Die Begeisterung (wieder)entdecken
Was Menschen brauchen, um das unverwechselbar Eigene zu finden, sind Weggefährten, die sie einladen, ihren Horizont zu erweitern und ihnen neue Perspektiven eröffnen. Allerdings funktioniert das nur, wenn es im Leben dieser Menschen irgendetwas gibt, wofür sie sich begeistern können. Begeisterung ist der Jungbrunnen einer Gesellschaft und der Gradmesser für ihre Lebensqualität und seelische Verfassung.
Der Begriff „Begeisterung“ ist in diesem Zusammenhang deshalb so wichtig, weil er helfen kann, die Krise einer Gesellschaft besser zu verstehen: Menschen, denen es an Begeisterung fehlt, werden mit der Zeit krank, und kranke Menschen ohne Perspektive formen nach und nach auch eine kranke Gesellschaft. Wenn die Zahl der „Entgeisterten“ überhandnimmt, zieht anstelle von Begeisterung der Verwaltungsgeist ein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sagt den westlichen Industriestaaten für die nächsten Jahre den Anstieg von Angststörungen und depressiven Erkrankungen voraus. In Zwiesprache mit der Hirnforschung kann die Schlussfolgerung daraus doch wohl nur lauten: Unsere Gesellschaft muss sich verändern, das menschliche Miteinander muss in allen Lebensbereichen neu überdacht werden, die Behandlung von Kranken in einen größeren Zusammenhang gestellt, der Umgang mit jungen Menschen in dieser Gesellschaft aus einer völlig neuen Perspektive betrachtet werden. Ob Partnerschaft, Elternhaus, Kindergarten, Schule, Politik, Krankenhaus, Therapie oder Seelsorge: Die Frage lautet, ob diejenigen, die dafür verantwortlich sind, sich für das, was in ihrer Macht steht, noch zu begeistern sind.
Die frohe Botschaft aus der Hirnforschung dazu lautet: Es könnte sich alles ändern, wenn es den Menschen nur gelänge, sich (wieder) für irgendetwas zu begeistern. Freilich müssten dabei möglichst viele sich in der Kunst üben, Menschen einzuladen, neue, andere Erfahrungen zu machen und sie müssten möglichst vielen Beteiligten vermitteln können, dass sie das gerne tun und dass sie die Menschen mögen, mit denen und für die sie das tun. Weil in diesem Zusammenhang gerade diejenigen solche Erfahrungen besonders brauchen, die Schwierigkeiten machen, müssten möglichst viele Verantwortliche möglichst viele von denen mögen, die sie im Moment überhaupt nicht leiden können. Damit fängt jede Therapie und jeder Lernprozess bei einem selbst an: bei der Fähigkeit, dass man sich in andere Menschen hineinversetzt und dort etwas findet, was man mögen kann.
Wie das funktionieren und welche Auswirkungen das auf beiden Seiten haben kann, erzählte der mehrfache Jugendbuchpreisträger und Kärntner Volksschullehrer Hans Müller. Er hätte in seiner Anfangszeit in den 1960er-Jahren als junger Lehrer in der einklassigen Volksschule in der Asten im Kärntner Mölltal die Ehrlichkeit und die Unverfälschtheit der Kinder kennen- und lieben gelernt und dabei ein Lehrer-Schüler-Verhältnis wie aus dem Bilderbuch der Pädagogik erleben können. Als der junge Lehrer damals einen seiner Schüler zum wiederholten Lesen eines bestimmten Wortes auffordert, womit der Bub seine echte Not hat, und er ihn letztlich aus lauter Mitleid nicht weiter damit quälen will, atmet sein Schüler erleichtert auf und sagt zum Lehrer: „Lesen konn i net, aber di, Lehrer, hon i gern!“ („Lesen kann ich nicht, aber dich, Lehrer, hab ich gern.“)
Ein Mensch, der einem anderen Menschen das Gefühl vermittelt, gemocht, gerngehabt, ja geliebt zu werden, ist dann auch ein Mensch, der dem Gegenüber hilft, wieder in die Kraft zu kommen und seine Potenziale zu entfalten. Was dieser dabei zuallererst können muss, ist nicht, seine Verliebtheit ins Fachgebiet unter Beweis zu stellen, sondern die Verliebtheit darin, Begeisterung an andere Menschen weiterzugeben. Das geht, es ist möglich, weil bei allen Unterschieden, die Menschen voneinander trennen, die beiden Grundkoordinaten gleich bleiben: Jeder will angenommen und willkommen sein, und jeder will dort, wo er sich angenommen weiß, zeigen können, was er kann. In geglückten Begegnungen bringt jeder jeden auf neue Gedanken und keiner vermag zu sagen, wer dabei der Schenkende und wer der Beschenkte ist.
