Sonntag 19. Mai 2024

Vom Himmelreich und Arbeitswelten

Genug für das tägliche Leben - eine Ökonomie der Güte und Gerechtigkeit
Vom Himmelreich und Arbeitswelten tägliche Leben Ökonomie Güte Gerechtigkeit

Schrifttexte: Mt 20, 1-16

„Machst du ein böses Gesicht, weil ich gütig bin?“ Die Reaktion von damals könnte auch heute wieder ähnlich ausfallen. Härte statt Güte und Barmherzigkeit, Leistung und Rechthaberei statt Gerechtigkeit und Himmelreich. Die Bibel als Buch, in der der Maßstab das Menschenfreundliche und Lebensfördernde ist, erstaunt uns immer wieder aufs Neue, fordert auf zu Um- und Neudenken, zu Umkehr und neuen, menschlichen Wegen.
„Die Reallöhne stagnieren seit 25 Jahren“, hieß es im Frühjahr 2014 in einer Nachrichtensendung auf Ö1. In den Oberösterreichischen Nachrichten stand beim Abschluss der Gehaltsverhandlungen der Eisenbahner die Meldung: „Kein Reallohnverlust für die österreichischen Eisenbahner. Einigung in der siebten Verhandlungsrunde.“ Ältere Arbeitslose bekommen noch ganz anderes zu hören:
„Um das Geld, das Sie kosten, bekomme ich zwei Junge.“ Von der Forderung, den Arbeitern den gerechten Lohn zukommen zu lassen, wie es im Buch Jesus Sirach steht, scheinen wir weit entfernt zu sein. Anders ausgedrückt: Den arbeitenden Menschen
bleibt immer weniger Geld zum Leben, wir arbeiten immer billiger. Gute Arbeit, gerechter Lohn sind wesentliche und wichtige Fragen, nicht nur heute, wenn Kollektivverträge ausverhandelt werden oder Betriebsvereinbarungen erstritten werden, sondern auch in der Botschaft der Bibel. Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsherrn …
Matthäus erzählt in seinem Text von realen Arbeitsbedingungen und setzt sie in ein neues Verhältnis. Es ist ein Alltagsvorgang in der Erntezeit, dass ein Weinbergbesitzer auf dem Markt Taglöhner einstellt. 12 bis 13 Stunden dauerte ein Arbeitstag zur Zeit der Traubenernte. Alles musste vor der Finsternis erledigt sein. Mit den Taglöhnern am frühen Morgen wurde mündlich ein Taglohn vereinbart, ein Denar für einen Tag, ein Lohn, mit dem eine vierköpfige Familie ihren Tagesbedarf decken konnte. Um die anstehenden Arbeiten an diesem Tag zu erledigen, ging der Weinbergbesitzer auch um die dritte und die sechste Stunde auf den Markt. Was recht ist, will ich euch geben. So eine Vereinbarung würde in der heutigen Arbeitswelt stutzig machen. Man kennt die Entwicklung der Löhne immer mehr in Richtung Kollektivvertrag als Lohnuntergrenze. Die Arbeitgeber wollen so wenig wie möglich für Arbeit bezahlen. Was uns bei Gehaltsverhandlungen dann als Lohnerhöhung angeboten wird, deckt meist nicht einmal die Inflationshöhe ab. Der reale Warenkorb, der die täglichen Gebrauchsgüter und Existenznotwendiges, wie Wohnen und Energie mitrechnet, übersteigt diese so genannten Lohnerhöhungen bei weitem. Bei steigenden Gewinnen der Wirtschaft wird bei den Kollektivvertrags-Verhandlungen um jedes Prozent, ja Promille gefeilscht.
Um die elfte Stunde, zwei Stunden vor Tagesende, waren immer noch Menschen auf dem Markt, die niemand angeworben hatte. Arbeitslos und vielleicht auch schon ein Stück hoffnungslos, ihren Tagesbedarf noch selbst bestreiten zu können. Der Weinbergbesitzer schickt sie in seinen Weinberg, er braucht auch sie noch, um das Tagwerk vollenden zu können. Angesichts nahender Finsternis bleibt keine andere Möglichkeit als neue Leute einzustellen.
