Mannsbilder
Die Tatsache, dass sich Frauen seit Jahrzehnten mit ihrer Rolle auseinandersetzen und kämpferisch an einem Wandel der Geschlechterrollen arbeiten, setzt Männer zusätzlich unter Zugzwang, auch ihr Selbstbild aktiv zu gestalten.
Darüber nachzudenken, was „Mann sein“ überhaupt bedeutet, ist für viele Männer neu. Das Privileg, die eigene Rolle nicht reflektieren zu müssen, sondern als normal wahrzunehmen, heißt in der Soziologie „habituelle Sicherheit“. Diese Sicherheit geht modernen Männern nun verloren. Um zu erfahren, wie sich Männer sehen und wie sie ihre Rolle in der Gesellschaft gestalten wollen, haben wir einigen Männern zugehört.
Einer von ihnen ist der Kabarettist, Religionslehrer und Schuldirektor Stefan Haider. „Was ein Mann ist, ist ein Kampfthema geworden. Wir setzten uns Ziele, die wir auch erreichen sollen, wir sollen erhalten und uns mit der Außenwelt auseinandersetzen. Und jetzt kommt noch dazu, dass wir fürsorglicher sein sollen, als man es uns gemeinhin zuschreibt“, stöhnt er. Für Haider ist es weniger so, dass alte Bilder einfach ausgedient haben und durch neue ersetzt werden. Das Männlichkeitsspektrum wird einfach größer. Moderne Männer, ist er überzeugt, sind gefühlvoll, können ihre Gefühle auch zeigen und sich auf eine Beziehung wirklich einlassen.
Es brauche aber nach wie vor den Mann, der im Leben steht und Stärke hat, der sich einer Mission stellt, die er erfüllen will. Als Kabarettist liebt Haider Stereotype. „Dass Männer viel rationaler wären, sich nicht auf Gefühle einlassen können und vor allem nicht zuhören, ist auf der Bühne immer eine gute Pointe“, freut er sich.
Für die alten Klischees gibt es immer noch Lacher, obwohl niemand mehr von einem Mann verlangen würde, kalt und hart zu sein. Haider: „Liebevoll zu sein und eine Beziehung zu den Kindern zu haben, ist so ein Ziel, auf das Männer hinarbeiten können. Die empathische Seite haben wir erst entwickeln müssen.“
Reflexion statt Aktion
Reflexion des männlichen Selbstbildes und der Wahrnehmung von außen sowie das Erlernen neuer Rollen ist die Herausforderung, vor der Männer heute stehen. Der traditionelle Mann setzt auf Aktion statt auf Reflexion. Der Soziologe Georg Simmel nennt es das „Privileg des Herrn“, dass Männer ihr Mannsein nicht mitdenken müssen, während Frauen sich ihrer Weiblichkeit so gut wie immer bewusst sind. Männlichkeit aus Gewohnheit hat ausgedient. Moderne Männlichkeit wird konstruktiv, durch Reflexion erworben.
Jörg Lindmaier, Anfang vierzig, ist Elementarpädagoge, hat lange in der Kindergruppe gearbeitet und später einen Kindergarten geleitet. Auf die Frage, wozu ein Mann in der Lage sein muss, kommt er gleich aufs Reflexionsvermögen zu sprechen. „Ein Mann muss ein Gespür haben, mit wem und wie er interagiert. Ein Mann muss mit der Zeit gehen“, sagt er. Die Geschlechterbilder in den Köpfen würde er sich „wegwünschen“. Abgesehen von körperlichen Unterschieden könnten beide Geschlechter beide Rollen annehmen, ist er überzeugt. Auch bei der Physis sieht er nichts in Stein gemeißelt: „Ich bin eins neunzig groß, aber würde ich mich mit der stärksten Frau messen, hätt‘ ich eine blutige Nase.“ Obwohl er sich das nicht wünsche, habe er als Mann im Kindergarten eine Sonderrolle. „Man ist das Zebra auf der Pferdekoppel.“ Seiner Erfahrung nach gehen Kinder auf einen männlichen Pädagogen offen und herzlich zu.
