
Wer Hass sät, wird Gewalt ernten
Ende März griff die Polizei durch. Bei 26 Hausdurchsuchungen in fast allen Bundesländern wurden 18 Personen festgenommen, 15 Männer und drei Frauen. Dabei wurden auch jede Menge Waffen und NS-Devotionalien sichergestellt. Die Personen stammen zum Großteil aus Österreich. Bis die Gerichte über die Anschuldigungen – sie reichen von Körperverletzung bis Mordversuch – ihr Urteil gesprochen haben, gilt für sie die Unschuldsvermutung. Aber wie kann es dazu kommen, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung auf eine derart brutale Weise verfolgt werden? Wo beginnt sich die Spirale zu drehen, die aus Abneigung und Hass in Gewaltexzessen mündet?
„Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten“, ist im Alten Testament zu lesen (Hos. 8,7). Und dieser Wind kann zu Beginn auch nur ein laues Lüftchen sein, das in eine bestimmte Richtung bläst. Da genügt ein einfaches Satzzeichen in einem Text. Zuerst war es das Binnen-I, das Frauen in der Sprache sichtbar machen sollte, weil es nicht nur Experten gibt, sondern auch Expertinnen, die nicht nur „mitgemeint“ werden wollten.
Und weil es neben Männern und Frauen auch andere Lebensund Geschlechtsrealitäten gibt, hat in vielen Texten das Gendersternchen oder ein Doppelpunkt das Binnen-I ersetzt. Expert*innen bzw. Expert:innen macht auch queere Menschen in der Sprache sichtbar, wir nennen die Szene LGBTIQ+. Die Abkürzung sagt, dass es sich dabei um lesbische Frauen (L), schwule Männer (G für gay), bisexuelle Menschen (B), Transgender-Personen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt (T), intergeschlechtliche Menschen, die mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, die nicht eindeutig „männlich“ oder „weiblich“ sind (I), und queere Personen, die sich nicht in klassische Kategorien einordnen lassen oder sich bewusst dagegenstellen (Q). Das Plus (+) steht für weitere Identitäten.
Für die Mehrheit der Bevölkerung gehören diese Buchstaben nicht zu ihrem genetischen Alphabet. Diese Mehrheit könnte einfach sagen: „Gottes Allmacht ist groß und seine Schöpfung bunt.“ Selbstbewussten Mitgliedern dieser Mehrheit müsste angesichts eines kleinen Sternchens auch kein Zacken aus der Krone fallen. Weil es sich gegen Minderheiten jedoch relativ einfach agitieren lässt, wurden diese Menschen zum Ziel von Attacken. Bevor es jedoch zu gewalttätigen Übergriffen kommt, wird der Boden dafür aufbereitet.
Ablehnung symbolischer Inklusion
Viele Menschen, die in traditionellen Rollenbildern von Mann und Frau aufgewachsen sind, können nichts damit anfangen, dass es da auch noch etwas anderes geben soll. Weil Mann und Frau „normal“ sind und weil es auch „normal“ ist, dass sich Mann und Frau lieben, sind alle anderen „abnormal“. Solange das angeblich „Abnormale“ im Verborgenen bleibt, ist alles halbwegs in Ordnung. Wenn es sichtbar wird, gibt es Probleme. Viele Jahrzehnte lang haben Betroffene nicht gewagt, ihre Lebenssituation öffentlich zu machen. Und wenn doch, dann war meist die Hölle los.
Gendersternchen machten diese Communitys ein Stück weit sichtbar. Sie wurden daraufhin von rechten Parteien bis zu religiösen Fundamentalisten zum Feindbild erkoren. Die Rede vom „Gender-Wahn“ hielt Einzug in deren Reden. „Das Gendern mit Sternchen und Doppelpunkt nervt.“ „Haben die da oben angesichts der vielen Krisen nichts Besseres zu tun?“.