Heute würde das so niemandem einfallen. Es würde wahrscheinlich der Druck erhöht oder an der Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit gefeilt und gebastelt. Aber wie gesagt, mit dem Himmelreich ist es wie …
Franziskus, Bischof von Rom, schreibt in seinem Rundschreiben Evangelii Gaudium: „Nein zu einem Geld, das regiert, statt zu dienen. Geld muss dem Leben, der Menschlichkeit dienen.“ Ob er da etwa unser heutiges Evangelium, eine Frohbotschaft der Veränderung der herrschenden Verhältnisse vor Augen hatte?
Dann ist Feierabend. Nicht die Ersten stempeln als erste aus, die zuletzt Geworbenen sind die ersten Lohnempfänger. Unser Denken und Wirtschaften wird hier komplett auf den Kopf gestellt, radikal und neu, ungewohnt sind die Denkweisen eines Wirtschaftens gemäß dem Himmelreich. Da geht es auch um ganz Handfestes, nämlich dem Lohn. Jene Dimension des Arbeitens, über die man in Österreich ja bekanntlich nicht spricht. Hier wird ein neuer Weg eröffnet. Der Lohn - hier für alle einsehbar - wird so diskutierbar und sorgt sogleich für Gespräche. Das macht die Geschichte so richtig spannend.
Die Auszahlung sorgt für Überraschung. Die ArbeiterInnen der elften Stunde bekommen einen Denar, das Existenzminimum also. Und schon hört man das Rädchen im Kopf derer, die seit dem frühen Morgen im Weinberg gearbeitet haben. Wenn die schon einen Denar bekommen, dann müssen wir nach der herkömmlichen Regel „soundso viel Arbeit ist soundso viel Geld“ ein Vielfaches von dem bekommen. Arbeitszeit misst sich in ihrem Denken proportional in Geldwert – das ist ihre Vorstellung von Gerechtigkeit.
Es kommt zur Auszahlung und auch sie erhielten einen Denar. Und sind brüskiert. Organisieren sich, gehen zum Weinbergbesitzer und beschweren sich. Wollen mehr als den einen Denar, wollen mehr bekommen als die andern, argumentieren mit der Hitze des Tages. In dieser sind aber auch die anderen in existentieller Unsicherheit am Markt herumgestanden, ohne Aussicht auf Arbeit. Die zuerst eingestellten Arbeiter hatten zudem noch die Möglichkeit, von den Trauben, die sie gepflückt haben, zu essen, damals ein gesetzlich gesichertes Recht. So sparten sie auch an Geld für den Tagesunterhalt. Quasi ein Zubrot zum Lohn.
Anhand der Auszahlung der Löhne werden wir mit unterschiedlichen Auffassungen von Lohn und Gerechtigkeit konfrontiert. Der Weinbergbesitzer argumentiert neu, ungewöhnlich für die damalige Zeit, unvorstellbar eigentlich aber auch für uns. Er rechnet anders, es geht nicht um das uns so vertraute Verhältnis Arbeitszeit und Geld,
sondern um die Gesamtbedingungen des Lebens. Alle erhalten so viel, wie für das tägliche Leben notwendig ist, das Existenzminimum also, die Garantie, den Tag zu überleben. Keiner erhält mehr! Bezeichnenderweise beschweren sich nur die ArbeiterInnen der ersten Stunde. Alle anderen sind offenbar zufrieden, dass sie ihre Existenz gesichert haben.
Matthäus stellt die Lebenswirklichkeit der Weinbergernte bis auf einen wesentlichen Punkt abbildhaft dar. Das Verhalten des Arbeitgebers bei der Auszahlung irritiert und steht in scharfem Kontrast zur Realität. Ein neues Bild redet von der Güte des Weinbergbesitzers, möglichweise auch ein Bild für die Güte Gottes und verweist auf ein neues Verhalten der Menschen untereinander hin, lädt ein zu einem Denken, dass alle Leben haben. Jede und jeder kann mit dem, was er oder sie erhält, das Existenzminimum decken, keiner erhält mehr Geld. Auch der Besitzer füllt nicht seine Taschen, kauft keinen neuen Traktor, eine nächste Immobilie. Er gibt das, was gemeinsam erarbeitet wird, als Lebenslohn zurück.