Mit der Zeit gehen und reflektieren sind auch für Philipp N. moderne männliche Qualitäten. Der Wiener ist mit Mitte dreißig aufs Land gezogen und hat zu einem traditionelleren Familienbild und zur Kirche gefunden. „Die Erwerbsarbeit ist voll bei mir. Das hat praktische Gründe“, sagt der Vater zweier Söhne. „Männlichkeit“ definiert sich für ihn aus den Anforderungen, die an Männer gestellt werden. „Krieger und Beschützer zu sein, ist heute nicht mehr so gefragt. Doch Opferbereitschaft ist eine wichtige männliche Qualität.“ Mit dem Umzug aufs Land änderte sich auch sein Verständnis von Maskulinität. „Das sind nicht nur Geschlechter-, sondern auch Kulturfragen“, sagt er. „Der ländliche Mann ist stark und gelassen. Solange er nicht stoisch absent ist, ist das ja auch nix Schlechtes. Ned alles is gleich a Beinbruch. Hier ist das ned so wie in der neurotisierenden Stadt.“
Berufsbilder und Berufungen
Obwohl die Unterscheidung zwischen Männer- und Frauenberufen für Elementarpädagogen Lindmaier obsolet ist, gehen in den Köpfen immer noch Bilder vom „Mann im Kindergarten“ um. „Manche Kolleginnen zweifeln – ist dieser Mann überhaupt kompetent, kann er ein Gespür für die Kinder haben? Es gibt Kindergärten, da darf ein Mann keine Windeln wechseln, denn manche glauben, ein Mann, der mit Kindern arbeitet, der müsse pädophil sein.“ Er ist überzeugt, dass die meisten einen Mann im Kindergarten schätzen, denn viele kleine Kinder sind hauptsächlich die Mutter gewöhnt und profitieren von einem sorgenden männlichen Vorbild.
Philipp ist Feuerwehrmann. Eine Aufgabe, der sich auch immer mehr Frauen stellen. Deshalb spiele Geschlecht bei der Feuerwehr eine untergeordnete Rolle. „Die meisten Einsätze sind nicht das, was man aus dem Fernsehen kennt. Kein KrachBumm, kein Heldenmut.
Es geht um Menschen, die in Not sind und Hilfe brauchen“, sagt Philipp. Trotzdem zeigen sich Geschlechterrollen bei den Florianis: „Die, die in ein brennendes Haus hineinrennen, sind oft nicht die, die gut mit Menschen in einer Notsituation empathisch umgehen können. Obwohl es durchaus Frauen im AtemschutzTrupp gibt, die mit der Schulter eine Tür aufbrechen können, übernehmen Frauen eher Kommunikationsaufgaben.“
Lebensphasen
Es drängt sich die Frage auf: Wie werden aus kleinen Buben Männer? Elementarpädagoge Lindmaier: „Die große Unterscheidung gibt es im Kindergartenalter noch nicht. Alle Kinder gehen aufs gleiche Klo, da gibt es auch keine Debatte. Nach dem Basteln wird zusammengeräumt. Das müssen auch Buben. Manche Buben stricken gerne.“ Probleme hätten höchstens die Eltern damit, auch das hat der Pädagoge erlebt. „Eine Mutter hat den Vertrag gekündigt, als ich die Gruppe übernommen habe.“
Die Bedeutung der Bubenjahre für die Entwicklung des Männerbildes sieht auch der Pädagoge Haider. „Was wir in den ersten Lebensjahren erleben an Männlichkeit und Weiblichkeit, kann man nicht hoch genug einschätzen.“ Wobei beide Geschlechter beide Seiten leben können. Väter sind die ersten, die ihre Söhne hinausbegleiten aus dem geschützten Mutter-Kind-Bereich.
Wenn es in der Pubertät zur Männlichkeitskrise kommt, die sich mitunter durch Gewalt, Frauenverachtung und -feindlichkeit oder Radikalisierung äußert, sei es sehr spät, mit der Männlichkeitsbildung anzufangen, weiß Haider aus dem Schulalltag. Junge Männer würden zwei Dinge brauchen: „Gerechtigkeit und das Jugendwort ‚Respekt‘“. Gemeint ist damit, dass man jungen Männern auf Augenhöhe begegnet, gleich an Rechten und Würde. Jugendliche, die sich als selbstwirksam erleben und lernen, Verantwortung zu übernehmen, würden zu modernen Männern heranwachsen.
