Mutig in die neuen Zeiten
Ich sehe das Wort Mut und spontan kommt mir die dritte Zeile unserer Bundeshymne in den Sinn: „Mutig in die neuen Zeiten, frei und gläubig sieh uns schreiten …“
Warum wohl? Keine Ahnung. Doch je länger ich den Text im Kopf wälze, umso mehr wird mir klar, dass wir „neuen Zeiten“ entgegenschreiten. Nichts mehr wird so sein wie vor Corona. Wir werden, wenn wir etwas erzählen, wahrscheinlich dazu sagen: „Ach, das war ja vor der Pandemie.“ So oder so ähnlich werden wir unsere Erlebnisse und Ereignisse einteilen.
Dann die Wörtchen „frei“ und „gläubig“. Freiheit, eines unserer größten Güter. In der Demokratie eine Selbstverständlichkeit, aber hart errungen von unseren Vorfahren. Und da glauben manche, ihre Freiheit werde beschränkt, weil sie Mund-Nasen-Schutz tragen sollen oder weil sie nicht mehr reisen können, wohin und wann immer sie wollen, oder oder oder. Bedenken diese auch, dass sie das auf Kosten der Allgemeinheit tun? In meinem Alter habe ich dafür leider wenig Verständnis. Die Gesundheit der Mitmenschen liegt mir am Herzen und dafür bin ich bereit, einiges in Kauf zu nehmen. Ebenso eine Selbstverständlichkeit in Europa: den Glauben zu wählen. Ohne Repressalien, ohne Angst vor Verfolgung.
Angst. Ist Angst das Gegenteil von Mut? Oder die natürliche Reaktion, dass das beklemmende Gefühl der Bedrohung zu groß für mich ist?
Viele Wörter im Sprachgebrauch enthalten das Wort Mut: Mutprobe, Wagemut, Wankelmut, Hochmut, Schwermut … und auch sehr positiv gesehen der Übermut. Klingt doch richtig fröhlich, dieses Wort. Wann waren Sie das letzte Mal so richtig übermütig? Wahrscheinlich ist das bei Ihnen auch schon etwas länger her, so wie bei mir auch.
Mutig, tapfer, gewagt, couragiert zu sein hat nichts mit Leichtsinnigkeit zu tun, sondern einfach damit, sich auf Neues, Unbekanntes einzulassen, ohne zu wissen, was am Ende herauskommt. Deswegen ein Risiko einzugehen, tollkühn zu sein, hat nichts mit Mut zu tun.
Mut hat mit Neugier (im positiven Sinn) zu tun. Aufgeschlossen sein, Ungewohntes ausprobieren, die Komfortzone verlassen und schauen, ob das Neue etwas für einen ist. In diesem Sinn war ich ein Leben lang neugierig, um nicht zu sagen mutig.
Jetzt bin ich 70, habe mit 40 die Lehramtsprüfung gemacht, mit 65 den Master, mit 40 das Snowboard ausprobiert, mit 50 im Hochseilgarten den Flying Fox (zum ersten, aber nicht letzten Mal!) genossen oder vor Corona (sehen Sie, ich teile mein Leben auch schon in vor und nach Corona ein!) viele Reisen in ferne Länder und Kulturen unternommen. Als ich in Pension ging, meinten einige ganz ungeniert: „Mach doch die Webseite für unsere Pfarre! Und übrigens: Pfarrblatt haben wir auch keines.“ Was glauben Sie, ist aus diesem Ansinnen geworden?
Und nun bin ich dabei, das Tarockspiel zu erlernen. (Uff!) Nicht einen Tag möchte ich missen und mir vor allem die Offenheit für Neues behalten. Wer weiß, was ich noch anfangen werde? Brotbacken jedenfalls hat mir Corona schon eingebrockt.
In diesem Sinn wünsche ich allen viel Freude beim angstfreien Ausprobieren von Neuem und Ungewohntem. Nur Mut und immer neugierig bleiben!