Bettgeflüster
Sie haben sich ein schönes Heim geschaffen, haben viele gemeinsame Interessen und führen das, was man ein glückliches Leben nennen könnte. Ein wichtiger Pfeiler ihrer Beziehung ist der Sex, den die beiden sehr genießen. Aber wird das in Zukunft auch so sein? Wie kann ein erfüllendes Sexualleben mit fortschreitendem Alter gelingen?
Der Schlüssel zu dieser Frage liegt in der Gegenwart. Warum erleben die beiden ihre sexuelle Beziehung so positiv und bereichernd? Die Antwort darauf ist einfach: Weil die beiden gemeinsam ihren ganz persönlichen Weg gefunden haben, was ihnen guttut. „Sex will entdeckt werden“, lautet auch das Credo von Angelika und Sepp Mundigler, Referenten bei Marriage Encounter in Graz. „Bei unseren Seminaren tauschen wir uns auch zu sensiblen Themen wie Sexualität aus. So wurden wir immer offener und vertrauter, besondere Wünsche, aber auch Unbehagen anzusprechen.“ Das ist bei vielen Beziehungen nicht der Fall. Die Vorstellung, wie Sex „geht“, wird von Jugend an von unzähligen äußeren Einflüssen geprägt: angefangen von den Freunden, die mit ihren Erfahrungen protzen, über Kamasutra-Bücher, die die akrobatischsten Stellungen als besonders erregend anpreisen, bis hin zur Pornoindustrie, die körperliche Perfektheit und Dauererregung als „normal“ vorspielt
Das Ergebnis sind völlig unrealistische Erwartungen. Dazu kommt die Unsicherheit, weil man ja meist nicht so toll aussieht und sowohl Penis als auch Brüste das XXXL-Format bei weitem nicht hergeben. Das Selbstbewusstsein schwindet und damit auch die Freude am Sex, weil er nicht so „häufig“ (prahlende Männer), „aufregend“ (Kamasutra) oder „perfekt“ (Porno) ist. Dann kommt der Stress – und der verträgt sich nicht mit einem genussvollen Miteinander. Was bleibt, ist die Enttäuschung – und dann „geht gar nichts mehr“. Enttäuschung ist in diesem Zusammenhang das Beste, das passieren kann, nämlich weg von der Täuschung hin zu einem Sex, der sich an der Partnerin/dem Partner orientiert und nicht an den Vorstellungen anderer, wie es zu sein hat. Aber wie gelingt es, solche Blockaden zu lösen? Sepp Mundigler: „Indem man Wünsche und Vorlieben wahrnimmt und dem anderen mitteilt, dann auch sagt, was man/frau gar nicht mag, einiges miteinander ausprobiert, sich auf den anderen einlässt
und auf diese Weise miteinander ins ‚Schwingen‘ kommt – keineswegs mit dem Ziel, unbedingt zum Orgasmus zu kommen.“ „Wir lernten im Laufe der Zeit ‚Slow Sex‘ kennen“, erzählen die Mundiglers. Dies ist eine sehr sinnliche Methode, um Intimität und Nähe zu erleben, die von der Sexualtherapeutin und Autorin Diana Richardson in ihren Büchern beschrieben wird. „Für uns hat sich eine neue Welt in der Sexualität eröffnet. Ein Vulkan an neuen, intensiven Empfindungen wurde wachgerufen, von denen wir vorher nichts wussten. Wir waren über diese Bereicherung sehr dankbar. Diese Form hat unsere körperliche Nähe bunter, abwechslungsreicher und lebendiger gemacht.“ Und wie geht es im Alter weiter? „Mir macht der Sex keinen Spaß mehr, es tut nur mehr weh“, beklagt sich Monika. Männer empfinden solche Aussagen oft als persönliche Ablehnung. Dabei liegt es gar nicht an ihnen. Rund um die 50, meistens einige Jahre vor der letzten Regel, kommen die Frauen in die sogenannten Wechseljahre. Das beschreibt die Zeit, in der schön langsam das Östrogen weniger wird. Die allerersten Anzeichen betreffen zumeist die Trockenheit der Scheide. Dann schmerzt der Sex und das macht echt keinen Spaß. Östrogenhaltige Zäpfchen oder Cremes können gute Verhältnisse schaffen. Es ist jetzt aber auch die richtige Zeit, neue Wege der Intimität zu entdecken. Am Nachtkästchen ein Fläschchen Jojobaöl, mit dem sich die Partner