Mittwoch 1. Mai 2024

Solidarisch Mensch werden - Den Gott des Lebens ins Spiel bringen

Sozialpredigt zum 18. Sonntag im Jahreskreis, 5.August 2007

im Rahmen der Sommer-Predigtreihe (18. bis 21. Sonntag im Jahreskreis) zu den Anliegen der Europäischen ökumenischen Versammlung in SIBIU/Hermannstadt

 

von 3. bis 9. September 2007: Europa, Frieden/Versöhnung, Islam/Integration, Schöpfung bewahren

 

Evangelium: Lk 12,13-21

 

Autor: Mag. Fritz Käferböck-Stelzer, Leiter des "Treffpunkt mensch & arbeit", Nettingsdorf

Einführung

 

Die ökumenische Versammlung 2007 im rumänischen Sibiu rückt neben anderen Themen die bewohnte Erde als Lebensraum in die Mitte. Sich gegenseitig hören, wahrnehmen und aufeinander schauen beschreibt den Umgang miteinander in diesem Lebensraum Welt. Von der wir übrigens nur eine haben. Der heutige Evangeliumstext kann hier ein Antwortversuch darauf sein, dass es an der Zeit ist, die Schätze der Erde gemeinsam zu verwalten und gerecht auf alle aufzuteilen. Grundintention des israelitischen Gottesrechtes ist der ungehinderte Zugang aller Menschen zu den lebensnotwendigen Gütern. Daran knüpft Lukas an.

 

An die heutige EU wird oft die Frage gerichtet, ob wir nicht alles zu sehr durch die wirtschaftliche Brille bewerten. Das Europa der Zukunft muss nicht bloß ein funktionierender Markt, sondern v. a. ein gut bewohntes „gemeinsames Haus“ werden; dann wird auch das Ökonomische gut gelingen. Bloß freies „gewähren Lassen“ des gewinnorientierten Wirtschaftens zerstört nach biblischer Erfahrung die Gerechtigkeit, die den Kern des Bundes zwischen Gott und den Menschen bildet.

 

Predigt

 

„Zerreißen soll es dich vor lauter Gier!“ oder „Schlecht soll dir werden vor lauter Gier!“ Alte Volksweisheiten klingen näher betrachtet sehr schlau. Hier knüpfen sie an die Geschichte, die uns Lukas erzählt - an die Geschichte vom Überfluss, vom Horten für sich, von immer mehr und immer größer. Und münden letztendlich in einem kurzen, sehr wahren Sager: „Du kannst dir nichts mitnehmen!“ Oder mit Heinrich Heine: „Kein Eigentümer schuf die Natur, denn taschenlos, ohne Taschen in den Pelzen, kommen wir zur Welt, wir alle.“ Keine neue Erkenntnis, aber es ist gut, sie sich immer wieder vorzusagen.

 

Meine Früchte, meine Scheunen, mein Getreide, meine Güter, meine Seele. All das ist mein. Da geht einem schon fast das Herz über. Denken wir nicht auch öfter in solchen Kategorien? Mein Haus, mein Auto, mein Pool, meine Kinder, mein … . So gesehen kann die Geschichte von Lukas auch für unsere alltägliche Praxis Anregung sein und eine Änderung unseres Handelns bewirken.

 

Es gibt nur wenige neutestamentliche Texte, die im Kontext einer Auseinandersetzung um die marktwirtschaftliche Verteilung der Güter zu lesen sind. Das Gleichnis vom reichen Kornbauern gehört dazu. Die Frage nach den Reichen der Gesellschaft und einer gerechten Verteilung der Güter des Lebens wird konkret gestellt - hier und jetzt, sehr anschaulich.

 

Jesus stellt Gerechtigkeit als Maßstab ökonomischer Systeme ins Zentrum. Unsere Bereicherung soll nicht Triebfeder für alles sein, auch wenn die Sorge um das tägliche Brot, Kleidung und Dach über dem Kopf nötig sind. Die Perspektive des ökonomischen Handelns besteht nicht darin, dass jedeR nur für sich selbst Schätze sammelt (V21), sondern sie besteht in der Sorge um die Gerechtigkeit, „…dann wird euch das andere dazugegeben“, wie es in Weiterführung des Textes bei Lukas später heißt (V31).