Konkrete Beispiele gefällig: In Niederösterreich wurde Genderstern, Binnen-I und Doppelpunkt aus offiziellen Dokumenten und Veröffentlichungen des Landes entfernt. FP-Chef Udo Landbauer dazu: „Wir schieben dem Gender-Wahn einen Riegel vor und setzen damit einen Befreiungsschlag hin zur gewohnten Normalität.“ Mehrere Bundesländer in Deutschland haben Genderzeichen in Schulen und Behörden sogar verboten. Schularbeiten mit diesen Zeichen müssen entsprechend negativ beurteilt werden. Jene, die angesichts von Sternchen gerne von der „Sprachpolizei“ geredet haben, haben sie sofort geschaffen, als sie konnten.
Herabwürdigung
Am Anfang stehen abfällige Bemerkungen und ausgrenzende Witze über gleichgeschlechtlich liebende Menschen. Dass die alle verrückt sein müssen, zeigen sie uns ja alljährlich bei der Regenbogenparade mit ihren schrägen Outfits. Diese Leute kann man doch nicht ernst nehmen. Das ist doch krank und unnatürlich. Es folgen Gefühle von Ablehnung und Ekel, vielleicht auch von Unsicherheit und Überforderung, die überspielt werden müssen. Lebenswege, die anders als die eigenen sind, werden emotional abgewertet. Und es wird alles Mögliche hineininterpretiert. Diese Gender-Ideologie zerstört unsere Gesellschaft! Die Stammtische haben ihr Thema. Hier kann man sich gegenüber einer Minderheit, die man meist nur aus den Medien kennt und zu der man persönlich gar keinen Kontakt hat, so richtig auslassen.
Soziale Ausgrenzung
Die logische Konsequenz: Solche Leute will man nicht in seiner Umgebung haben, nicht als Nachbarn, nicht als Kollegen. Sie werden in der Schule gemobbt und auf den digitalen Plattformen an den Pranger gestellt. Die Ausgrenzung wird real, teilweise subtil, aber auch ganz offen. Im österreichischen Bundesgesetz gibt es keinen Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung außerhalb des Arbeitsplatzes. So darf etwa ein Mann aus einem Lokal geworfen werden, weil er schwul ist, auch ein Mietvertrag oder ein Zimmer in einem Hotel kann ihm verwehrt werden.
In Russland hat Wladimir Putin positive Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien schon vor mehr als zehn Jahren unter Strafe gestellt und die LGBTIQ+-Bewegung zur extremistischen Organisation erklärt. In Ungarn will man Regenbogenparaden künftig verbieten. Hier hat das Parlament auch kürzlich in der Verfassung verankert, dass ein Mensch ausschließlich als Mann oder Frau definiert werden kann. Für US-Präsident Donald gibt es ebenfalls nur Mann und Frau und sonst nichts. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat er Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion gestrichen.
Man braucht aber gar nicht in die Ferne schweifen. Michael Gruber, Landtagsabgeordneter der FPÖ in Oberösterreich: „Wir wollen ein Manderl und ein Weiberl und dann gibt‘s Kinder. Und dann hat unsere Gesellschaft Zukunft.“ Die FPÖ trete an, um „Normalität für unsere Gesellschaft herbeizuführen“. Rudolf Gehring von der Christlichen Partei Österreichs in einem Leserbrief auf die Kolumne von Klaus Heidegger in Ypsilon 2-2025: „Die Ansichten des Autors widersprechen grundlegenden Elementen unseres Glaubens. Es gibt nur zwei Geschlechter, nämlich Mann und Frau.“
Kriminalisierung
Das alles machen die Despoten dieser Zeit angeblich zum Schutz der Kinder. Über Jahrhunderte hinweg wurde Homosexualität mit Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht. Auf diesen Zug springen rechte und rechtsextreme Kreise auf, indem sie diese Lüge weiter verbreiten und homosexuelle Männer mit Pädokriminellen gleichsetzen. Es gibt jedoch keine wissenschaftliche Evidenz für ein vermeintliches Naheverhältnis von Homosexualität und Pädophilie. Im Gegenteil: Der Großteil der sexuellen Übergriffe an Kindern wird von heterosexuellen Männern begangen.
