gebräuchlich sein. Durch diese Parameter ergibt sich automatisch eine Musterdisposition. Die kann man unterschiedlich ausarbeiten: Es gibt Oktavglocken, Septimglocken usw. Man hat da viele Möglichkeiten, um mit den Klangfarben zu spielen. Und letztendlich werden die Glocken dann so gegossen“, beschreibt Adlberger eine seiner vielfältigen Tätigkeiten als Glockenbeauftragter.
Haben Sie schon einmal bewusst den Glocken den Mariendoms gelauscht? Und hätten Sie gewusst, wann die Immaculata zu hören ist?
06.11.2023 | Bauwerk