Glaube - Macht - Politik
„Das Dach der Demokratie ist von oben betrachtet in Ordnung, das Fundament aber ist brüchig“, analysierte die Wiener Theologin und Werteforscherin Regina Polak. Im Rahmen ihrer Arbeit untersuchte Polak auch den Zusammenhang zwischen Demokratie und Religion. Mit dem Ergebnis, dass die persönliche Religiosität unter bestimmten Voraussetzungen einen positiven Einfluss auf demokratiepolitische Einstellungen hat.
Glaube braucht Praxis
Entscheidend dafür seien eine aktive Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft und soziale Aktivität. Fehlt einer starken religiösen Überzeugung die Anbindung an eine religiöse Gemeinschaft und Praxis, tendierten diese Personen zu geringem Vertrauen in eine Demokratie und zur Befürwortung autoritärer Machtausübung.
Die These vom „Believing without Belonging“ – von Glaube und Religiosität ohne Anbindung an eine Gemeinschaft und eine soziale Praxis – habe sich als falsch herausgestellt. Gerade jetzt erlebe man: „Ohne institutionelle Anbindung verdunstet auch der Glaube an Gott.“ Dieser „Praxisverlust reduziert Religion auf eine Weltanschauung, die anfällig für politische Ideologien werden kann, insbesondere im Bereich Migration und Nationalismus“.
Politische Instrumentalisierung von Religion
Eine weitere signifikante Entwicklung sei die weltweit sinkende Religiosität, besonders unter Jugendlichen. Das gelte für alle Religionen, auch wenn dies nicht überall wahrgenommen bzw. thematisiert werde. Diese Entwicklung führe in der Regel zu verstärkten inneren Konflikten und Polarisierungen in den einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Zum anderen komme es mit dem Bedeutungsverlust von Religion im Gegenzug zu politischer Instrumentalisierung von Religion. Als Beispiel dafür nannte Polak, dass manche Politiker bzw. Parteien in der Debatte über Migration behaupten, „christliche Werte“ zu verteidigen, obwohl ihre Werte „vom biblischen Ethos weit entfernt sind“.
Die Religionsgemeinschaften müssten sich daher überlegen, wie sie „demokratieförderliche“ Werte und Einstellungen unterstützen können. Die Politik ihrerseits müsse auf eine Instrumentalisierung von Religion verzichten, den Dialog mit den Religionen suchen und religiöse Bildung fördern, so Polak.
Demokratie als Lebensform
„Demokratie ist eine ‚Lebensform‘ und muss von den Bürgerinnen und Bürgern eingeübt sowie laufend erlebt und praktiziert werden“, lautet der Leitsatz von Christoph Konrath, dem Leiter der „Parlamentswissenschaftlichen Grundsatzarbeit“ im österreichischen Parlament. „Geschieht das nicht, ist sie gefährdet.“ Demokratie werde heute oft nur noch als etwas Formales wahrgenommen, bedauert Konrath. Man kenne die Grundregeln, vor allem, wie die Wahlen funktionieren, und vertraue darauf, dass andere auf die Demokratie und ihr Fortbestehen achtgeben.
Man erwarte sich, dass Gerichte und Verwaltung funktionieren und dass Politik „Erfolge“ liefert, vor allem hinsichtlich einer guten Entwicklung der Wirtschaft. „Viele Menschen werden zu passiven Bürgerinnen und Bürgern, selbst für diese Ziele aktiv zu sein, ist im Rückgang. Wenn nicht alles reibungslos funktioniert, herrscht Enttäuschung“, so Konrath. Andere instrumentalisieren die Demokratie, indem sie die Regeln für ihre eigene Ziele ausreizen. Es gehe um ein „Was ist möglich?“ und nicht um ein „Was sollen wir tun?“. Das machen auch manche Regierungen.
Dagegen könne helfen, immer wieder zu debattieren, was Demokratie im Detail tatsächlich heißt. Sie bedeute eben nicht bloße Herrschaft der Mehrheit, sondern brauche auch Selbstbeschränkungen wie Minderheitenschutz und einen Verfassungsgerichtshof, der die Grundlagen schützt.
