Wie hast du den Weg in die Seelsorge gefunden? Gab es für deinen Weg in die Seelsorge ein prägendes Erlebnis?
Schon früh war mir klar, dass ich mit Menschen arbeiten will, daher habe ich die Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik in Steyr besucht. Nach Matura und Zivildienst wollte ich mich neuen Herausforderungen stellen und habe mich als Sozialpädagoge in Wohngruppen der Lebensraum Heidlmair GmbH in Kremsmünster und Hofkirchen beworben. Schnell habe ich gemerkt: Mit Jugendlichen arbeiten – das taugt mir! Ich habe selbst schwierige Zeiten als Kind und Jugendlicher erlebt, deshalb kann ich mich gut in den Zorn und die Hilfslosigkeit hineinfühlen. Zugleich mache ich aber auch klar, dass eine persönliche Krise keine Rechtfertigung dafür ist, Aggressionen auszuleben. Als Sozialpädagoge und sozialtherapeutischer Gruppenleiter arbeitet man nahe am Leid der Menschen, sowohl mit den traumatisierten Jugendlichen als auch mit deren Eltern: Es braucht einen systemischen Ansatz, bei dem alle Beteiligten einbezogen werden und zu Wort kommen. Diese Beziehungsarbeit, so sehe ich es heute, war eigentlich bereits Seelsorge.
Aufgrund von Einsparungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und diversen Umstrukturierungen habe ich nach 13 Jahren die Fühler ausgestreckt: Wo könnte ich gut weiterarbeiten? Ich stand 2018 vor der Entscheidung zwischen einer leitenden Funktion bei der Lebenshilfe und dem Jugendzentrum Harter Plateau. Meine Wahl fiel auf das Jugendzentrum, denn ich gestalte lieber, als dass ich verwalte. Ich habe viele Zusatzqualifikationen erworben, die will ich in Praxis umsetzen. Unser Jugendzentrum liegt in einem sozialen Brennpunkt mit sämtlichen vorstellbaren Jammertälern: Schulverweigerung, Schock, Überforderung, Ablehnung von Hilfsangeboten. Da kann ich mit meinen Stärken ansetzen: Ich bin kein Theologe, sondern ein praktisch orientierter Christ, der Güte und Nächstenliebe für jene mitbringt, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.
Was zählt zu deinen Aufgaben?
Aktuell sind wir zu viert: Silvia ist unsere hauptamtliche Jugendleiterin, Adrian macht ein Freiwilliges Soziales Jahr und Juan kommt vom europäischen Solidaritätskorps (eine Art FSJ im Ausland). Das Herzstück unserer Arbeit ist der offene Betrieb des Jugendzentrums. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Jugendlichen: zusammen reden, kochen, Billard und Fußball spielen usw. Daraus entwickelt sich eine solide Vertrauensbasis, die viele nicht gewohnt sind: Die Lebensrealität unserer Jugendlichen ist geprägt von Stress daheim, Geringschätzung durch die Gesellschaft, systematischer Benachteiligung. Es ist daher unsere zentrale Aufgabe, für ihre Interessen einzutreten.
Hin und wieder organisieren wir auch Projekte wie #TeamNächstenliebe, das 2022 mit dem Solidaritätspreis der Diözese Linz ausgezeichnet wurde: Wir sammeln Lebensmittel und Hygieneartikel für bedürftige Menschen. Dabei helfen auch unsere Jugendlichen tüchtig mit, die dabei Selbstwirksamkeit erfahren und Respekt und Dankbarkeit zurückbekommen.
Wir arbeiten gut mit der Gemeinde Leonding sowie anderen Jugendeinrichtungen zusammen, z.B. ist fix ein Platz im Gemeinderat für uns reserviert.
Was ist dir einmal richtig gut gelungen? Und was ist schon einmal so richtig schiefgelaufen?
Ärgerlich war der lange Kampf um ein Renovierungsbudget. Muss eine Kirche saniert werden, gibt es dafür Förderungstöpfe. Unser Jugendzentrum ist ebenfalls ein pastoraler Ort, zu uns kommen täglich 30-40 Leute, und wir werden nirgends mitgedacht! Wir wollen ein schöner, einladender Ort sein, denn abgefuckt kennen viele Jugendliche eh von daheim. Was lange währt, wird endlich gut: Zu unserer 40-Jahr-Feier 2022 konnte sich das Jugendzentrum Plateau in frischem Glanz präsentieren.
Zum Glück überwiegen die positiven Erlebnisse. Mir fällt zum Beispiel ein, als ein Bewährungshelfer angerufen und nach „Joe“ gefragt hat: Ein junger Gefängnisinsasse brauchte jemanden zum Reden – und hat an sein altes Jugendzentrum gedacht. Also habe ich ihn einige Male im Gefängnis besucht und ihm zugehört. Ich bin froh, dass es für diesen jungen Menschen wenigstens eine Anlaufstelle gab, an die er sich in seiner Dunkelheit wenden konnte.
Dass viele unserer Jugendlichen muslimisch sind, ist für uns kein Problem: Wir bieten eine neutrale Begegnungszone und allen Besucher:innen gegenüber dieselbe Wertschätzung. Hin und wieder hilft es auch, dass wir uns als Seelsorger:innen auf das Beichtgeheimnis berufen können: Manche Jugendliche haben aufgrund früherer Erfahrungen Angst vor den Behörden. Bei uns können sie erst einmal ihre Sorgen loswerden. Gemeinsam kann dann immer noch besprochen werden, ob weitere Schritte sinnvoll sind.
Was sind deine Top 3 Tipps für angehende Seelsorger:innen?
- Lass dich nicht unterkriegen. Man muss sich gegen viele Widerstände etwas erkämpfen. Kirchliche Jugendarbeit wird oft ausschließlich als Firmvorbereitung und Jungschar gedacht, aber zum Glück gibt es zusätzlich noch die Jugendzentren.
- Es ist die Grundaufgabe von Kirche, bedingungslos für die Menschen da zu sein – an allen pastoralen Orten.
- Wir sind die Anwält:innen der Jugendlichen. Wenn wir nicht für ihre Interessen eintreten, werden sie allzu oft vergessen.
Was sind deine spirituellen Kraftquellen? Was machst du gerne in deiner Freizeit?
Meine Familie ist meine größte Kraftquelle. Ich lebe in einer Patchworkfamilie mit meiner Lebensgefährtin und ihren zwei Kindern. Insofern werde ich meinem Namenspatron gerecht, Josef, dem Zieh- und Nährvater. Die Arbeit mit den Jugendlichen gibt mir auch viel Freude und Energie. Und für die Psychohygiene gehe ich ins Fitnessstudio.
Gespräch mit Magdalena Welsch