Was wäre ein Dom ohne Glocken?
Doch gab es eine Zeit, in der man die Kirchen verstummen lassen wollte… Tatsächlich haben die Glocken des Mariendoms eine bewegte Geschichte hinter sich, die uns Siegfried Adlberger, Orgel- und Glockenbeauftragter der Diözese Linz und Leiter der Fachkommission Glocken für Österreich, erzählt.
Sieben Glocken für den Mariendom
Das Geläute des Mariendoms wurde bereits vor Beginn des Turmbaus in Auftrag gegeben. 1884 nahm der Glockengießer Johann Michael Peteler den Guss der fünf Glocken vor. Ein Jahr später wurden sie geweiht und erklangen noch vor Fertigstellung des Domturmes von einem provisorisch errichteten, hölzernen Glockenturm. Leider stimmte das Geläute nicht ganz rein, weswegen ein Neuguss beschlossen wurde. Vier der fünf Peteler-Glocken fanden in der Pfarrkirche Altmünster eine neue Bleibe, mussten jedoch in den Jahren 1916/1917 zu Kriegszwecken abgeliefert werden und verschwanden. Das gleiche Schicksal teilte die fünfte Glocke, die der Barackenkirche des Kriegsgefangenenlagers Braunau geliehen wurde.
Den Zuschlag für den Neuguss der Mariendomglocken erhielt der Glockengießer Anton Gugg in Linz. Nach der feierlichen Glockenweihe am 30. April 1902 wurden die sieben Mariendomglocken – die Immaculata-Glocke, Josefiglocke, Petrusglocke, Pilgerglocke, Agnesglocke, Maximilianglocke und Michaeliglocke – in den bereits ein Jahr zuvor fertiggestellten Turm transportiert, von wo aus sie seither erklingen.
Zunächst bedurfte es der Kraft von 16 Männern, um die sieben Glocken zu läuten. Diese mussten 272 Stufen erklimmen, um in die in 60 m Höhe gelegene Glockenstube zu gelangen. Doch bereits 1903 wurde eine elektrische Läutemaschine eingebaut.
Dunkle Jahre
Linz besitzt mit den Glocken des Mariendoms das einzige vollständig erhaltene Großgeläute aus der Zeit um 1900 im gesamten deutschen Sprachraum. „Und Gott sei Dank ist das Geläute über die beiden Weltkriege gekommen“, freut sich Adlberger.
Denn mit einem Erlass des Kultus- und Kriegsministeriums vom 25.09.1915 wurde die Inanspruchnahme von Glocken zu Kriegszwecken bestimmt. „Im ersten Weltkrieg gab es zwei Glockenablieferungen“, erklärt Adlberger, „und beinahe hätte man – noch vor der Domweihe im Jahr 1923 – zwei Domglocken verloren.“ Das bischöfliche Ordinariat hatte sich schon damit abgefunden, die beiden größeren Glocken an die Heeresverwaltung abtreten zu müssen, doch konnte man das Unheil nach längeren Verhandlungen doch noch abwehren. „Glücklicherweise war den Leuten damals schon bewusst, dass es sich beim Geläute des Mariendoms um etwas Außergewöhnliches handelte. Zudem waren die Kosten der Herabnahme zu groß. Daher entschied man, lieber das gesamte Kupferdach abzuliefern, um die Glocken behalten zu können.“
Man hatte Schlimmeres verhindert, doch drohte den Glocken des Mariendoms im Zweiten Weltkrieg erneut ihr Ende. Zu dieser Zeit fand die größte Glockenabnahme der Geschichte statt. „Während im Ersten Weltkrieg zahlreiche Glocken aus rüstungsindustriellen Gründen eingeschmolzen wurden, stand im Zweiten Weltkrieg ein anderes Motiv im Vordergrund: Man wollte den Kirchen schlichtweg die Stimme nehmen“, erklärt Adlberger. Und das wäre auch fast gelungen.
„Die sechs kleineren Glocken wurden abgenommen, auf einen Eisenbahnwaggon geladen und nach Hamburg auf den sogenannten ‚Glockenfriedhof‘ gebracht. Die Immaculata sollte aus Kostengründen im Turm zerschlagen werden“, erzählt Adlberger. Doch aufgrund einer glücklichen Fügung des Schicksals kam es auch dazu nicht. „1947 sind die Mariendomglocken wieder zurückgekommen. Zahlreiche andere Glocken sind am Glockenfriedhof in Hamburg zerschlagen worden und haben dort ihr trauriges Ende gefunden.“
Glocken als Zeitzeugnis
In den Nachkriegsjahren war man im Zuge des Wiederaufbaus bestrebt, die leeren Kirchtürme möglichst schnell wieder mit Glocken auszustatten. Und tatsächlich hat man es bis in die 1970er Jahre geschafft, die meisten Glocken neu zu gießen. Während Glocken grundsätzlich aus Bronze gegossen werden, weil die Legierung hervorragende Klangeigenschaften aufweist, gibt es aus der Zeit nach den beiden Weltkriegen auch zahlreiche Fabriks- bzw. Stahlglocken, die klanglich nicht befriedigend sind. Da sie „von der Stange“ und aus unterschiedlichen, zur Verfügung stehenden Metallen gegossen sind, werden sie bis heute gerne ausgetauscht und es kommt zu einem Neuguss.
Das Spannende dabei: Glocken werden niemals nachgegossen. Sie sind demnach immer ein Zeugnis der entsprechenden Zeit. „Da jede Glocke einzigartig ist, entscheidet man sich daher meist, diese zu restaurieren, wenn sie brüchig wird“, meint Adlberger. „Auch, wenn das Verfahren äußerst aufwendig und fast so teuer wie das Gießen einer neuen Glocke ist.“
Wir sind jedenfalls froh, dass die Glocken des Mariendoms allen Widrigkeiten getrotzt und die Zeit überdauert haben und wir uns über ihren herrlichen Klang erfreuen können – und das hoffentlich noch viele Jahrzehnte!
Erstellt von Sarah-Allegra | 25.09.2023 | Bauwerk
Quelle:
Adlberger, Siegfried (2001): „100 Jahre großes Linzer Dom-Geläute“, in: Bischöfliches Ordinariat Linz/Pastoralamt (2001) (Hg.): Jahrbuch 2001 der Diözese Linz, 41-48.