Sonntag 12. Mai 2024

"Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus, ..."

Sozialpredigt zur Taufe des Herrn (13. Jänner 2019) im JK, LJ C

Jes 42,3

 

Autor: Peter Schwarzenbacher, MSc, Referent für das ständige Diakonat in der Diözese Linz

 

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

 

In den schrecklichen Jahren des zweiten Weltkrieges läutet es eines Nachts bei einem evangelischen Pfarrhaus im Norden Deutschlands. Die Pfarrersfamilie öffnet und vor der Tür steht eine jüdische Familie, die ängstlich bittet, Aufnahme und Versteck vor den Nazis zu finden. Die Pfarrersfrau sagt zu ihrem Mann:  „Wenn wir das tun, werden wir alle sterben.“ Der Pfarrer sagt zu seiner Frau:  „Käthe, mit der Taufe liegt der Tod hinter uns.“ Die jüdische Familie wurde aufgenommen, versteckt und alle haben überlebt.

 

In der Lesung aus dem Buch Jesaja haben wir – unter anderen - folgendes Erkennungszeichen des Messias gehört: „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus;…“ Nicht nur in der Zeit des Jesaja hat das unterdrückte Volk den Messias erwartet, um es aus Bedrängnis und Not zu befreien. Dass er Hunger und Elend besiege, Krankheiten heile, Schutz und Frieden bringe.

 

Der evangelische Pfarrer und seine Familie haben aus ihrer Taufberufung heraus ein messianisches Zeichen gesetzt.

 

Christen und Christinnen jeder Zeit sind durch ihre Taufe berufen, messianische Zeichen in der Welt zu setzen und gemeinsam als ein messianisches Volk erkennbar zu sein.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat dazu formuliert: „So ist denn dieses messianische Volk,… für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils.  Von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet, wird es von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde … in alle Welt gesandt.“ (Lumen gentium II/9)


Erst letzten Herbst hat sich Kanadas Premierminister Justin Trudeau im Namen seines Landes für die Abweisung von 900 jüdischen Flüchtlingen entschuldigt. Das vollbesetzte Flüchtlingsschiff „St. Louis“ wurde kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges weder von den USA, noch von Kuba, noch von Kanada an Land gelassen. Das Schiff musste umkehren, viele der jüdischen Flüchtlinge wurden später von den Nazis ermordet. Ein messianisches Zeichen der damaligen Regierungsverantwortlichen - und somit eines ganzes Volkes - hätte diese menschliche Tragödie verhindern können.


Einzelne Menschen und auch ganze Staaten schauen gerne auf andere: man will nicht aus der Reihe fallen oder man befürchtet Nachteile, wenn man Menschlichkeit vor Recht gelten lässt. In der Taufe wird ein unwiderruflicher Anfang gesetzt und man ist berufen – wenn es um das Leben geht – immer wieder Anfänge zu setzten, aus der Reihe zu tanzen. Auch gegen alle Konventionen hinweg, bewusst mögliche oder dabei erwartbare Nachteile in Kauf zu nehmen. Ja, wenn es sein muss, auch im Notfall des Lebens über geltende Gesetze hinwegzugehen. In der Taufe sagen wir ein „Ja“ zum Leben. Damit sagen wir vollständig „Ja“ zur Nachfolge: „Ja“ zu unseren Grenzen und gleichzeitig „ja“ zu unserer grenzenlosen Berufung, uns für das Leben, für ein lebenswertes Leben einzusetzen.


„Jesus“ heißt übersetzt „Gott befreit“. Bei Jesaja finden wir dazu eigene Entsprechungen: „blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und alle die im Dunkel sitzen aus der Haft.“

Jesus setzt die Macht der Liebe über alles und gegen die Gewalt. Das brachte ihm schließlich den gewaltsamen Tod. In dieser Hingabe liegt seine Stärke und das Geheimnis des Lebens. Er war nicht auf seine Position bedacht, es ging ihm um den Menschen, um uns. Bis zum Letzten, bis zur Hingabe seines Lebens war er für die anderen da und offenbarte so den „Gott mit uns“.

Auch in unserer Zeit braucht es immer wieder Zeichen aus dem messianischen Volk, dort wo Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit auftreten.

Medien haben ein deutliches Zeichen gesetzt, als ein deutscher Sportler keinen Handyvertrag erhalten hat, weil er laut Provider aufgrund seiner Krebserkrankung die Mindestlaufzeit von 24 Monaten möglicherweise nicht erfüllen kann. Die Aufregung in den Medien war groß über diese Unmenschlichkeit, wo das Recht eiskalt über die Menschlichkeit gestellt wurde. In Paris hingegen hat ein Busfahrer alle Fahrgäste aussteigen lassen, weil sie einem Rollstuhlfahrer im vollbesetzten Bus keinen Platz gemacht haben; der Rollstuhlfahrer und seine Begleitung durften dann im Bus weiterfahren.


