Radikalisierung im Namen Gottes
Ein Beispiel erleben wir gerade in Ostdeutschland, wo die Gottesleere vieler Menschen erfolgreich mit rechtsradikalen Fantasien gefüllt wird. Das versucht derzeit in Österreich auch die FPÖ mit Wahlkampfplakaten in Anlehnung an das „Vater unser“.
Die Religion ist dabei, ihre Relevanz und politische Kraft wiederzugewinnen. Gerade in Zeiten von Kriegen, Klimanotstand, Migration und Robotisierung sind die Kirchen gefordert, sich bei der Meisterung dieser Herausforderungen aus der Sicht des Evangeliums politisch einzumischen.
Für Demokratie und Respekt
Religion steht für keine politische Partei, aber sie ist politisch parteilich. Christliche und rechtsextreme Weltanschauung widersprechen einander fundamental. Dies ist durch zahlreiche Dokumente und Zitate der katholischen sowie der evangelischen Kirchen einerseits und rechtsextremer Parteien andererseits belegt. Diese zeigen, warum solche Parteien für Christinnen und Christen nicht wählbar sind.
Für uns Christen geht es um die gleiche Würde von allem, wie das Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“ gegenüber der Mitwelt betont hat. Es geht um die gleiche Würde aller Mitmenschen, die im Dokument „Dignitatis humanae“ des 2. Vatikanischen Konzils festgeschrieben ist. Eine christliche Politik duldet keine Diskriminierungen. Bereits der Apostel Paulus hat im Brief an die Galater (3,28) schwerwiegende Diskriminierungen aufgezählt, die rassistische Diskriminierung zwischen Juden und Griechen, die ökonomistische zwischen Arm und Reich und die sexistische zwischen Männern und Frauen, Heteros und Homos. Er hat dazu aufgerufen, „in Christus“ eins zu werden.
Für eine Politik mit Gesinnung
Politikerinnen und Politiker können nur dann verantwortlich handeln, wenn sie eine Gesinnung haben. Derzeit fehlt es ihnen nicht an redlicher Verantwortung, wohl aber herrscht in manchen Altparteien ein bedrohlicher Mangel an Gesinnung. Sozialisten könnten sozialistischer, Christdemokraten christlichsozialer sein. Wer eine Gesinnung hat und nach dem Weltgemeinwohl sucht, dreht sich nicht im Meinungswind und drischt nicht fromme Floskeln.
Prinzipiell haben Kirchen die Kraft, so etwas wie Sparringspartnerinnen für Sinnsuchende oder Hoffnungshebammen in einer angstgetriebenen Welt zu sein. In einer Zeit, in der die Religion in die private Innerlichkeit abgedrängt wird, sind allerdings neue Formen des Austausches gefragt. Neben Religions-, Ethik- und Sinnunterricht, einer fachlich starken medialen Präsenz der Kirchen im Internet ist die Diakonie die glaubwürdigste Form des Dialogs. Diese hilft nicht nur den Opfern des Unrechts. Als politische Diakonie ist sie bemüht, künftige Opfer des Unrechts zu verhindern. Dazu benötigen die Kirchen nicht Deklarationen, sondern überzeugte Christinnen und Christen, welche in die Gemeinderäte, in die Landes- und Bundesparlamente, in den Europarat oder in die UNO gehen und dort das Evangelium, das sie leitet, in die konkrete Politik durchaus unterschiedlicher Parteien einspielen.
Autor: Prof. Paul M. Zulehner ist Pastoraltheologe sowie Religions- und Werteforscher in Wien