Männer und ihre Hormone
Es wird wärmer, Menschen tragen weniger Kleidung verlassen öfter geschlossene Gebäude – „auch das kurbelt die Hormonproduktion an, etwa das für Glücksgefühle mitverantwortliche Serotonin", so Dr. Ronny Tekal. Er ist Arzt, Medizinkabarettist und Buchautor. Das würde aber nicht automatisch eine bestimmte Verhaltensweise bedeuten. „Wir sind keine Sklaven unserer Hormone", so Tekal.
Frühlingsgefühle ohne Hormone
Prof. Dr. Helmut Schatz aus Bochum ist Endokrinologe, also Experte für Hormone. Er betont, dass Hormone im Frühling nicht verrückter spielen, als sonst auch. Geschlechtshormone hätten wenig mit dem Verliebt sein oder Lust auf Flirten zu tun. Die Farben aufbrechender Blüten können beitragen, sich beschwingter zu fühlen, Frühlingsdüfte sind seit der Kindheit im Gehirn oft mit positiven Gefühlen verknüpft. Die viel gefürchtete Frühjahrsmüdigkeit ist ein Mythos, wie Schatz betont. Sie könne ein Hinweis auf depressive Symptome sein, er empfiehlt als Kontrastprogramm viel Bewegung an der frischen Luft in der Natur. Das männliche Geschlechtshormon Testosteron erreicht erst Anfang Sommer seinen Spitzenwert", so der Züricher Hormonspezialist Dr. Kaspar Breneis, es gibt also hier kein Zusammenhang zu ‚Frühlingsgefühlen'.
Vaterschaft hormonell gesteuert
Bei Männern ändern sich Hormone jedoch bei der Schwangerschaft der Lebensgefährtin: „Es findet eine hormonelle Umstellung statt, es wird weniger Testosteron und mehr Prolaktin gebildet. Durch mehr körperliche Nähe mit der Partnerin wird zudem die Produktion des für Bindungsgefühle mitverantwortlichen Oxytocin angekurbelt." Gerade deswegen ermuntert der Hormonexperte Tekal Väter von der ersten Stunde an, Hautkontakt mit dem Neugeborenen zu suchen, dies sei keineswegs nur ‚Frauensache' und fördert die Bindung.
Obwohl Oxytocin übersetzt „schnelle Geburt" bedeutet, da es für die Kontraktion der Gebärmutter und das Auspressen der Milch verantwortlich zeichnet, „hat es als Sex-, Treue-, Liebes-, oder Kuschelhormon eine große Bedeutung für das Beziehungsleben", so Tekal. Sanfte Berührungen und Streicheleinheiten aktivieren dieses Hormon.
Männersache Testosteron
Noch einmal zum Thema Testosteron. „Gerade diesem Hormon wird immer wieder übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen in die Schuhe geschoben", bedauert Tekal. Natürlich würde man den Ruf der Hormone hören und oft würde dieser sehr, sehr laut und drängend sein. Ob man danach handeln möchte, liegt aber in der Verantwortung des Einzelnen.
Testosteron hilft, eigene scheinbare Grenzen zumindest kurzzeitig zu überwinden, dazu gehört auch, Menschen des anderen (bzw. des gleichen Geschlechts) überhaupt anzusprechen. Das muss aber dann nicht gleich unbedingt ein Geprotze über angebliche sexuelle Qualitäten sein.
Im höheren Alter erleben Männer eine Art Wechsel: Wie die meisten Hormone wird auch Testosteron weniger produziert. Dies kann Schwächegefühle oder Müdigkeit verursachen sowie zu Libidoverlust führen. Allerdings hat nur etwa ein Drittel der über 80-jährigen Männer extrem niedrige Testosteronwerte.
„Testosteron hat oft Männer ein Leben lang dabei unterstützt und war oft eine gute Ausrede dafür, Dinge, die funktionieren nicht zu hinterfragen und Dinge, die nicht funktionieren, zu ignorieren". Daher sind, so Tekal, mit höherem Alter auch Depressionen wahrscheinlicher, zum einen, weil man sich noch intensiver diverser verpasster Chancen oder Fehltritte bewusst wird. Zum anderen, weil das Stresshormon Cortisol auch im höheren Alter munter weiter produziert wird.
Fragwürdige Hormontherapien
Niedrigere Testosteronwerte machen medizinische Probleme wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall wahrscheinlicher. Tekal: „Das sagen zumindest die, die eine männliche Hormonersatztherapie propagieren, weil sie zufällig ein wenig überschüssiges Testosteron im Lager liegen haben." Wer seinen Testosteronspiegel etwas erhöhen möchte, dem sei regelmäßiges Kraft- und Ausdauertraining empfohlen, allerdings nicht länger, als 40 Minuten. Auch eiweißreiche Ernährung (z. B. Mozarella, Fleisch, Hülsenfrüchte), Abbau von Stress, Verzicht auf Süßigkeiten oder Alkohol sind Wege. Kurios: Für besonders männliche Männer empfiehlt Tekal die Konsumation von Actionfilmen. Studien zufolge steigert dies den Testorsteronspiegel. Eine Art „Altersdoping mit Testosteron", also ein Hinzuführen von Hormonen ist nur in Ausnahmefällen eine wirklich sinnvolle Vorgangsweise und kann auf keinen Fall Wunder bewirken.
Hormone aktivieren
„Hormone sind genauso faul wie ihre Besitzer", so Tekal, „sie wollen gebeten werden. Essen, schlafen, spielen, kuscheln, Sex oder sporteln – das sind Bitten, auf die sie gerne hören. So freut sich das Glückshormon Serotonin etwa über Nüsse, Bohnen, Pilze oder Samen. Und natürlich genauso über einen flotten Spaziergang zwischendurch. Wer ein- bis zweimal die Woche auf sein Abendessen verzichtet lockt sowohl Melatonin als auch das Wachstumshormon aus den Verstecken – diese führen dann in der Nacht die so wichtigen Reparaturarbeiten am Körper durch.
In vielen Fällen könne man seinen Hormonen auch etwas voraus sein. Wer etwa so tut, als wäre er glücklich und entspannt, bei dem werden gleich einmal die entsprechenden Hormone aus ihren Verstecken kommen bei dieser Entspannung behilflich sein. – Nach dem Motto: „Hallo, Glückshormone, wo seid ihr? Ich bin schon da!"
Christian F. Freisleben. Der Autor ist Journalist und lebt in Linz.