Geringe Wahlbeteiligung
Für den Rückgang der Beteiligung an Wahlen ortet Konrath zwei Probleme. Bei den Wahlberechtigten sei die Tendenz festzustellen, dass sie immer weniger Zeit und Energie aufbringen, sich für Politik zu interessieren und sich mit politischen Fragen eingehender zu beschäftigen. Hier solle auch die Kirche ihre Möglichkeit nutzen, die Menschen zur Teilnahme an Politik und Wahlen zu motivieren. Als eine weitere Gefahr für die „Lebensform Demokratie“ nannte der Parlamentarismus-Experte die stark steigende Zahl der Nicht-Wahlberechtigten in Österreich.
Konrath zusammenfassend: „Demokratie ist nichts Fixes, sondern muss immer wieder erarbeitet, gelebt und erlebt werden. Es braucht nicht nur den Blick auf das, was sie gefährdet, sondern noch mehr die Erfolgsgeschichten.“
Lehren aus der Geschichte ziehen.
Die Sommerakademie war dem Thema „Glaube – Macht – Politik. Demokratie – 1934, heute und morgen“ gewidmet. Die Grazer Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler erinnerte an die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kirche und Politik in der Zwischenkriegszeit. Die negativen Höhepunkte dieser Zeit waren die Ausschaltung des Parlaments und die Errichtung eines autoritären Regimes durch den damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im März 1933, der Bürgerkrieg vom 12. bis 15. Februar 1934 mit mehreren hundert Toten sowie die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938.
Die Kirche war damals ganz eng mit der Christlichsozialen Partei verbunden, bei gleichzeitiger starker Frontstellung zwischen Kirche und Sozialdemokratischer Arbeiterpartei. In ihrem Weihnachtshirtenbrief von 1933 erklärten die Bischöfe Christentum und Nationalsozialismus für unvereinbar. Zwar beschloss die Österreichische Bischofskonferenz im November 1933 den Rückzug der Priester als Mandatare aus der Politik, die enge Bindung an die Christlichsoziale Partei und die weitgehende Unterstützung für das autoritäre Regime unter Dollfuß bzw. dessen Nachfolger Kurt Schuschnigg sowie für den Ständestaat“ blieb aber bestehen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland versuchten sich die Bischöfe – von einzelnen kritischen Stimmen und Stellungnahmen abgesehen – mit den neuen Machthabern zu arrangieren und die Rechte der Kirche einzumahnen – sie hätten aber bald das „wahre Gesicht“ des NS-Regimes erkennen müssen, so Sohn-Kronthaler.
Nach 1945 habe die Kirche die Lehren aus ihren Fehlern und Erfahrungen zu ziehen versucht, führte die Kirchenhistorikerin aus. Die katholische Kirche in Österreich tat dies im „Mariazeller Manifest“ von 1952. Unter dem Motto „Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ wurde eine Rückkehr zu einem „Staatskirchentum“ oder einem Bündnis von Thron und Altar ausgeschlossen, ebenso eine Rückkehr zu einem „Protektorat einer Partei über die Kirche“. Gleichzeitig erklärte die Kirche ihren Willen zur Zusammenarbeit mit allen, die „für Freiheit und Würde des Menschen kämpfen“. Für Kardinal Franz König, ab 1956 Erzbischof von Wien, seien diese Brückenschläge Programm gewesen.
Im Blick auf die gegenwärtige Zunahme von Polarisierung und hetzerischer Sprache in Politik und Gesellschaft müssten die Christen besonders wachsam sein, so Sohn-Kronthaler in ihrem Vortrag „Die langen Schatten des Februar 1934“. Ihre Aufgabe sei es, Dialog und Verständigung zu fördern und einzumahnen, Frieden zu stiften und Menschenrechte und Menschenwürde zu verteidigen.
Autor: Josef Pumberger