Eine synodale Kirche
Der Wortstamm ist das griechische „synodos“, das heißt so viel wie „Treffen“, „Zusammenkunft“, aber auch „Reisegemeinschaft“ und ganz wörtlich „gemeinsamer Weg“. Bislang verstand man unter einer Synode ein Konzil, eine Versammlung von Bischöfen. Daraus soll nach den Vorstellungen der Kirche ein Gremium aus gewählten Laien – Frauen und Männern – und Geweihten werden. „Synodalität“ ist dabei die Art und Weise, wie in einer Synode oder in anderen kirchlichen Versammlungen gemeinschaftlich beraten und entschieden wird.
Synoden und Synodalität sind nichts Neues. Es gibt sie in der Christenheit seit den ersten Jahrhunderten. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Gemeinschaftscharakter der Kirche und die Synodalität neu betont. Hier knüpft Papst Franziskus an, wenn er sagt, dass dies der Weg sei, den sich Gott von der Kirche des dritten Jahrtausends erwarte.
Synodalität heißt also gemeinsames Beraten, Unterscheiden und Entscheiden. Ziel ist es, einen Weg zu finden, der dem Willen Gottes und dem Glauben entspricht. Es sollen möglichst viele an Beratungen und Entscheidungen teilnehmen, die Beratungen sollen von einer Spiritualität der Gemeinschaft getragen sein. Unterscheidung der Geister meint ein inneres Erspüren, welchen Geist ein Diskussionsbeitrag zum Ausdruck bringt. Ist es ein Geist, der dem Evangelium entspricht, oder ein allzu menschlicher, dem es mehr um den eigenen Vorteil, die eigenen Interessen oder die Orientierung an gesellschaftlichen Trends geht.
Synodalität heißt nicht Demokratie
Wenn es um das Thema Mitbestimmung geht, verwenden wir meist den Begriff „Demokratie“. Da gibt es allerdings deutliche Unterschiede zur Synodalität. Voraussetzung für die Teilnahme am synodalen Prozess ist zuerst einmal die Sachkenntnis zum Thema der Beratung. Weiters die Fähigkeit zu erkennen, ob der Prozess im Geiste des Evangeliums stattfindet, und letztlich d[1]nach zu entscheiden und zu handeln. Synodalität setzt demnach eine gläubige Einstellung voraus. Das synodale Gespräch soll getragen sein vom Glauben daran, dass dort, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, Jesus in ihrer Mitte ist (Mt 18,20). Ziel eines synodalen Weges ist nicht die Mehrheit, sondern dass möglichst alle das Ergebnis mittragen können. Es wird auch das geweihte Amt (des Priesters, des Bischofs) und seine Kompetenz zur Letztentscheidung nicht ersetzt, aber es wird eingebettet in die kirchliche Gemeinschaft und das synodale Zuhören und Unterscheiden.
Eine hörende Kirche
Nach der Eröffnung des synodalen Prozesses im Oktober 2021 haben sich die Ortskirchen in der ganzen Welt auf eine erste Phase des Zuhörens eingelassen. Es war für viele eine neue Erfahrung zu lernen, einander zuzuhören, sich gegenseitig auf dem Weg zu begleiten und gemeinsam die wichtigsten Herausforderungen zu erkennen.
Thomas Schwarz, Hauptgeschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, beschreibt die Stimmung in seinem „Blog aus der Aula der Weltsynode“: „Wie schön, dass ich gerade in diesen ersten Tagen die Erfahrung machen darf, dass es ‚synodal‘ zugeht. Das heißt für mich, dass ich den Eindruck habe, gern gesehen zu sein als nichtbischöflicher Teilnehmer. Ich merke, dass man mir zuhört, dass ich offen und ohne Vorbehalte äußern darf und soll, was ich denke und was mich bewegt, und dass ich dafür nicht Desinteresse, Unverständnis oder Ablehnung ernte, sondern ganz im Gegenteil mit Wohlwollen und Dankbarkeit bedacht werde.“ Das hat auch etwas mit ihm selbst gemacht: „Mir geht es genauso mit dem, was die anderen sagen. Auch ich höre genauer zu, bin nicht sofort mit einem Gegenargument dabei. Ich merke bei mir selbst, wie sich aus meinem ersten spontanen Dissens mit dem, was jemand sagt, die Haltung entwickelt, zu schauen, ob ich nicht das eine oder andere Argument doch als Stärkung des gemeinsamen Suchens wahrnehmen kann. Das erstaunt mich dann doch selbst. Ist das eine Erfahrung des Heiligen Geistes? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß, ist: Es fühlt sich gut an.“
Zusammenschau
Die Phase des synodalen Zuhörens mündete dann in diözesane, nationale und kontinentale Versammlungen, bei denen die Ergebnisse zusammengetragen wurden. Allein in der Europasynode im Februar 2023 in Prag kamen viele widersprüchliche Positionen der nationalen Kirchen auf den Tisch. Darunter die „Klassiker“ wie der Zugang von Frauen und Laien zur Weihe und den damit verbundenen Ämtern, der Zölibat als Zulassungsbedingung zum Weiheamt oder kirchliche Positionen im Bereich der Sexualmoral. Eher neu war die Frage, wie die Kirche mit gleichgeschlechtlichen Paaren bzw. diversen sexuellen Identitäten umgehen soll.
Der Salzburger Theologe Markus Welte war Mitglied der österreichischen Delegation in Prag. „Viele Teilnehmende waren überrascht, mitunter auch ratlos über so große Unterschiede“, berichtete er von der Synode. „Es ist uns aber gelungen, diese Spannungen offen zu benennen und gemeinsam auszuhalten. Ich habe den Eindruck, dass sich alle Delegationen trotz konträrer Positionen mit einem hohen Maß an Wertschätzung begegnet sind.“ So geht Synodalität.
