Flucht und Medien
Zwei Ozeane umspielen und sichern die Küsten Nordamerikas, und der „Tortilla Zaun“ wehrt die Flüchtlinge aus Mexiko ab. Wie ging dieses riesige Land „unbegrenzter“ Möglichkeiten mit dem Freiheitswillen der Einwanderer und Flüchtlingen um? Es lohnt, das näher anzusehen.
In der Nähe der Freiheitsstatue ist eine andere Insel: Ellis Island – mit einem riesigen Gebäude, dem Tor für Flüchtlinge und Einwanderer. Hier traf die Verzweiflung der Alten Welt auf das Versprechen einer Neuen Welt. Zwischen 1892 und 1954 durchliefen Millionen Migranten diese Einwanderungsschleuse, und ein Museum zeigt die Prozedur der Kontrollen. Mit Kreide wurden jene markiert, die unter Verdacht standen, krank zu sein. Eine schauderhafte Augenuntersuchung mussten sie über sich ergehen lassen und 29 Fragen im Registry Room. Die Papiere wurden überprüft, Polygamisten, Arme, Kriminelle und Anarchisten wurden ausgesondert und zurückgeschickt. Besser ging es jenen mit genügend Bargeld.
An der Wende zum 20. Jahrhundert war das Krankenhaus auf Ellis Island riesig, und es war die erste Verteidigungslinie der USA gegen Infektionskrankheiten. Das war für viele bitter, für sie hieß es zurück! So erging es auch Leuten, die zu wenig flott im Stiegen-Steigen waren. Das wurde unauffällig beobachtet. Amerika wollte kräftige, gesunde Menschen. Sicherlich: Die Natur der Einwanderung in die USA ist und war in vielem ganz anders als die jetzigen Flüchtlingsströme nach Europa.
Kriege im Nahen Osten klopfen an Europas Türen
Kriegsflüchtlinge sind für das friedensgewohnte Europa eine Herausforderung. Und darum agieren Regierungen konfus und schwankend. Wo gelten Menschenrechte, wo bedarf es administrativer Grenzen?
Wie mit jenen umgehen, die „nur“ besser leben wollen? Wenn Flüchtlinge eintreffen – als anonyme Massen in Medien dargestellt- ruft das in vielen Leuten Panik und Angst vor Fremden und instinktive Abwehr hervor. Boulevardmedien verstärkten diese Panik, als gäbe es nur diese Probleme, Qualitätsmedien hingegen beschwichtigten, nahmen die Ängste der kleinen Leute nicht ernst. Und mit Worten, die Heimat und Christliches angeblich schützen, wird gegen Flüchtende gehetzt. Beträchtlich ist der Anteil jener, die sich dadurch verstanden meinten. Siehe diverse Wahlen.
Menschen, die aus ihrer Heimat aufbrechen, tun dies nicht aus Jux und Tollerei. Sie sind keine bösen Wirtschaftsflüchtlinge, ebenso wenig wie Millionen Deutsch sprechende Menschen und auch hunderttausende Schweden (!!!) im 19. Jahrhundert, die in die USA und nach Kanada ausgewandert sind. Die Sudetendeutsche waren Kriegsflüchtlinge, und 1945 nicht immer und überall willkommen.
Die Verantwortung der Medien
Medien spielen mit, indem sie nicht einzelne Menschen in ihrer Not, sondern Massen an Flüchtlingen angsterweckend darstellen. Für eine Sparte von Medien und gutmeinende Intellektuellen sind gewisse Reaktionen fremdenfeindlich, aber die große Zahl fremder Menschen wird von „kleinen Leuten“ als Überforderung empfunden. Wer in feiner Wohngegend verkehrt, nur im Auto unterwegs ist, berührt nicht die Welt der Flüchtlinge und Migranten und wird nicht mit der Armut und dem sichtbaren Elend – so auf der Stadtbahn der U 6 zum Westbahnhof konfrontiert. Durch dieses Wegsehen entstehen hohe Forderungen eines sozial liberalen Rudeljournalismus.
Eine Studentin sagte, sie ist für eine totale Offenheit aller Grenzen. Das lasse sich nicht vermeiden. Dass damit unsere Sozialstandards ausgehebelt würden, bedenkt sie nicht. Nächstenliebe, Gutes Wollen, bedarf geordneter Selbstliebe. Angst und Panik zu verstehen, auch unangemessene, ist eine Sache, eine völlig andere ist, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird. Da wird angeblich Christentum verteidigt, in Wirklichkeit Hass gezündelt. Umgekehrt: Nächstenliebe ist in Heiligenlegenden grenzen-los. Schöne Erzählungen und Predigen nähren diesen Superidealismus. Auch unsere Heiligen brauchen Ruheplätze. Gewisse Ideologien gebärden sich ähnlich.
Die Fehler Europas
Europa zahlt einen hohen Preis für lang zurückliegende politische Fehler im Nahen Osten (Grenzziehungen im Irak, Syrien, Libanon) und für seine eigensüchtige Wirtschaftspolitik in Afrika. So ruinierte der Export von europäischem Gefrierfleisch die afrikanische Fleischproduktion und entzieht den Afrikanern ihre Lebensexistenz. Kein Wunder, dass sie ihre Lebenssituation verbessern wollen.
Aus dem erdölreichen Rumpfstaat Libyen flüchten viele Arbeitslose nach Italien, die bisher in den Erdölfeldern Libyens beschäftigt waren. Revolutionsführer Gaddafi war für den Westen oft unberechenbar, aber sein Land war stabil und Libyen ein Wohlfahrtsstaat mit Krankenversicherung! Westliche Politik zettelt Kriege an, ohne zu wissen, was danach besser wird.
Wissenschafter sprechen von der revolutionären Gefahr der Generationen zorniger junger Männer aus dem Süden, die keine Lebenschancen sehen. Westliche Wirtschaftspolitik braucht eine Balance von Eigeninteresse mit dem Wohl von Menschen des Südens. Entwicklungskooperation trägt bei, dass Menschen in ihrem eigenen Land bleiben können. Aber es gibt auch Hollywood-Illusionen: Filme lassen glauben, der Westen lebe am Swimmingpool und trinke Sekt. Und in Syrien wurden viele deutsche Produkte, so Autos gekauft. Das muss doch ein Wunderland sein.....
Prof. Dr. Hans Högl.
Der Autor ist Medien-Soziologe, war Hochschul-Prof. und ist im KMB-Vorstand St. Pölten.
Er befasst sich mit internationalen Fragen und Katholischer Soziallehre. www.medienkultur.at