Der Weinberg ist biblisch immer wieder auch Synonym für das Reich Gottes. Die Mitarbeit am Weinberg Gottes braucht viele HelferInnen. Dafür ist jede Arbeit, egal wie lange, wertvoll und notwendig. Für die Veränderung der real existierenden Verhältnisse, gerade auch in unseren Arbeitswelten braucht es ein neues Denken und Verständnis von Gerechtigkeit oder auch Güte. Matthäus wirft mit seinem Nachdenken über die Güte Gottes ein scharfes Licht auf die unbarmherzige Wirklichkeit des Lebens. Der implizite Kontrast zum gütigen Gott ist vielmehr jener Arbeitgeber in der Alltagswelt, der den Lohn so niedrig wie möglich hält. Die Güte Gottes steht in einem Zusammenhang mit den Konsequenzen für das Leben der Menschen miteinander. Kritisiert wird ein unbarmherziges, unsolidarisches Verhalten, das nur den Eigennutz und die Eigeninteressen wahren will. Vom Kollektiv, von der Gesellschaft her gedacht, entwirft sich ein menschliches Miteinander neu. Es braucht für ein gemeinsames Leben und Überleben den Blick der Zuwendung zum Nächsten, den Blick der Ersten für die Letzten – und umgekehrt. Im Blick auf unsere Arbeitswelten könnte das bedeuten, darüber zu reden, was wir verdienen, aus zu verhandeln, was wir benötigen und uns für lebenssichernde Löhne für alle einzusetzen, gemeinsam, branchenübergreifend.
Im Blick auf heute lade ich ein, sich in die dargestellten Personen hineinversetzen. Wie stellt sich die Geschichte aus heutiger Chefperspektive dar? Fallen uns da Sätze ein wie: “Heh, anzahn, sonst werden wir heute nicht mehr fertig.“ Oder: „Ich zahle euch ja nicht umsonst – draußen stehen noch genug, die auf Arbeit warten.“ Oder aus der Sicht eines/r Arbeitslosen: „Immer kommen zuerst die Jungen und Starken dran, es ist zum Verzweifeln. Ich möchte doch auch meinen Beitrag in der Arbeitswelt leisten. Hoffentlich stellt mich wer ein.“
Die Langzeitarbeiter wären ruhig gewesen, hätten die anderen erkennbar weniger als sie bekommen, also weniger oder zu wenig zum Leben. So hat die Erzählung klar zum Ziel, Solidarität zu lehren. Alle ArbeiterInnen leben in enger Lebensgemeinschaft. Auch die jetzt zuerst Angeworbenen, weil vielleicht jung und vor Vitalität strotzend, werden älter, gebrechlicher, schwächer. Sie werden dann möglicherweise auch später am Arbeitsmarkt angeworben. In einer solidarischen Gesellschaft dürfen sie darauf vertrauen, dass sie dann auch genug zum Leben haben werden.
Die Güte Gottes hat zur Konsequenz, die Solidarität der Menschen. Gütig sein untereinander, sich gegenseitig das gönnen, was zum Leben notwendig ist, sich nicht mehr herausnehmen als das zum Leben Nötige, wären neue Kategorien für ein Wirtschaften, wo es darum geht, dass niemand sich auf Kosten anderer bereichert, dass gemeinsam Erwirtschaftetes auf alle aufgeteilt wird, dass am Ende des Tages alle genug zum Leben haben. Und das nicht erst im Himmelreich sondern gerade auch jetzt und hier auf Erden.

 

Download der Sozialpredigt "Vom Himmelreich und Arbeitswelten. Genug für das tägliche Leben - eine Ökonomie der Güte und Gerechtigkeit" von Mag. Fritz Käferböck-Stelzer

21.09.2014, Mag. Fritz Käferböck-Stelzer

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