Freitag 3. Mai 2024

Wer hat gesündigt: Der blind Geborene selber oder seine Eltern?

zum 4. Fastensonntag im Jahreskreis (26.3.2017)

 

Autorin: Mag.a Dorothea Schwarzbauer-Haupt

Um die Argumentation der Predigt deutlicher zu machen, sollen als Kurzfassung die Verse:

Joh 9, 1-16 und 28 – 38 gelesen werden

 

Besinnung:


Wer ist schuld daran, fragen viele Menschen, wenn ein Unglück geschehen ist. Die Suche nach Schuldigen macht es uns leichter mit Leiderfahrungen umzugehen. Allzu leicht entziehen wir uns unserer Verantwortung für Versagen und Scheitern, indem wir andere Menschen zu Sündenböcken machen. Deshalb bitten wir Jesus um sein Erbarmen.


Jesus du hast aufgezeigt, dass Leid nicht die Strafe Gottes für unsere Sünden ist. Herr, erbarme dich unser

Jesus du hast erfahrbar gemacht, dass sich im Leid die Nähe und das Wirken Gottes zeigen können. Christus erbarme dich unser
Jesus du hast immer wieder Menschen von Verblendung und Blindheit befreit. Herr, erbarme dich unser

 

Predigt:
Immer wenn uns die Meldung von einem Unfall, einem Versagen oder einer Katastrophe erreicht, wird die Frage gestellt: Und wer ist schuld daran? Sofort setzt die Suche nach jemandem ein, der oder die sich schuldig gemacht hat. Diese Reaktion ist verständlich, denn sie erleichtert den Umgang mit solchen unangenehmen oder leidvollen Erfahrungen sehr.
Wenn klar ist, wer schuld ist, sind alle anderen unschuldig und vom Verdacht frei zu sprechen.
Wenn klar ist, wer schuld ist, ist auch klar, wer die Verantwortung zu tragen hat, damit sind alle anderen entlastet.
Wenn klar ist, wer schuld ist, können Vergeltungs- und Rachebedürfnisse befriedigt und Strafen verhängt werden.
Alle diese Vorteile, die das Dingfestmachen eines Schuldigen mit sich bringt, erklären, warum wir so eifrig, oft fast fanatisch nach den Schuldigen für negative Ereignisse suchen. Jemand oder etwas muss doch daran schuld sein, dass das oder jenes passiert ist, davon sind wir überzeugt.

Nur leider ist die Sache nicht so einfach.
Die Ursachen und Vorgeschichte eines Unglückes oder Versagens sind oft kompliziert und verworren. Oft haben viele kleine Schritte dazu geführt oder viele verschiedene Menschen haben ihre Beiträge geleistet, damit es so weit kommen konnte. Viele, vielleicht sogar alle, sind an diesem Ereignis beteiligt und so gesehen schuld.
Oder es ist überhaupt niemand schuld. Es war einfach Pech, Tragik, Zufall, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ….Damit umzugehen, das auszuhalten fällt uns ganz besonders schwer.

Auch im heutigen Evangelium geht es um die Frage: Wer ist schuld?
Im Judentum war die Ansicht sehr verbreitet, dass Leid die Strafe Gottes für die Sünden der Menschen ist.
Was aber ist, wenn es jemanden trifft, der oder die gar nicht sündigen konnte, wie ein neugeborenes Kind? Dann müssen halt die Eltern herhalten, sie werden durch die Blindheit ihres Kindes für ihre Sünden von Gott bestraft.

Jesus ist zur Stellungnahme herausgefordert und er reagiert scharf: Niemand hat gesündigt. Jesus lehnt den Zusammenhang von Schuld und dem als Strafe von Gott verhängtem Leid entschieden ab. Seine Gotteserfahrung ist eine ganz andere.
Gott verhindert das Leid nicht, er straft die SünderInnen damit auch nicht. Sondern er ist ihnen nahe und will sich offenbaren, indem er heilt. Gott ist bei den Menschen im Leid, er führt sie manchmal auch heraus. Er ist ein Gott, der rettet.
Deshalb schreitet Jesus sofort nach dieser Klarstellung, dass weder der blind Geborene, noch seine Eltern gesündigt haben, zu Heilung des Blinden.

 

Damit hat er den Pharisäern aber ein großes Problem bereitet, noch dazu wo die Heilung am Sabbat geschehen ist, den Jesus offenbar als besonders geeignete Zeit für Heilungen empfunden hat.
Ein Streit und Konflikt entstehen: Kann Jesus, darf Jesus im Namen Gottes Menschen heilen und ihnen damit, nach jüdischer Vorstellung, auch ihre Sünden vergeben? Ist es berechtigt, die gängige Meinung über den Zusammenhang von Sünde und Leid zu bestreiten und dann auch noch durch eine wunderbare Heilung als falsch zu erweisen?