 

Gott weiß, was die Menschen zum Leben brauchen. Die Schöpfung bezeugt seine Güte und Vorsorge. Die Schöpfung ist produktiv genug, Leben zu erhalten. Der Segen Gottes, der sich in ertragreichen Ernten zeigt, gehört geteilt. Gerecht verteilt zum Leben. Es ist eine Grundfrage unseres Glaubens, die über unser Handeln entscheidet. Glaube ich daran, dass die Güter dieser Welt von Gott kommen und dass das Land, wie es in der alten Tradition festgeschrieben ist, Gott gehört? Dass genug für alle da ist und wir getrost darauf vertrauen können, dass wir das zum Leben bekommen können, was wir brauchen? Es wirkt sich auf unser Tun, auf unseren Umgang miteinander aus, dass sich Menschen nicht zum Verteiler von Lebenschancen aufspielen dürfen.

 

Letztendlich ist es die Grundfrage, wie sorgsam wir mit den Gütern der Erde umgehen und wie wir sie auf alle verteilen. Was sollen wir essen und trinken? Wie sollen wir die Güter zum Leben besorgen? Lukas macht deutlich, dass der reiche Kornbauer diese Frage anders beantwortet als Jesus und seine AnhängerInnen. Die Welt sieht von oben eben anders aus als von unten. Zwei Formen der Ökonomie liegen im Widerstreit. Die Ökonomie der Bibel sagt: „Genug für alle“. Genug in Produktion, Konsum und Verteilung. Es gibt auch die Ökonomie der Reichtumsakkumulation, der Anhäufung von Besitz für wenige reiche Eigentümer, der Vermehrung des eigenen Geldvermögens auf Kosten der Gemeinschaft. Lukas illustriert die Logik der Marktwirtschaft anhand des Beispiels vom reichen Kornbauern. Produziert wird nicht für den eigenen Bedarf, sondern für den Verkauf. Der reiche Mann will Mehrwert abschöpfen. Der reiche Bauer verknappt das Angebot, indem er Güter zurückhält. Der Kornbauer handelt marktwirtschaftlich vernünftig, denn ein knappes Angebot treibt die Preise in die Höhe. Die Bereicherung macht den Kern der Geschichte aus. Was marktwirtschaftlich so vernünftig klingt, weil Verknappung von Gütern höhere Preise bringt, entscheidet für jene, die Getreide zum Leben brauchen über Leben und Tod. Das gesamte Spekulationswesen ist so gesehen ein Unrecht.

 

In der Bibel wird dieses Grundproblem von arm und reich mit der Entscheidungsfrage angesprochen: Gott oder Mammon. Biblische Geschichten erzählen immer wieder von der Sorge um die Dinge des Lebens. Es ist die Grundfrage an jede Ökonomie, ob sie fähig ist, die lebensnotwendigen Dinge – und dazu gehört in der Geschichte des Lukas das Getreide - für alle zu sichern. Was brauchen wir wirklich in unserem Leben? Das ist eine zentrale Anfrage an uns und unser Wirtschaften. Was ist in unserem Leben wichtig und wie kommen wir gemeinsam dazu?

 

„Sag zu meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile“. Mit dieser Aufforderung beginnt Lukas seinen Text. Sie ist ein klarer Hinweis für eine neue Form des Wirtschaftens. Es geht um Neuverteilung, um ein solidarisches Verteilen. Das ist somit im übertragenen Sinn ein klarer Auftrag, wie das Erbe des Vaters (also: Gottes Erbe) zu verwalten ist: Ein schöpferischer Umgang mit der Welt, ein gemeinsames Erwirtschaften und Verteilen an alle, auf dass alle genug bekommen können. In dem klaren Bewusstsein, dass es an der Zeit ist, Arbeit und Wohlstand zu teilen. Denn es ist kein persönlicher Verdienst, in welcher Epoche, in welchem Land, in welcher Gesellschaftsschicht wir zur Welt kommen.

 

Als Menschen sind wir von Grund auf Beziehungswesen. Allein ist niemand von uns lebensfähig. Wir brauchen Beziehung und Zuwendung, helfende Hände, Austausch. Solidarisches Leben ist Leben in Beziehung und Abhängigkeiten. Und erst durch ein solidarisches Miteinander, das unsere Lebensgrundlagen sichert, ist die Voraussetzung geschaffen für individuelle Freiheit, Kreativität, ein Leben in Fülle, wie es uns immer wieder zugesagt wird.

