
SCHULDEN - ein Leben im Minus
Die Miete ist fällig, auch die Rate für den neuen Fernseher und blöderweise ist jetzt auch noch die Kaffeemaschine eingegangen. Alles auf einmal. Wäre es nicht möglich, den Überziehungsrahmen am Konto etwas zu erhöhen? Solche Anfragen gehören zum Alltag in den österreichischen Bankfilialen.
Besonders für Menschen mit geringem Einkommen und ohne finanzielle Reserven ist es schwierig, sich das Leben zu finanzieren. Ihre Ausgaben übersteigen schnell einmal die Einnahmen. „Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, eine kleine Pension erhalten oder im Niedriglohnsektor arbeiten, verschulden sich deshalb eher als andere“, bestätigt Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer der ASB Schuldnerberatungen, der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen: „Zu uns kommen grundsätzlich Menschen aller Herkunft und Berufssparten. Jene, die nur Pflichtschulabschluss haben, kommen aber gehäuft.“
Mitterlehner hat es jedoch auch häufig mit Menschen zu tun, die gar nicht schlecht verdienen, aber nicht gut mit Geld umgehen können. Sie sind fast permanent im Minus und nehmen hohe Überziehungszinsen in Kauf. Erst wenn das 13. und 14. Gehalt kommt, haben sie wieder etwas Polster am Konto.
Finanzbildung
Die Basis für den richtigen Umgang mit dem Geld wird bereits im Kindesalter gelegt. Wird zu Hause über Geld gesprochen und bekommen die Kinder mit, wie ihre Eltern Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellen, dann tun sie sich später mit ihren Finanzen leichter. Ein ideales Werkzeug, um den Umgang mit Geld zu üben, ist das eigene Taschengeld: „Trifft ein Neunjähriger eine falsche Konsumentscheidung, entsteht ein Schaden von fünf Euro. Später können das fünfhundert oder mehr sein, wenn man nicht gelernt hat, sich vor einer solchen Entscheidung Gedanken zu machen“, sagt Mitterlehner.
Finanzbildung sollte darüber hinaus vermehrt Teil der Schulbildung sein. Heranwachsende sollen lernen, wie man Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellt, wie ein Kontostand zu interpretieren ist und welche Auswirkung die Kaufentscheidung von heute auf die zukünftigen finanziellen Möglichkeiten hat. Genauso wichtig ist die Fähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben, wenn man gerade keine Mittel hat, um sie finanzieren. Ob mit achtzehn, achtunddreißig oder achtzig Jahren: Ein neues Handy sollte nur kaufen, wer es bezahlen kann, und den Urlaub sollte man erst buchen, wenn es die Finanzen erlauben.
Hohe Zinsen bei Konsumkrediten
Nach dem Motto „Kauf jetzt, zahl später“ wird es uns allerdings leicht gemacht, Konsumwünsche sofort zu erfüllen: Das Möbelhaus verkauft die Wohnlandschaft und den Kredit dafür gleich mit, auch das Smartphone gibt es auf Raten. „Über den Kredit werden Menschen in die Lage versetzt, sich Dinge zu kaufen, die sie sich eigentlich nicht leisten können“, so Clemens Mitterlehner. Das Problem: Die Zinsen solcher Konsumkredite sind meistens sehr hoch. Selbst bei „Null-Prozent-Finanzierungen“ fallen Gebühren an, die sich im Vertrag häufig im Kleingedruckten verstecken. Dazu kommt, dass viele Konsumenten nicht nur einen, sondern drei, vier oder sogar mehr solcher Kredite laufen haben. Das summiert sich und kann schnell unübersichtlich werden. Von Konsumkrediten rät Mitterlehner ganz klar ab. „Sie sind für viele Menschen die Einstiegsdroge in die Überschuldung, weil sie in die Schuldenfalle führen.“
Nicht alle Schulden sind problematisch
Sind Schulden – ob bei der Bank, beim Möbelhaus oder dem besten Freund – also unter allen Umständen zu vermeiden? Es kommt darauf an. Kaum jemand kann sich eine Immobilie mit Erspartem kaufen. Dafür einen Kredit aufzunehmen – nachdem man sich alles sorgfältig durchgerechnet und einen Puffer eingeplant hat –, ist sinnvoll. Die Bank informiert nicht nur über die Konditionen, sondern hilft außerdem, eine Haushaltsrechnung zu erstellen und realistische Kreditraten zu berechnen.