Die Synode in Prag hatte allerdings einen wesentlichen Vorteil: Es gab keine Debatten, keine Abstimmungen und es mussten keine Entscheidungen getroffen werden. Die hörende Kirche hat alles auf den Tisch gelegt, daraus ein Dokument verfasst und an den Vatikan weitergeleitet. Abseits innerkirchlicher Themen wurde die Sendung der Kirche in der Welt im Blick auf globale Gerechtigkeit, Armut, Migration, Klimakrise, Ökumene oder den interreligiösen Dialog betont. Und man war sich einig, dass die synodale Form des Beratens und Entscheidens in der Kirche weiterentwickelt werden sollte.
Synode der Weltkirche
„Wie wir eine missionarisch-synodale Kirche sein können“ titelt das Arbeitspapier für die Weltsynode im Oktober 2024 in Rom, das Mitte Juli präsentiert wurde. Darin heißt es: „Das ganze Volk Gottes ist Gegenstand der Verkündigung des Evangeliums. In ihm ist jeder Getaufte berufen, Protagonist der Sendung zu sein.“ Die Synodalität ist dabei der Modus, in dem das Engagement für diese Sendung neugestaltet werden soll, der Stil eines neuen Miteinanders in der Kirche. Im Oktober werden neben den Bischöfen auch nicht geweihte Männer und Frauen mit Sitz und Stimme vertreten sein. Man spricht auch nicht mehr von einer Weltbischofssynode, sondern von einer Synode der Weltkirche.
Synodales Reden und Zuhören wird jedoch nicht reichen. Als nächstes braucht es die Kunst, die Geister zu unterscheiden und letztlich auch Entscheidungen für das Leben und Wirken der Kirche in der Welt von heute zu treffen. Im Arbeitspapier heißt es dazu: „Ohne konkrete Veränderungen wird die Vision einer synodalen Kirche nicht glaubwürdig sein, und dies wird jene Mitglieder des Gottesvolkes entfremden, die aus dem synodalen Weg Kraft und Hoffnung geschöpft haben.“
Wer sich von der Weltsynode revolutionäre Änderungen erwartet, wird allerdings enttäuscht sein. Papst Franziskus hat viele der konkreten Reformthemen in Arbeitsgruppen ausgelagert, sie werden im Oktober nicht Thema der Synode in Rom sein. Für den Theologen Paul Zulehner könnte das im Sinne der Reformer auch ein Vorteil sein, wenn in manchen Fragen (noch) nicht entschieden wird. „Die Herausforderungen der Kirche in den Kontinenten sind sehr unterschiedlich. In vielen Fragen wie Zölibat, Frauenpriestertum, Sexualkultur oder Geschlechtergerechtigkeit findet sich derzeit keine Mehrheit auf weltkirchlicher Ebene. In den Kirchen Afrikas etwa besteht kein Priestermangel. Einige Ortskirchen plädieren für die Zulassung von Frauen zum diakonischen Dienst, andere lehnen das entschieden ab. Und wäre bei der Europäischen Versammlung 2023 in Prag über frauenbezogene Fragen abgestimmt worden, wären die Reformheischenden wohl in der Minderheit geblieben.“
In den Regionen entscheiden
Im Arbeitspapier heißt es auch, dass die Ortskirchen aufgerufen sind, „alle Möglichkeiten zu nutzen, um authentische synodale Entscheidungsprozesse mit Leben zu füllen“. Papst Franziskus hat immer wieder von einer heilsamen Dezentralisierung gesprochen. Die Synode könnte neben der Synodalität als neuem Stil im Umgang miteinander auch die Voraussetzung dafür schaffen, dass künftig mehr Entscheidungen basierend auf den regionalen Herausforderungen getroffen werden. Und das wäre dann auch schon wieder revolutionär. Statt eines Zentralismus und der damit verbundenen Stagnation könnten weltkirchliche Regionen mit unterschiedlichen Entwicklungen entstehen.
Dazu bräuchte es laut Zulehner eine anspruchsvolle päpstliche Amtskultur. „Der Petrusdienst steht dann nicht nur zwischen den christlichen Kirchen, sondern auch innerhalb der katholischen Kirche für die Einheit in einer brodelnd-dynamischen Verschiedenheit. Das letzte Dokument aus Rom über die Weiterentwicklung des Papstamtes weist am Ende ausdrücklich auf diese neue Herausforderung hin. Wenn diese neue Papstamtskultur innerkatholisch gelingt, wäre dies auch ein großer Schritt für die zwischenkirchliche Ökumene.“
Mehr Transparenz
Und noch eine Passage im Arbeitspapier hat es in sich. „Eine synodale Kirche braucht eine Kultur und Praxis der Transparenz und Rechenschaftspflicht, die unerlässlich sind, um das gegenseitige Vertrauen zu fördern, das für einen gemeinsamen Weg und die Wahrnehmung der Mitverantwortung für die gemeinsame Sendung notwendig ist.“ Es sei dies eine wichtige Reaktion auf den „Verlust der Glaubwürdigkeit aufgrund von Finanzskandalen und insbesondere des sexuellen und sonstigen Missbrauchs von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen“. Die Kirche hat hier offensichtlich aus den gravierenden Fehlern der Vergangenheit gelernt.
Auch wenn bei der Synode der Weltkirche im Oktober in Rom keine kirchliche Revolution ausgerufen wird: Sollten die Vorschläge aus dem Arbeitspapier – wie synodale Beratungsstrukturen, regional angepasste Entscheidungen und transparente Prozesse – umgesetzt werden, so wären das durchaus bedeuten[1]de Schritte auf dem Pilgerweg der Kirche.
Auror: Christian Brandstätter