 

Lukas belässt es in dem Widerstreit der beiden Ökonomien nicht bei einer moralisierenden Betrachtungsweise, die sich damit begnügt, zu ermahnen, doch weniger habgierig zu sein. Das Aufspeichern des reichen Kornbauern ist ein Wirtschaftsverbrechen, weil durch das Zurückhalten des Getreides die Gemeinschaft geschädigt wird. Demgegenüber rückt die Bibel den Begriff der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Gerechtigkeit wird zum Maßstab zur Beurteilung ökonomischer Systeme. Suchet die Gerechtigkeit, suchet das Reich Gottes und ein Automatismus der Umverteilung, des ins rechte Licht-Rückens kommt damit in Gang. Durchbrechen wir die Logik des Marktes mit unserer guten alten biblischen Tradition im Handgepäck. Die Bibel will strukturell und nicht durch Almosen das Leben aller sichern. Die Aktualität für heute ist nicht zu übersehen.

 

Lukas fällt ein Urteil über diese Ökonomie des freien Marktes. Diese Ökonomie vermag Leben nicht zu sichern. Am Ziel seiner Wünsche angekommen, stirbt der Getreidespekulant. Der Tod des reichen Spekulanten weist hin auf die tödlichen Folgen dieses Marktes. Der freie Markt sichert wohl individuelle Bereicherung, ist aber nicht geeignet, jene Aufgabe zu erfüllen, für die die Ökonomie zuständig ist, nämlich alle Menschen mit Gütern zu versorgen. Nach einem Ausspruch von Jean Ziegler werden täglich 100.000 Menschen durch Hunger ermordet.

 

Die Gesetze des Marktes geben sich den Anschein von Sachzwängen und Gesetzmäßigkeiten. Das Gleichnis vom Kornbauern demaskiert diesen Mythos. Es spricht von handelnden Personen, die wirtschaftliche Entscheidungen treffen und deshalb auch wirtschaftliche Verantwortung tragen. Auch wir als Konsumenten und Konsumentinnen leisten durch unsere Handlungen unseren Beitrag. Schmieren wir ungerechte Systeme der Privat- und Einzelvorsorge oder haben wir solidarische Systeme im Blick, die ausgleichend wirken. Schauen wir auf fair trade, gute Arbeitsbedingungen, regionale Produkte und ProduzentInnen?

 

„Du Tor“ („Narr“) sagt der Evangelist Lukas und stellt klar, dass das Leben kein Eigentum, kein verfügbares Gut ist, sondern etwas Geliehenes. Das Leben gehört Gott. Dementsprechend ist unser Leben eingebettet in einen größeren Zusammenhang. Ich lebe nicht allein. Wer das übersieht, übersieht seine Nächste, seinen Nächsten. Lukas wendet sich mit einem kompromisslosen Vorschlag an jene, die mehr besitzen als sie zum Leben brauchen. Er will sie zum Teilen ihrer Güter mit jenen überzeugen, die nicht genug zum Leben und Überleben haben.

 

„Was sollen wir trinken, sieben Tage lang?“ So heißt es in einem Lied, das nach gemeinsamem Schaffen und Kämpfen zum Feiern einlädt. Ein Lied, das Sehnsucht weckt, das von Hoffnung singt, von einer Welt, in der genug für alle da ist und auch wirklich allen zugute kommt. Der Gedanke der Solidarität, des Miteinanders kann nicht verordnet werden. Aber es ist notwendig, dass der Geist der Solidarität Orte hat, wo er sich ausbreiten kann. Wenn wir uns Sonntag für Sonntag Texte der Hoffnung und des Miteinanders zusagen halten wir solche Orte der Solidarität, des Aufeinander Schauens am Leben. Unsere christlichen Visionen sind alltagstauglich. Bringen wir den Gott des Lebens für alle ins Spiel. Immer. Und immer öfter. Alltäglich – Tag für Tag. In einer neuen Praxis der Solidarität, des Teilens.

 

Text

 

 Weg-Gebete

 

Du bist Gerechtigkeit

lebst in all den Initiativen von Menschen

die sich nicht abfinden mit Ausgrenzung und Ausbeutung

 

Du bist beharrliche Geduld

wirksam in all den Menschen

die den langen Atem der Hoffnung einüben

 

Du bist leidenschaftliche Kraft

erfahrbar in einer Widerstandskultur

wo jeder Mensch seine Würde behält

 

Du bist wohlwollende Zuwendung

sichtbar im unermüdlichen Glauben an das Gute im Menschen

das sich auch in der Parteinahme für die Kleinen zeigt

 

Du bist Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

geheimnisvoll nahe in unserem Hunger und Durst

nach deiner verwandelten Welt

wo alle gesättigt aufrecht gehen können


 

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