Nicht nur für die unzähligen Menschen, die weltweit auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und drohendem Elend sind, könnte der UNO-Migrationspakt ein messianisches Zeichen sein. Auch für die Aufnahmeländer böte sich die Gelegenheit, den Herausforderungen und Chancen der internationalen Migration, aufbauend auf den Menschenrechten, gemeinsam abgesprochen und möglichst bewusst gesteuert zu begegnen. Geeint vorzugehen, anstatt vereinzelt und gespalten. Solidarisches Handeln und Einigkeit auf internationaler Ebene sind entscheidend, um Leben zu retten, für ein möglichst friedvolles Miteinander.

 

Ein Miteinander, das auf lokaler Ebene in vielen Gemeinden gut funktioniert, in dem zahlreiche kirchliche, zivilgesellschaftliche und betriebliche Gruppierungen sich ganz konkret der Integration annehmen. Sogar eine ganze Stadt, Lienz in Osttirol, stellte sich hinter eine gut integrierte Familie von AsylwerberInnen. Die Anwendung des humanitären Bleiberechts seitens der Behörden wurde nicht nur in diesem Fall schmerzlich vermisst.

 

In Deutschland wird eine 29jährige kranke und schwangere Iranerin nach abgebrochener Abschiebung mit ihrem einjährigen Sohn in Hausschuhen am Bahnhof zurückgelassen. Sie wurde zuvor im Krankenhaus von der Polizei verhaftet und zum Flughafen gebracht. Der Pilot weigerte sich jedoch, die Frau und ihre Familie zu befördern. Ein Bahnmitarbeiter erließ der Frau den für die Fahrkarte noch fehlenden Betrag von fünf Euro und gab ihr Geld, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnte.


„Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus;…“  

Den Medien und der Politik kommt in Bezug auf die öffentliche Meinungsbildung und Bewusstseinslage eine besondere Verantwortung und Bedeutung zu. Sie steuern wesentlich das gesellschaftliche Klima in einem Land. Erschreckender Weise befeuern neuerdings sogar höchste RepräsentantInnen eines Staates öffentlich ein Klima des Hasses gegenüber Minderheiten oder politischen GegnerInnen und nehmen so ein Umschlagen in Gewalt offensichtlich bewusst in Kauf: in den USA, in Brasilien, auf den Philippinen, beispielsweise.

Aber auch in Europa: In Ungarn werden Obdachlose per Gesetz über Nacht kriminalisiert. Die Seenot-Rettung von Ärzte ohne Grenzen wird öffentlich schlecht geredet, obwohl hier versucht wird, Ertrinkenden das Leben zu retten: das ist nicht nur eine menschlich-moralische Angelegenheit, hier gibt es sogar eine rechtliche Verpflichtung dazu. Allein im Jahr 2018 sind an die 2000 Menschen im Mittelmeer ertrunken.

 

Auch Falschmeldungen zur Familienbeihilfe oder etwa offener Rassismus im Zusammenhang mit der neuen E-Card in den sozialen Netzwerken sorgen für Aufregung und dienen offensichtlich dazu, die Neiddebatte anzuheizen.

 

Aber Neid führt zu Hass und Hass zu Gewalt. Barmherzigkeit führt zu Solidarität, Solidarität zu Einheit und Frieden – dies ist der Auftrag des messianischen Volkes.
Die Taufe ist kein Kinderspiel, sie ist ernst. Ein wunderbares Geschenk aber auch voll Ernsthaftigkeit. Franz Jägerstätter hat seine Taufberufung kompromisslos gelebt: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi.“ Ein Leben in Fülle, das uns zugesagt wird, damit wir hoffen und zugleich Hoffnung geben - durch jeden Schmerz und Verlust hindurch.

Ein „Ja“ zum Leben, in dem das geknickte Rohr nicht gebrochen wird und der glimmende Docht nicht ausgelöscht wird.

 

„Ja“ zu einem Leben, das verhindern hilft, dass Eltern von ihren Kindern getrennt werden oder sie gar tot am Strand auffinden. „Ja“ zu einem Leben, das flüchtenden Menschen Heimat ermöglicht. „Ja“ zu einem Leben, das uns von Ausgrenzung und Diskriminierung befreit; das jene, die bereits unter die Räder gekommen sind und am Boden liegen nicht noch mehr benachteiligt oder demütigt, sondern aufrichtet und heilt.

 

Amen.

 

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