Vorstellen muss man Arnold Mettnitzer wohl nicht. Jeder ist dem Theologen und Psychotherapeuten vermutlich bereits einmal begegnet, denn der 1952 in der Künstlerstadt Gmünd in Kärnten geborene Mettnitzer ist äußerst vielseitig. Nach dem Theologiestudium schlug er zunächst den Weg als Seelsorger ein. Anfang der 2000er-Jahre verließ er den kirchlichen Dienst, nachdem er sich ab 1991 unter anderem bei Erwin Ringel zum Psychotherapeuten ausbilden hatte lassen. Seit 1996 ist Mettnitzer daher als Psychotherapeut in freier Praxis in Wien tätig. Daneben wirkt der umtriebige Mettnitzer als freier Mitarbeiter des ORF, unter anderem gestaltet er die Sendungen „Was ich glaube“ auf ORF2 sowie die Sendereihe „Lebenswege. Über Gott und die Welt mit Arnold Mettnitzer“ in Radio Kärnten mit. Weiters ist er gefragt als Vortragender und Referent zu Fragen gelungenen Lebens und seelischer Gesundheit, nicht zu vergessen ist auch seine Tätigkeit als Buchautor. Zuletzt erschienen „Steh auf und geh. Die therapeutische Kraft biblischer Texte.“ (2013), „Das Kind in mir. Perspektiven eines geglückten Lebens.“ (2014), „Was ich glaube. Überlegungen & Überzeugungen.“ (2015), „Mit dem Herzen atmen. Erinnerungen & Erfahrungen.“ (2017) sowie „Der ermutigte Mensch. Durch Resonanz meinen Platz im Leben finden.“ (2019). In diesem Buch, aus dem auch das Kapitel über das Wiederentdecken der Begeisterung stammt, nimmt Arnold Mettnitzer den Menschen und seine Suche nach Zugehörigkeit, sein Bedürfnis nach Resonanz in den Blick. Denn: „Wir Menschen sind Beziehungswesen und unser aller Leben kann nur gemeinsam gelingen", ist sich Mettnitzer sicher. Und so widmet sich der Autor dem Menschen als „Resonanzwesen par excellence“, der in einer digital geprägten, schnellen Multitasking-Welt permanent dem „Funktionieren-müssen“ ausgesetzt ist und so vermehrt Stress, Burnout und Isolation erfährt.
Im Nachwort ist zu lesen, dass er hoffe, sein Buch sei „auf irgendeine Art nützlich“. Und ob! Denn Mettnitzer nimmt uns mit vielen Beispielen und persönlichen Erfahrungen eindrucksvoll mit ins Abenteuerland der Resonanz, das er in Form von vier Resonanzfeldern (Resonanz als Grundlage menschlicher Existenz, Resonanz des Miteinanders, Resonanz als Reise und Unterwegssein, Resonanz im Erleben von Kreativität, Kunst, Kultur und spiritueller Erfahrung) vorstellt. Wie sagt Mettnitzer so schön: „Wo Menschen miteinander teilen, was sie getrennt voneinander erleben, eröffnen sich Resonanzräume, in denen das Wort 'wahr-nehmen' das meint, was an Wahrem im Inneren eines anderen vor sich geht und durch gemeinsame Aufmerksamkeit (mit-)geteilt wird.“ Ist das nicht ein faszinierender Ausgangspunkt für ein Buch voll wunderbarer Ermutigungen beim Abenteuer der Resonanz?
Quellenangabe:
Mettnitzer, Arnold (2019): Der ermutigte Mensch. Durch Resonanz meinen Platz im Leben finden. Wien: Styria Verlag. (Bestellmöglichkeit beim Verlag)
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Arnold Mettnitzer und des Styria Verlags.
Begleittext: Stefanie Petelin