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So. 05.12.21

Schwere Jungs und ein (musikalisches) Märchen

Alexander Marktler
Lieb lings stück
Alexander Marktler
Datenschutzreferent der Diözese Linz, Mitarbeiter der Kirchlichen Datenschutzkommission

„Wenn ich daran denke,

wie dankbar die Gefangenen waren,

kommen mir fast die Tränen ...“

Alles begann mit der Frage, wie eine Kollegin und ich einen besinnlichen Nachmittag für Inhaftierte des Gefangenenhauses Garsten im Zuge der Gefangenenseelsorge gestalten könnten. Relativ schnell kam die – gewagte – Idee auf, den Nachmittag musikalisch zu organisieren und dabei ein klassisches Musikstück vorzustellen. Wir hatten das in der Form noch nie gemacht – wie würden die Gefangenen auf Klassik reagieren? Und vor allem: Welches Stück sollten wir nehmen? Nicht zu „schwer“ sollte es sein, ein bisschen weihnachtlich, nicht brutal („Elektra“ schied somit aus), eingängige Musik – schnell fiel die Wahl, ok, meine Wahl, auf Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“, eine meiner absoluten Lieblingsopern. Ich muss zugeben, bei der Wahl allein an die wunderschöne Musik gedacht zu haben und nicht an die vielen (tiefen-)psychologischen Ebenen dieses Märchens der Gebrüder Grimm.


Bald darauf war es dann soweit, der Nachmittag in Garsten konnte stattfinden. Es hatten sich nämlich etliche Gefangene dafür angemeldet – viel mehr als erwartet bzw. erhofft … eine erste Freude. Bei Keksen, Kaffee und Tee begannen wir also, den „schweren Jungs“ über ein altmodisches Kassettendeck Ausschnitte aus Humperdincks Meisterwerk vorzustellen. Für einen Großteil war dies die erste Erfahrung mit einer Oper überhaupt – und dennoch: Die Reaktionen am Schluss waren überwältigend und sehr berührend. Ein Inhaftierter meinte sogar, schon seit Jahren nicht mehr so schöne Musik gehört zu haben – wie überhaupt fast alle Teilnehmer auf unterschiedliche Art und Weise irgendwie ergriffen und bewegt wirkten. Was hat das ausgelöst?


Meiner Meinung nach DIE zentrale Stelle der Oper, nämlich der Abendsegen mit anschließender Traumpantomime. Ich habe den Teilnehmern zu dieser Sequenz erzählt, dass in vielen Inszenierungen des Werks Hänsel und Gretels Traum folgendermaßen visualisiert wird: Die beiden Kinder sind wieder zu Hause bei ihren geliebten Eltern, sitzend an einem reichlich gedeckten Tisch, daneben ein Kamin …

 

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Und genau hier wird die große Ur-Sehnsucht des Menschen nach Geborgenheit, Wärme und gestilltem Hunger angesprochen. Verstärkt wird diese Wirkung in der Oper neben unglaublich schöner, beinahe überirdisch wirkender Musik, noch zusätzlich durch die vierzehn Engel, welche Hänsel und Gretel in den Schlaf geleiten und beschützen sollen. In der großen Gefahr sind die beiden Kinder, sind WIR, also nicht allein, nicht ohne Schutz!


Wie mag das nun auf die Zuhörer gewirkt haben? War die Auswahl doch zu melancholisch? Ich denke nicht – viele Teilnehmer berichteten später, dass sie in Gedanken bei ihren Eltern, Kindern bzw. grundsätzlich bei positiven Erlebnissen waren, zwar aktuell fern der Realität, aber nahe in der Erinnerung. Dass Hänsel eine Zeit lang eingesperrt und somit auch ein „Gefangener“ war, letztlich aber wieder die Freiheit erlangte, wird sicherlich auch das ein oder andere bewirkt haben …

 

Die Reaktionen der Inhaftierten haben aber auch bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen: Ich konnte das Gefängnis noch am selben Nachmittag verlassen, in der Gewissheit, mich immer auf die Geborgenheit (m)einer Familie verlassen zu können. Die Erfahrung, dass das nicht selbstverständlich ist, hat somit auch mich bereichert – passend zu Weihnachten. 

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