Die Pharisäer fühlen sich ohnmächtig. Das einzige, was ihnen einfällt, ist der Ausschluss des Geheilten aus der Synagogengemeinschaft. Seine Erfahrung des gütigen, heilenden Gottes und sein neuer Glaube könnten ja ansteckend sein. Wo kämen wir denn da hin, wenn das alle glauben würden?
Jesus aber tritt mit dem Geächteten in Kontakt und bestätigt ihn in seinem Glauben an die rettende Macht des Menschensohnes, des Messias.
Die Pharisäer aber bleiben verhärtet und gefangen in ihren Anschauungen zurück.

Die Geschichte zeigt, dass Jesus die Seinen und auch uns von der zwanghaften Suche nach Schuldigen und Sündenböcken befreien will. Diese Suche hält die Einteilung der Menschen in Böse und Gute, Schuldige und Unschuldige aufrecht.
Jesus will uns zeigen, dass manches Leid keinen nachvollziehbaren Grund hat und keinen Auslöser, den wir dingfest machen könnten. Jesus möchte unseren Blick auf den Gott, der treu ist und mit uns durch das Leben geht, lenken. Es ist eine der erstaunlichsten Erkenntnisse des jüdischen Glaubens, dass Gott nicht nur dort ist, wo es gut ist, wo es uns gut geht. Es ist offenbar auch nicht Gottes oberstes Ziel, uns vor dem Verlust von Glück und Wohlergehen zu schützen und zu bewahren. Die Gottes-
erfahrung des Judentums ist, dass Gott im Leid bei uns bleibt und mit uns durch das Unglück geht. Er führt uns zum Besseren, dort wo das möglich ist und wo es nicht möglich ist, stärkt und ermutigt er uns. Selbst durch den Tod hindurch geht er mit uns in das ewige Leben, wo wir von ihm vollendet werden.


Das Christentum hat erkannt, dass diese Vorstellung von Gott in Jesus Fleisch und Blut angenommen hat. Er ist es, in dem Gott erfährt wie sich menschliches Leid anfühlt, weil Jesus selbst Schmerzen und Verachtung ertragen hat.

Die Erkenntnis, dass in Jesus Gott leibhaftig im Leid bei uns ist, haben die ersten Christinnen und Christen wie eine Erleuchtung empfunden. Dieser Glaube stellte die Suche nach den Schuldigen in ein anderes Licht. Wenn Gott mitten unter den Opfern ist, dann lässt sich auch sinnloses und grundloses Leid bewältigen.


Vielleicht hat uns die Gemeinde um den Apostel Johannes diese Geschichte deshalb überliefert, weil sie sie als Metapher für ihre eigene Verwandlung empfunden hat. Von Geburt an sind diese Menschen überzeugt gewesen, dass Leid Strafe Gottes für Sünden ist. Jetzt sehen sie, dass Gott nicht straft, sondern im Leid mitten unter den Opfern ist. Das gibt ihnen Hoffnung und eine ganz neue Sichtweise.

 

Fürbitten:

 

GL: Gott du schenkst uns Menschen immer wieder neue Einsichten und erhellende Erkenntnisse, deshalb bitten wir dich für Menschen, die zu Sündenböcken gemacht werden.

 

+ Wir bitten für Flüchtlinge, denen die Schuld für sinkenden Wohlstand und geringere Sicherheit im Land gegeben wird.

 

+ Wir bitten für Arbeitslose und Mindestsicherungsbezieherinnen, denen Faulheit und Unwilligkeit als Grund für ihre Lage unterstellt werden.

 

+ Wir bitten für Menschen mit anderer Hautfarbe, denen die Schuld für steigende Kriminalität und Drogenproblematik gegeben wird.

 

+ Wir bitten für die Muslime, die verdächtigt werden, das christliche Abendland zerstören und den christlichen Glauben verdrängen zu wollen.

 

+ Wir bitten für Verantwortungsträger und -trägerinnen in Wirtschaft, Politik und Kirchen, denen pauschal die Schuld an den Missständen in unserer Gesellschaft zugeschoben wird.

 

+ Wir bitten für Menschen, die von schweren Schicksalsschlägen getroffen worden sind und sich verzweifelt fragen, wer daran schuld ist.

 

GL: Barmherziger Gott, dein Sohn Jesus hat uns die Augen geöffnet für das Geheimnis, dass du mitten unter den Leidenden bist. Deshalb vertrauen wir dir alles an, was uns am Herzen liegt. Amen

 

Predigt zum Download

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