Entdecken, was mir gut tut
1986 beschloss die Weltgesundheitsorganisation WHO die „Ottawa-Charta": „Gesundheit wird von Menschen in ihrem alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: Dort wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. ... Gesundheit ist körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Behinderung." Betont werden darin zudem die starken Verknüpfungen zwischen Gesundheit und sozialer Situation. Geschlechterspezifische Betrachtung der Themen Gesundheit bzw. Gesundheitsförderung gibt es in Österreich ab Mitte der neunziger Jahre. 1999 wird in Wien der erste Männergesundheitsbericht veröffentlicht.
Das kranke Geschlecht
Der österreichische Männergesundheitsbericht 2004 zeigt deutlich: Bei vielen Krankheiten liegen Männer statistisch gesehen an der Spitze, ihre Lebensdauer ist durchschnittlich fünf Jahre kürzer als die von Frauen. Dieser Trend lässt sich schon bei Heranwachsenden beobachten. Neben traditionellen Erkrankungen werden bei Buben häufiger als bei Mädchen Lese- und Sprechprobleme festgestellt, ähnliches gilt für „Hyperaktivität". Vielleicht ist es kein Zufall, dass es nur den „Zappelphilipp" gibt.
Männer sind am häufigsten betroffen bei Herz-Kreislauf-Beschwerden, Krebs, Adipositas und Diabetes, Problemen im Bereich des Bewegungsapparates und psychischen Erkrankungen ... Selbst bei Depression, die bislang stark weiblich „dominiert" schien, zeigen aktuelle Studien, dass Männer zumindest im gleichen Ausmaß betroffen sind, aber viel weniger darüber reden. Psychische Erkrankungen bei Männern werden häufig zu spät oder gar nicht diagnostiziert und behandelt. Das ist auch das Fazit des deutschen Männergesundheitsberichts 2013.
„Mir fehlt nichts"
Männern wird nachgesagt, sie hätten es auch sonst extrem schwer zuzugeben, dass sie krank sind oder psychische Probleme haben. Stress am Arbeitsplatz oder im Beziehungsleben? Darüber spricht Mann doch nicht! Mann hat keine Probleme, ist „wie ein Baum" und selbst wenn, kann er sie problemlos ohne jede Unterstützung von außen im Griff bekommen.
Dieses Klischeebild spiegelt sich auch in konkreten Zahlen wider: Wesentlich weniger Männer als Frauen nehmen Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch. Gynäkologen haben höheren Zuspruch als Urologen. Überlegt wurde deshalb u.a., Frauen könnten ihre Lebenspartner zur gynäkologischen Untersuchung mitnehmen, damit Männer wenigstens auf diesen Weg zu einem ärztlichen Kontakt kommen.
Die Wahrnehmung des Geschlechts – oft traditionelle Bilder und Erwartungen, die damit verknüpft sind – hat Auswirkungen auf die Art und Weise wie sich Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, Therapeutinnen und Therapeuten verhalten. Frauen werden z.B. eher als Männern psychische Beeinträchtigungen zugeschrieben und es werden generell mehr Psychopharmaka an Frauen verschrieben als an Männer. Untersuchungen haben gezeigt, dass Gespräche mit Medizinern dann am längsten sind wenn Ärztinnen mit Frauen reden und am kürzesten bei Ärzten mit Männern. „Männersprache" wird dabei teils mit einer Ausdrucksweise verwechselt, die nur so von technischen Begriffen und Fachwörtern wimmelt. Zudem werden Männer oft nur defizit-orientiert angesprochen.
Die Veränderung in die Hand nehmen
Die Erfahrungen von Männerrunden und Seminaren zeigen: Bekommen Männer die Gelegenheit, sind sie sehr wohl dazu fähig – und es ist ihnen auch ein Bedürfnis – über ihre Gesundheit, den Lebensstil, Probleme am Arbeitsplatz oder zu Hause zu sprechen. Und sie haben auch Interesse daran, Verhaltensweisen zu überdenken, zu verändern und sich weiter zu entwickeln.
Was heißt das nun für den Mann, der diese Zeilen gerade liest? Rechnen Sie gerade nach, wie alt ihre Lebensgefährtin ist? Oder ist Gesundheit überhaupt für Sie ein Thema? Zweifelsohne wird über Gesundheit – auch über jene von Männern – heute viel „öffentlicher" gesprochen. Es gibt eine Unzahl von Büchern oder auch das WebProjekt des Gesundheitsministeriums www.maennerundgesundheit.at.
Spüren, was mir gut tut
Theoretisch ist klar, was Gesundheit unterstützt: Ausreichend Bewegung, ausgewogene Ernährung, bewusster Umgang mit Stress und auch den eigenen Grenzen. Und dass es wichtig ist, zur Prostatavorsorgeuntersuchung zu gehen, wissen eigentlich auch alle. Warum dann diese Kluft zwischen Wissen und Tun?
Hilfreich kann zunächst die Frage sein, was mir als Mann gut tut, woran ich Freude im Leben habe, was ich als Lebensquellen und Tankstellen betrachte und auch nutze. Dazu zählen sicher auch die Begegnung mit der eigenen Spiritualität sowie der Kontakt, der Austausch mit anderen Männern. Also ja, Gesundheit hat auch mit Mut zu tun, Belastendes anzusehen und anzusprechen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und sie gemeinsam umzusetzen.
Leicht gesagt, schwer getan!
Empfehlungen für eine Politik der kleinen Schritte
Bewegung. „Laufen gehen" muss nicht sofort zwei Stunden am Tag bedeuten und natürlich nur mit dem neuesten Outfit und High-Tech-Schuhen. Ein guter Einstieg ist oft „walken", also schnelles Gehen mit zwei Stöcken. Gleichzeitig eine einschneidende Diät zu machen, ist höchstwahrscheinlich keine gute Idee.
Gewicht. Eine Periode wie die Fastenzeit ist ein gutes „Fenster", das überschaubar ist und die Chance bietet, darauf zu achten: Was ist eigentlich im Kühlschrank zu finden? Was wird zwischendurch gegessen? Was tut mir gut? Informationen zum Thema gibt es wahrlich genug und es darf und soll auch verschiedenes ausprobiert werden.
Vorsorge. Vielleicht – sehr wahrscheinlich sogar – ist es sinnvoll, den Besuch beim Arzt oder der Ärztin nicht so lange aufzuschieben, bis es gar nicht mehr anders geht. Und sich vorher zu überlegen: Was sind meine wichtigsten Anliegen? Wo ist mir mein gesundheitliches Problem das erste Mal aufgefallen, bei welchen Gelegenheiten spüre ich es am deutlichsten. Und natürlich gilt: Wer etwas nicht versteht, nachfragen! Gute „Zwischenstationen" können ebenso Vorsorgeuntersuchungen sein.
Beruf. Sie können im eigenen Betrieb anregen, ein Projekt zu betrieblichen Gesundheitsförderung umzusetzen. Das sollte übrigens mehr sein als eine Auflistung von „Was eh jeder über Gesundheit schon weiß" und einige Entspannungsübungen. Es gibt viele Best Practice-Modelle, die deutlich die Potenziale solcher Programme zeigen.
Christian F. Freisleben-Teutscher. Der Autor ist Berater, Referent und Journalist in Linz. www.cfreisleben.net