Arbeiten bis zum Umfallen?
Die Zahl jener Männer und Frauen, die eine Ausbildung absolvieren, einen Job finden und diesen dann bis zur Pension ausführen ist deutlich im schwinden. Denn zum Einen gibt es heute deutlich mehr Möglichkeiten sich auszubilden. Dazu kommt eine immer größer werdende Zahl an Menschen, die irgendwann beschließt – teilweise nach dem 40. oder 50. Lebensjahr – noch eine „ganz andere“ Ausbildung zu machen. Wer etwa heute eine Qualifikation oder Umschulung im Pflegebereich macht, wird sofort einen Job finden, unabhängig von anderen Vorerfahrungen.
„Arbeit“ kann auch andere Dimensionen haben: Etwa Freiwilligenarbeit, selbst wenn dort Menschen heute eher nach kurzfristigen Projekten als nach langfristiger Bindung suchen. Oder auch Beziehungsarbeit – also der Auf- und Ausbau eines sozialen Netzwerks. Daraus kann dann Familienarbeit werden, inbegriffen alle Aspekte der Hausarbeit – immer mehr Männer engagieren sich in diesem Feld. Auch die Suche nach Arbeit kann als besondere Form der Arbeit verstanden werden, denn Arbeitssuche ist in den meisten Fällen keine freiwillig gewählte und selbst bestimmte Lebensphase.
Über der Belastungsgrenze
„Gerade wenn es um die konkrete Gestaltung des Berufs geht sowie die Balance zwischen Arbeit und dem Rest des Lebens, gibt es für Männer eine zentrale Frage: Wie geht das alles zusammen?“, so Josef Hölzl, der als Berater beim Institut beziehungleben.at der Diözese Linz tätig ist und sich einen Schwerpunkt in Sachen Männerarbeit gesetzt hat. Im Wirtschaftsbereich sei oft ein sehr traditionelles Männerbild zu finden ist, also Männer, die quasi ständig über alle Belastungsgrenzen gehen, die alles aushalten, egal wie hoch der Druck ist und die sehr wenig oder nichts über eigene Gefühle preisgeben. „Gleichzeitig spüren immer mehr Männer, dass sie diese Rolle nicht auf Dauer durchhalten“, so Hölzl. Kein Mann will heute nur 40 Jahre arbeiten und sonst nichts – gleichzeitig tun es aber viele.
Berufliche und private Ziele
Dies hat auch Konsequenzen: Frauen würden doppelt so oft wie Männer Depressionen entwickeln, so die bisherigen Analysen. Im Frühjahr 2011 wurde eine Studie der Emory Universität (Atlanta, USA) veröffentlicht, die eine Trendwende voraussagt: In den USA sind drei Viertel jener, die seit 2007 arbeitslos wurden, Männer. Weiters verdienen heute 22 Prozent der US-Frauen mehr als ihre Ehemänner – 1970 waren es nur vier Prozent. In vielen Köpfen würde aber nach wie vor die Rolle des Mannes als Ernährer und Beschützer dominieren. Wer diese anscheinend nicht (mehr) so gut erfüllen kann erlebt offensichtlich einen inneren Spagat: Es stellt sich bei vielen das Gefühl ein, versagt zu haben.
Eine große Zahl von Männern würde sich, so ergänzt Hölzl, ausschließlich mit beruflichen Zielen beschäftigt: „Werden Führungskräfte nach persönlichen und privaten Zielen gefragt, kommt oft keine Antwort bzw. Ratlosigkeit.“
Auslöser für Lebenskrisen sind bei Männern in erster Linie Arbeitsplatzverlust, bzw. Probleme im Job, eine damit verbundene Überforderung und Perspektivenlosigkeit bei einer oft unbefriedigenden und noch lange andauernden Berufstätigkeit. „Eine Krise wird aber als solche lange nicht wahrgenommen und kann ausgelöst durch starke Krankheits- Symptome umso heftiger ausfallen“, so Hölzl. Weitere Krisenauslöser sind, wenn der Mann von der Frau und Familie verlassen wird, aber auch, wenn er selbst wegen einer eigenen Außenbeziehung den festen Boden verliert. Erlebt ein Mann Gewalt oder wird er selbst zum Täter kann er diese Krise meist lange verdrängen, zumindest solange, bis er weg gewiesen wird oder es mit der Justiz zu tun bekommt. Hintergrund sind für Hölzl auch hier oft ein Aushalten und Verdrängen einer lang andauernden Überforderung und Unzufriedenheit in Kombination mit einem starken verhaftet Sein an ganz bestimmten Erwartungen.
Immer verfügbar sein?
Ein wichtiges Thema ist die ständige Verfügbarkeit. Konrad arbeitet in einer Leitungsfunktion einer Sozialversicherung: „Jene Männer, die möglichst viele Überstunden anhäufen, die am besten keinen Urlaub verbrauchen und die auch dann da sind, wenn es eigentlich völlig sinnlos ist, bekommen oft große Aufmerksamkeit und Anerkennung.“ Dazu kommt ein Konkurrenzdenken: Anstatt das vorhandene Ressourcen gemeinsam genutzt werden, wird um jedes Projekt gekämpft, teils ohne Rücksicht auf Verluste. Dass aufgrund solcher Rahmenbedingungen dann die Krankenstände steigen, vor allem im späteren Lebensalter, wird als unabwendbares Schicksal gesehen. Das ist nicht überall so: Viele Unternehmen investieren in Konzepte und konkrete Schritte, die ein gesundes und motiviertes Arbeiten bis zur Pension unterstützen.
Gleichzeitig steigt auch der Arbeits- und Erwartungsdruck in vielen Unternehmensfeldern. Dazu kommt eine steigende Unsicherheit in Zeiten der Wirtschaftskrise, die auch zu Personaleinsparungen führt. Lebenslange Berufskarrieren sind eben auch aus diesem Grund keine Selbstverständlichkeit mehr, „aber viele betroffene Männer fallen so richtig in ein Loch, wenn sie ihre Arbeit verlieren“, berichtet Hölzl. Sie würden oft ihre Selbstachtung verlieren, würden sich als völlige Versager wahrnehmen.
Es gibt eine kleine, aber steigende Zahl von Männern geben, die kein Problem damit haben weniger als ihre Frau oder momentan gar kein Geld zu verlieren. Besonders schwer tun sich damit Männer mit sehr traditionellen Rollenvorstellungen.
Christian F. Freisleben-Teutscher ist Referent, Berater und Journalist.