Qui regis sceptra
Qui regis sceptra forti dextra solus cuncta:
tu plebi tuae ostende magnam excitando potentiam.
praesta dona tua illi salutaria
quae praedixerunt prophtica vaticinia.
A clara poli regia
in nostra, Iesu, veni, Domine, arva.
Du, dessen Rechte alle Reiche einzig leitet:
zeige deinem Volk deine große Macht.
Gewähre ihm das lang ersehnte Heil.
Du, den des Sehers Mund weissagend kündet:
Hoch von des Himmels heller Burg
steig herab auf uns‘re Erde, Jesus, Herr.
Das „Qui regis sceptra“ wurde im 9. oder 10. Jahrhundert in Frankreich gedichtet und vertont. In den tridentinischen Messbüchern stand es als Sequenz vor dem Evangelium des dritten Adventsonntags. Die deutschsprachige Tagzeitenliturgie verwendet es jetzt als Hymnus der adventlichen Vigil. So lernte ich es kennen und Jahr für Jahr hat mich der Text stets aufs Neue geflasht. Irgendwann habe ich dann begonnen zu recherchieren, zu analysieren und Vertonungen zu suchen, habe aber außer der Choralfassung nichts gefunden. Diese ist aber dafür umso mehr – neben dem Canticum „Rorate caeli desuper“ – zu meinem absoluten Advent-Klassiker geworden.
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Im Hörbeispiel wird das „Qui regis sceptra“ bei einer adventlichen Freitagsvesper im Linzer Mariendom nach der deutschen Übersetzung des Stundenbuchs in einer eigenen Kontrafaktur der gregorianischen Melodie responsorial gesungen, das heißt im Wechsel von Kantor Georg Wais und der Gemeinde.
Der Text setzt mit der verstörenden Erfahrung ein, dass gerade jene, die an Gottes ebenso unbegrenzte wie menschenfreundliche Macht glauben (wollen), in dieser Welt davon aber allzu oft kaum etwas merken. Darum weckt die zweite Zeile, diskret und sozusagen „aus der Ferne“ die Erinnerung an jene eindringliche alttestamentliche Formulierung, die wir in der Liturgie des Advent immer wieder meditieren: „Excita potentiam tuam et veni ut salvos facias nos / Biete auf deine Macht und komm, uns zu retten“: Ps 80/79,3). Ganz unmittelbar berührt dann das abschließende Sprachbild: Am Ende braucht es nicht mehr als zwei knappe Verszeilen, um das ganze Narrativ der christlichen Erlösungsbotschaft in einen einzigen flehenden Ruf einzufangen. (Die Emotion speist sich dabei aus der Erfahrung frühmittelalterlicher Sozialstruktur; sie ist aber für heutige Menschen absolut mitvollziehbar.) Jesus, der Königssohn, der aus seiner „lichten Himmelsburg“ herabsteigt in unsere „Niederungen“! (Das lateinische arva ist dabei viel prägnanter als die deutsche Version und lässt öde und „verseuchte Gefielde“ assoziieren.) Wenn er, der Sohn, zu uns Sklaven- und Straßenkindern kommt, wenn er unser Gefährte und Freund wird, wer weiß, vielleicht werden dann eines Tages wir – wie er, mit ihm – Königskinder, freie Söhne und Töchter (vgl. Röm 8,29; Gal 4,3-5).
Wir rufen also nach dem, der reich war, unseretwegen aber arm wurde, damit wir durch seine Armut reich würden (vgl. 2 Kor 8,9). In der gregorianischen Vertonung lässt sich das kongenial singen: In der vierten Zeile, die an die uralten Verheißungen, an die „prophetica vaticinia” erinnert, erreicht die Melodie mit dem markanten Ganztonschritt nach oben einen ersten –„vorsichtigen”, „fragenden” – Höhepunkt. In den beiden Schlussversen wird dann der Tonumfang des IV. Modus ganz ausgemessen: Die „Strecke“ zwischen der hellen, hohen Himmelsburg und unseren so oft deprimierenden Niederungen wird dabei aber nicht etwa nur einmal und in einer Richtung durchmessen – von oben nach unten oder von unten nach oben –, vielmehr verschränkt die Melodieführung beide Bewegungen ineinander: das (empathische) Herabsteigen des Sohnes wie auch das (ersehnte) Hinaufsteigen jener, die als seine Brüder und Schwestern Mitbürger der Himmelsburg werden sollen.