Demokratie: Darf´s ein bisserl mehr sein?
Superlativen aus dem Mund von Politikern sollte man stets mit einer angemessenen Portion Skepsis begegnen. Auch die Politik-Berichterstattung ist vor Übertreibungen nicht immer gefeit. Wenn das Jahr 2024 immer wieder als „Superwahljahr“ betitelt wird, hat das jedoch durchaus seine Berechtigung. Weltweit wird in mehr als 60 Ländern gewählt, die 27 EU-Staaten eingerechnet; unter ihnen sind einige der bevölkerungsreichsten Staaten wie Indien, Indonesien, die USA, Russland, Pakistan und Bangladesch. Rund 3,6 Milliarden Menschen – 45 Prozent der Weltbevölkerung – sind von den Entscheidungen an den Urnen betroffen.
Was die demokratische Qualität dieser Wahlen betrifft, so stellt sich diese allerdings höchst unterschiedlich dar. Russland etwa gilt als elektorale Autokratie, das heißt der Anschein von Wahlen wird noch zur wahren versucht. Wladimir Putins Wiederwahl stand allerdings schon vor dem Urnengang Mitte März (nach Redaktionsschluss von Ypsilon) fest. Oppositionelle Kandidaten wurden unterdrückt und dass Putin überhaupt ein fünftes Mal antreten konnte, hatte er sich durch eine Verfassungsänderung 2020 gesichert. Mit besonderer Spannung werden die Präsidentenwahlen im November in den USA verfolgt. Die Entscheidung um das Präsidentenamt fällt, wie es derzeit aussieht, zwischen dem amtierenden Präsidenten Joe Biden und Donald Trump. Bei einem Wahlsieg Trumps befürchten viele, dass unter seiner Regentschaft wesentlichen Säulen der US-amerikanischen Demokratie Schaden zugefügt wird.
Autokratien im Vormarsch
Das Forschungsinstitut „Varieties of Democracy“ (V-Dem) veröffentlicht regelmäßig weltweite Kennzahlen zur Qualität von Wahlen und von Demokratien insgesamt. V-Dem zufolge erlebte die Welt 2009 ihren demokratischen Höhepunkt, mit 44 Staaten, die als liberale Demokratien eingestuft werden konnten. 2022 waren es nur noch 32; gegengleich die Entwicklung bei den Autokratien. Bezogen auf die Bevölkerungszahl leben 72 Prozent der Menschen in einer Autokratie, in absoluten Zahlen 5,7 Milliarden, nur 13 Prozent – etwa 1 Milliarde Menschen – in einer liberalen Demokratie. Nicht verschwiegen werden soll, dass 14 Länder 2022 den gegenteiligen Weg geschafft haben, von der Autokratie zur Demokratie.
Die Maßnahmen, die den Weg von einer Demokratie in eine Autokratie kennzeichnen, sind stets dieselben: Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Freiheit von Wissenschaft und Kultur, Eingriffe in die Freiheit der Medien, Maßnahmen gegen eine unabhängige Justiz, Hürden für die Opposition und Schikanen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen. Diese Maßnahmen haben als solche bereits einen negativen Einfluss auf die Freiheit und Qualität einer Stimmabgabe. Dazu kommen dann meist noch Manipulationen bei der Zulassung zur Wahl, bei der Stimmabgabe und bei der Auszählung. Das Superwahljahr 2024 bietet alles andere als rosige Aussichten für die liberale Demokratie.
Quo vadis Europa?
Wichtige Wahlen stehen auch in Europa an, allen voran Anfang Juni die Wahlen zum Europäischen Parlament. In sechs EU-Staaen finden zudem nationale Parlamentswahlen statt, darunter auch in Österreich. In Deutschland richtet sich das Augenmerk auf mehrere Landtagswahlen, vor allem in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, aus denen laut derzeitigen Umfragen die rechtspopulistische bis rechtsextreme AfD (Alternative für Deutschland) jeweils mit rund 30 Prozent als stärkste Kraft hervorgehen könnte. In Österreich werden schon jetzt laufend Umfragen zur Nationalratswahl veröffentlicht, dabei wird die sogenannte Sonntagsfrage gestellt: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Nationalratswahl wäre? Laut diesen Umfragen würde die FPÖ mit rund 26 bis 30 Prozent Platz eins erreichen, gefolgt von der SPÖ mit rund 23 Prozent, fast gleichauf die ÖVP mit 20 bis 22 Prozent. Die Neos kämen auf ca. neun Prozent, die Grünen auf acht Prozent. Bierpartei und KPÖ landeten bei fünf bzw. drei Prozent.