Einen „Befreiungsschlag gegen den Genderwahnsinn“ forderte FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer Wahlkampfrede in Salzburg. Er verglich Dragqueens mit Otto Mühl, einem Sexualstraftäter, der Minderjährige missbrauchte, und schloss daraus: „Denen gehört das Handwerk gelegt!“
Symbolische Gewalt
Der schon zitierte FPÖ-Landtagsabgeordnete Michael Gruber hat in einem Posting unter dem Titel „Aufräumen für Österreich“ eine Regenbogenfahne aus Papier zerknüllt und in einen Mistkübel geworfen. Maskierte Männer sind in die Villa Vida, ein queeres Lokal in Wien, eingedrungen, haben die Gäste homophob und rassistisch beleidigt und Sticker mit rechten Parolen an die Wände geklebt. Beides Beispiele für symbolische Gewalt, die nächste Eskalationsstufe. Sie dient vor allem der Einschüchterung und geht oft einher mit Sachbeschädigungen und Drohungen. Ein Tummelplatz für solche Drohungen, Beleidigungen und Hasstiraden sind die digitalen Plattformen.
Physische Gewalt
Die Schlägertrupps, die Ende März ausgehoben wurden, verstanden sich selbst als „Pädo-Hunter“, als „Pädophilen-Jäger“. Mit ihren Taten stilisierten sie sich zu Freiheitskämpfern zum Schutz der Gesellschaft. Die Videos, die sie anfertigten, dokumentieren die brutalen Übergriffe, in denen sie in Gruppen auf wehrlos am Boden liegende Menschen eintreten. Sie zeigen Erniedrigungen und Demütigungen der Opfer, die gezwungen wurden, vor laufenden Kameras zu sagen, dass sie pädophil seien. In der Lust an der Demütigung offenbart sich ein abgrundtiefer und zutiefst beängstigender Hass gegen andere Menschen. Sorgfalt ist besonders bei der Berichterstattung der Medien geboten. Wenn die Kronen Zeitung das Neonazi-Terrornetzwerk nach der Razzia – bewusst oder unbewusst – als „PädophilenJäger“ bezeichnet, „die Selbstjustiz gegen Kinderschänder vornehmen“, übernimmt sie deren Selbstdarstellung. „Jäger“ klingt nach heroischem Widerstand, nach Rächern und Superhelden, die die Bösen in der Welt ausfindig machen und dann ausmerzen, und nicht nach Rechtsextremisten, die sich in einen schwulenfeindlichen Wahn hineinsteigern. Es suggeriert auch, dass es sich bei den Opfern um Kinderschänder handelt. Kein einziges der bislang bekannten Opfer hatte etwas mit Pädophilie zu tun.
Systematische Gewalt
Die nächste Eskalationsstufe ist dann erreicht, wenn gegen eine Minderheit systematische, staatlich verordnete Gewalt ausgeübt wird. In 64 Staaten wird Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in 12 Ländern (Iran, Nigeria, Saudi-Arabien, Somalia, Jemen, Afghanistan, Brunei, Mauritius, Katar, Pakistan, Uganda, Vereinigte Arabische Emirate) droht sogar die Todesstrafe für homosexuelle Menschen. Systematische Gewalt ist auch dann gegeben, wenn die staatlichen Behörden den Minderheiten jeglichen Schutz vor Anfeindungen und Gewalt verweigern, wenn die Polizei dem gewaltsamen Treiben teilnahmslos zusieht oder sich selbst daran beteiligt.
Diese Stufe der Eskalation haben wir im aktuellen Fall nicht erreicht, ganz im Gegenteil. Die Polizei hat akribisch gegen das rechte Terrornetzwerk ermittelt, die Täter ausgeforscht und festgenommen und schließlich das ganze Ausmaß der Gewalt an die Öffentlichkeit gebracht. Alleine der Gedanke, dass es heute so weit kommen könnte, lässt uns mit Schaudern an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte denken.
Der Weg von der Ablehnung eines Gendersternchens zur physischen Gewalt gegen Homosexuelle und Transgender-Personen ist nicht zwangsläufig vorgezeichnet. Sprach- und Symbolkritik können allerdings Teil eines Klimas sein, das zu einer Eskalation führt. Die politischen Hasstiraden in diversen Bierzelten tragen das Ihre dazu bei. Wer sich also laut gegen das Gendern empört, aber schweigt, wenn queere Menschen angegriffen werden, trägt zur Normalisierung der Ablehnung bei – ob bewusst oder nicht.
Autor: Christian Brandstätter