„Verantwortungslosigkeit soll man nicht auch noch feiern“, ärgert sich Herr Direktor Haider und nennt den Umgang mit Rauschmitteln und der eigenen Sexualität als Beispiel. Wenn es zu sexuellen Übergriffen kommt, ist meistens Alkohol im Spiel, weiß er. Mit jungen Männern müsse man über Verantwortung sprechen, egal ob sie in der Jugendgruppe eine Aufgabe übernehmen, über ihr eigenes Budget für Essen und Kleidung verfügen oder eine erste Partnerin haben.
Väterbilder
Wenn ein Modell für die Kinderbetreuung gefunden werden muss, sehen sich Familien allerdings mit Zwängen konfrontiert. Auf das höhere Einkommen zu verzichten, ist in den meisten Familien nicht möglich. Männer – auch wenn sie fürsorgliche Papas sein wollen – bleiben in der Rolle des Geldverdieners, die Frauen sorgen sich um den Nachwuchs. Das ist eine Konstellation, die Männer im Beruf und Frauen bei der Sorgearbeit hält. Wenn Väter Sorgearbeit leisten und von Familie und Gesellschaft als genauso kompetent wie die Mütter wahrgenommen werden, spielt das die Mütter fürs Erwerbsleben frei. Die Folge: Väter werden als fürsorglich wahrgenommen, Frauen verdienen mehr, die Zwänge werden weniger. Die Rollen, die Kindern vorgelebt werden, geben sie wiederum an die nächste Generation weiter.
Besonders wichtig ist die persönliche Ebene, ist Haider überzeugt. „Die Aufteilung der Sorgearbeit kann die Politik nicht für alle verordnen. Das sind persönliche Entscheidungen eines Paares, welche Ideale von Beziehung und Familie sie leben wollen.“ Das Wichtigste ist für Haider die Kommunikation. „Es kommt darauf an, einen Partner zu finden, mit dem man eine klare gemeinsame Mission hat.“
Dass die Rahmenbedingungen alleine nicht ausschlaggebend sind, zeigt ein Blick in die Statistik. Denn die Zahl der Väter, die in Karenz gehen, ist derzeit sogar rückläufig. Nur ein Prozent der Väter geht länger als ein halbes Jahr in Karenz, drei Prozent der Anspruchstage entfallen auf Männer. In der Soziologie ist von einer Retraditionalisierung die Rede. Dazu hat auch die Pandemie mit Homeoffice und Homeschooling beigetragen. Aus dem Teufelskreis kommen wir nur durch eine Kombination von finanziellen Anreizen und einem Männerbild, das fürsorgliche Väterlichkeit in die Auslage stellt, heraus.
Und in der Kirche
Für Philipp ist der Apostel Thomas ein Glaubensvorbild. „Er wollte erst an die Auferstehung glauben, als er Jesus angreifen konnte, und galt als Zweifler lange als Buhmann. Heute ist er mir eine Mahnung gegen den blinden Glauben. Der kann sehr gefährlich werden.“
Der Religionspädagoge Haider meint, dass es Männer leichter haben zu glauben. Schließlich gibt es jede Menge Glaubensvorbilder, Männer, die vor ihnen geglaubt haben. „Das Klischee ist, dass mehr Frauen in die Kirche gehen als Männer. Dann heißt es ‚Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus: Brüder!‘. Da unten sitzen aber 50 Frauen, die alle sagen: ‚Ist in Ordnung, darfst Bruder zu mir sagen‘.“
Trotz aller Vielfalt und moderner Theologie können nur Männer zum Priester geweiht werden. Haider steht da dahinter: „Der Priester repräsentiert in den sakramentalen Handlungen Jesus. Für mich ist das so. Ja, ich weiß auch, dass ich da ein Stück weit vom Zeitgeist entfernt stehe in einer Runde von modernen Menschen. Auf diese Weise ist zumindest immer ein Mann in der Kirche.“
Statements
Jörg Lindmaier