Die Vorgaben der Finanzmarktaufsicht sind ohnehin streng: Die Rate darf maximal 40 Prozent des Einkommens ausmachen, darüber hinaus müssen 20 Prozent der Kreditsumme als Eigenmittel eingebracht werden. Kann man sich trotz sorgfältiger Kalkulationen die Abzahlungsraten nicht mehr leisten, könnte man die Immobilie verkaufen. „Da hat man wenigstens einen Gegenwert“, sagt Clemens Mitterlehner. Konsumgüter wie Fernseher oder Autos verlieren hingegen an Wert, bevor man sie ansatzweise abbezahlt hat.
Wann werden Schulden problematisch? Wer einmal aufgrund einer überraschend anstehenden Autoreparatur sein Konto überzieht und es zeitnah wieder ausgleicht, muss sich normalerweise keine Sorgen machen. Wer ständig im Minus ist oder sogar Monat für Monat stärker ins Minus seines Kontos rutscht, schon eher. Auch wer sein Leben nur bestreiten kann, wenn er Freunde oder Familienmitglieder um Geld anpumpt, hat ein Problem. In diesem Fall sollte man sich auf jeden Fall Unterstützung holen.
Unterstützung suchen
Mit dem Partner oder der Partnerin zu reden, kann schon einmal der erste Schritt sein. Auch die Bank ist eine gute Anlaufstelle, wenn einem die offenen Rechnungen über den Kopf wachsen. Man kann etwa hohe Schulden im Überziehungsrahmen in einen Kredit zu besseren Konditionen umschulden. Den Kopf in den Sand stecken, ist die schlechteste Option. Dadurch werden die Probleme leider nicht kleiner, sondern immer größer.
Viele, so Clemens Mitterlehner, verpassen den richtigen Zeitpunkt und rutschen immer tiefer in die Schuldenfalle. „Wenn das alles nichts hilft, sollte der Weg zur staatlich anerkannten Schuldenberatung führen.“ Dort werfen die Mitarbeiter mit den Betroffenen einen genauen Blick auf alle Einnahmen und Ausgaben und spüren Einsparungspotenziale auf. Dann werden Prioritäten gesetzt. Höchste Priorität haben dabei immer jene Schulden, die die Existenz gefährden können. Das sind die Miete, Energiekosten oder Strafmandate. Sie müssen zuerst bezahlt werden. Und dann geht es – mit einem guten Plan ausgestattet – endlich wieder bergauf.
Autorin: Sandra Lobnig
Tipps:
WIE MAN DER SCHULDENFALLE ENTKOMMT. EINE CHECKLISTE:
Einnahmen und Ausgaben auflisten. Ein Haushaltsbuch hilft dabei. Auf www.budgetberatung.at gibt es einen OnlineBudgetrechner und Excel-Vorlagen. Bei den Schuldenberatungsstellen gibt es Formulare.
Ausgaben überdenken. Was ist wirklich notwendig? Gibt es Einsparungsmöglichkeiten?
Einnahmen überprüfen. Hat man Ansprüche auf Sozialleistungen oder Unterstützungen, die noch nicht ausgeschöpft wurden? Wurde in den letzten Jahren ein Steuerausgleich gemacht?
Den Überblick bewahren. Alle Schulden sowie offene Mahnungen auflisten – Formulare gibt es bei den Schuldenberatungsstellen. Gefährliche Schulden wie Mietrückstande vorrangig behandeln.
Keine weiteren Schulden machen. Bargeld nutzen, um das Bewusstsein für Ausgaben zu stärken. Sich für jede Woche ein Budget setzen. Spontankäufe und Kontoüberzüge vermeiden.
Sich möglichst bald Hilfe holen. Zum Beispiel die Budgetoder die Schuldenberatung aufsuchen
Schuldenberatung:
Die 69 Beratungsstellen der staatlich anerkannten Schuldenberatungsstellen in Österreich arbeiten kostenlos, sind öffentlich gefördert, der Verschwiegenheit verpflichtet und durch ein Gütezeichen erkennbar.
2023 haben mehr als 60.500 Menschen die Beratung in Anspruch genommen, in 8.857 Fällen wurde ein Schuldenregulierungsverfahren (Privatkonkurs) eröffnet. Dieses bietet überschuldeten Personen die Chance auf einen finanziellen Neuanfang.
www.schuldenberatung.at