gegenseitig massieren, Penis und Klitoris einreiben. Das ist nicht nur ein zärtlich-lustvolles Vorspiel, sondern schafft auch ein feuchtes Klima für die Penetration. „Aber achtsam hineingleiten, liebe Männer! Und wenn es unangenehm ist, die sinnliche Massage weiterführen“, rät Angelika Mundigler. „Der Zug fährt nicht mehr in den Tunnel“, umschreibt der Mann sein Problem in einem Werbespot für ein homöopathisches Arzneimittel gegen Erektionsstörungen. Auch die Männer erleben eine Umbruchphase durch die Veränderung des Hormonhaushalts. Ab 40 sinkt der Testosteronspiegel kontinuierlich. Das verminderten auch die Libido und damit einhergehend kommt es zu Erektionsproblemen. Eine geringere Durchblutung kann ebenfalls dazu führen, dass „die Rakete nicht mehr abhebt“. Dieser Werbespot gibt genau das problematische Männlichkeitsbild im Zusammenhang mit ihrer Sexualität wieder. Männer definieren sich häufig über ihre Potenz, die Penetration gepaart mit einem Orgasmus ist das angestrebte Ziel. Sie müssen jederzeit bereit sein, und wenn das wieder funktioniert, dann „macht es ihr auch wieder Spaß mit ihm“. Was für ein unnötiger Leistungsdruck! Die Medizin hat eine ganze Palette an Unterstützung parat, die eine Erektion wieder ermöglichen. Medikamente, die den Blutfluss zum Penis erhöhen, Hormonersatztherapien bei einem zu niedrigen Testosteronspiegel und auch mechanische Hilfen. Vor der Anwendung ist in jedem Fall der Rat eines Arztes einzuholen. Die Männer könnten es allerdings auch mit einer gesünderen Lebensweise probieren. Alkohol und Tabak können nämlich die Durchblutung erheblich beeinträchtigen. Und oftmals hilft das Gespräch mit einem Psychotherapeuten, nämlich dann, wenn die Ursachen ganz woanders liegen: Probleme in der Beziehung, Stress, Angst, sich für die Partnerin nicht mehr attraktiv und gut genug zu fühlen, und vieles mehr. Sex braucht Reife und neue Formen „Jetzt, in den Wechseljahren, sind wir sehr froh, dass wir diese Erweiterung ‚Slow Sex‘ schon früher kennenlernen durften“, erzählen Angelika und Sepp Mundigler. „Sonst wäre eine Einbahnstraße, die nicht mehr weitergeht, vorprognostiziert gewesen. Die Wechseljahre sind auch für uns beide eine Herausforderung in unserer körperlichen Liebe. Die Langsamkeit und eine besondere Achtsamkeit sind ein großer Gewinn. So können wir mit vielen Gesprächen eine erfüllte Sexualität auch im Älter-Werden erleben.“ über Sexualität reden Obwohl Zärtlichkeit und Sexualität auch in langen Partnerschaften große Bedeutung haben, fällt das Reden darüber vielen Paaren schwer. Vielleicht liegt es daran, dass es jener Bereich unseres Miteinanders ist, wo wir die größte Nähe erleben, aber auch, wo wir am verletzlichsten sind. Sepp Mundigler: „Wenn es uns gelingt, uns auch in diesem Bereich unsere Sehnsüchte und Wünsche liebevoll mitzuteilen, hat das positive Auswirkungen auf unsere gesamte Beziehung. Wir lernen uns durch Offenheit zueinander besser kennen, wir bauen versteckte Ängste ab und unsere Liebe wird dadurch nachhaltig gestärkt. Gelingt es uns nicht, über unsere Sexualität zu reden, kann es vorkommen, dass sich einer nach und nach enttäuscht zurückzieht.“ Wenn die Partner miteinander reden, können sie auch gemeinsam auf die körperlichen Veränderungen im Alter reagieren. Sie werden neue Formen entwickeln, wie sie ihr ganz persönliches Sexualleben erfüllend genießen können, und sehen, dass der Wandel auch allerhand Neues, Sinnliches, Positives mit sich bringen kann.
Autor: Christian Brandstätte
Tipp: Auf www.marriage-encounter.at/ueber-sexualitaet-reden/ finden Sie einen Fragebogen, der hilfreich sein kann, um über Empfindungen und Wünsche im Bereich der Sexualität ins Gespräch zu kommen