„Ich wollte Koch werden, wie mein Vater. Als er im Stress aber immer wieder aggressiv geworden ist, habe ich bemerkt: So will ich nicht werden. Aggression ist für mich ein Zeichen von Hilflosigkeit. In der Schule für Elementarpädagogik habe ich mich sofort wohlgefühlt, obwohl dort zehn Burschen auf 500 Frauen kommen. Auch heute arbeite ich noch gerne mit Kindern im Kindergartenalter – viel lieber als mit Erwachsenen, die sich wie Kindergartenkinder aufführen. Als Mann im Kindergarten habe ich eine Sonderrolle, die ich lieber nicht sehen würde. Denn mit wenigen Ausnahmen können beide Geschlechter beide Rollen annehmen. Geschlecht ist da nicht das Wichtigste. Es gibt auch Frauen, die mit Kindern raufen. Männer sollen aber dann die Arbeit machen, bei der man sich schmutzig machen kann. Das Schöne am Sozialbereich ist, dass sich die Menschen dort Gleichberechtigung wünschen, das ist aber ein Prozess, der Zeit braucht.“
Stefan Haider
Ich habe zwei erwachsene Töchter und bin mit 48 noch einmal Vater geworden. Mein Job geht von 7 bis 16 Uhr, mit einem Kabarettauftritt in der Woche. Wenn ich aus dem Büro gehe, bin ich zehn Minuten später Familienvater. Mein Sohn ist zwei und hat kein Verständnis, wenn ich zu Hause nicht hundertprozentig für ihn da bin. Da muss ich mich fragen: „Wieviel verlangt es einem Mann ab, Vater zu werden?“ Ich habe meine Töchter dazu ermutigt, Männer zu finden, denen so etwas bewusst ist. Mein Geschlecht sehe ich als Geschenk. Ich halte Geschlechtlichkeit für etwas Wesentliches in der Schöpfungsordnung, eine Vorgabe der Natur. Ein Mann braucht Träume, Ziele und Beharrlichkeit. Die Frage ist, wie gehe ich mit meiner Freiheit um. Selbstdisziplin heißt, sich keine fremden Ziele aufdrücken zu lassen.
Hannes Hofer
Hannes Hofer aus St. Florian ist 65 Jahre alt. Er war Filialleiter einer Bank, seit 1. Juli ist er in Pension. „Meine Identität stand bisher auf fünf Säulen: das soziale Netzwerk, also Familie und Freunde, Körper und Leiblichkeit, materielle Sicherheit, Werte und Sinn und der Beruf. Wenn mit dem Beruf eine wesentliche Säule wegfällt, macht das natürlich etwas mit meiner Rolle als Mann und auch in der Partnerschaft.“ Vor allem gilt es jetzt, den Alltag neu zu gestalten. Nachdem seine Ehefrau noch berufstätig ist, übernimmt Hannes jetzt einiges im Haushalt. „Spaßhalber sage ich oft: Wenn meine Frau heimkommt, soll sie nichts mehr zu arbeiten haben. Aber ehrlich gesagt: Sie kommt öfter zu früh heim.“ Sein ehrenamtliches Engagement in der KMB, in der Pfarre, bei der Lebenshilfe oder bei den Ehevorbereitungskursen, die ihm besonders am Herzen liegen, kann er ohne vollen Terminkalender jetzt viel gelassener angehen.
Günther Summer
Günther Summer, 48, aus Neusiedl am See ist Polizist in Wien. Zu Beginn kam er gleich einmal in den 10. Bezirk – einen Hotspot, was die Kriminalität betrifft. „Das war für mich als junger Polizist schwierig, oft hatten wir es mit Gewalt in der Familie zu tun. Kulturell bedingte Strukturen, bei denen der Mann der ‚Herr im Haus‘ ist, dem sich alle unterordnen müssen, lassen sich mit meinem Weltbild nicht vereinbaren. Die Gleichberechtigung in der Partnerschaft ist für mich ein sehr hoher Wert.“ Dazu kam, dass der Umgangston ziemlich rau war. „Nach einiger Zeit haben mir meine Frau und Freunde gesagt, dass ich nicht mehr so rede wie früher. Nur so konnte ich das auch wieder ändern.“ Seine Frau, mit der Günther über alles reden kann, ist ganz zentral in seinem Leben. Er möchte auch viel Zeit mit seinen Kindern verbringen. „Es tut aber auch gut, in der KMB-Runde einmal nur mit Männern zu reden“.
Autor: Beer
Podcast „WAS MANN BEWEGT“
Im Podcast – „WAS MANN BEWEGT“ – der KMB Oberösterreich werden interessante Persönlichkeiten vor den Vorhang geholt. Die Themenauswahl orientiert sich an den Grundlagen der Kath. Männerbewegung.