Denen, die keine FPÖ-Anhänger sind, treibt die Vorstellung eines Bundeskanzlers Herbert Kickl mehr als eine Sorgenfalte auf die Stirn, hat er doch offen die Schaffung einer illiberalen Demokratie nach dem Vorbild Viktors Orbans in Ungarn als eines seiner Ziele ausgegeben.
Quo vadis Österreich?
Wird 2024 auch Österreich in Richtung Autokratie abbiegen? Wer seine Hoffnung stärken will, dass dies nicht geschieht, dem/ der ist ein Blick in den Österreichischen Demokratiemonitor empfohlen. Das SORA-Institut erhebt seit 2018 einmal im Jahr, was die Österreicher über das politische System und die Demokratie im Allgemeinen denken. Die letzte repräsentative Umfrage wurde zwischen dem 30. September und dem 12. Oktober 2023 durchgeführt. Das Ergebnis: Insgesamt steigt die Zufriedenheit mit dem politischen System in Österreich leicht. Die Sehnsucht nach einem Autokraten ist wieder etwas abgeflaut.
Obwohl sich das Image des politischen Systems in Österreich insgesamt etwas gebessert hat, ist das Ausmaß der Zustimmung allerdings stark mit der ökonomischen Lage der Befragten verknüpft. Im unteren ökonomischen Drittel ist die Zufriedenheit weiter gesunken, während sie sich im mittleren und oberen etwas erholt hat. Dort war sie zwar in den Jahren 2020 bis 2022 wegen der Corona-Pandemie, diverser Korruptionsvorwürfe und steigender Inflation ebenfalls erodiert. Aktuell denken 52 Prozent der Menschen im oberen und 41 Prozent im mittleren Drittel, dass das politische System gut funktioniert. Im unteren Drittel liegt der Zuspruch bei nur noch 24 Prozent.
Eine Frage des Vertrauens
Ähnlich die Entwicklung beim Vertrauen in die Institutionen. Dem Bundespräsidenten vertrauen derzeit 52 Prozent der Befragten, beim Parlament sind es 39 Prozent und bei der Bundesregierung 32 Prozent. Auch hier sind im mittleren und oberen ökonomischen Drittel die Werte wieder gestiegen, im unteren Drittel erneut gesunken. Die Ursache dafür: Laut Studienautorin Martina Zandonella fühlt sich die wirtschaftlich schwächere Schicht von der Politik nicht repräsentiert – und dieses Gefühl der fehlenden Repräsentation habe einen starken Effekt auf das Vertrauen. Zudem sei ein beträchtlicher Teil mittlerweile der Meinung, es nütze nichts, sich an der Demokratie zu beteiligen – sprich: wählen zu gehen; eine im Blick auf die kommenden Wahlen alarmierende Entwicklung.
Vor diesem Hintergrund hält die Studie aber ein überraschendes Detail parat: Die grundsätzliche Haltung der Menschen in Österreich zur Demokratie blieb über die Jahre hinweg stabil. Laut der Umfrage 2023 denken 86 Prozent, dass sie die beste Staatsform ist.
Auf eine „bedenkliche Entwicklung“ wollte Studienautorin Zandonella doch noch hinweisen: Der Anteil jener Gruppe, die die Demokratie tatsächlich ablehnt, liege etwas unter zehn Prozent und ist über die Jahre hinweg konstant. Allerdings ließe sich bei diesen Menschen eine Verfestigung von autoritärem Gedankengut feststellen.
Eine gute Nachricht zum Schluss: Obwohl die Parteienlandschaft zerstritten ist, liegen die politischen Lager in der Bevölkerung nicht so weit auseinander, wie es manchmal scheint. „Man hat es hier nicht mit zwei verfeindeten Gruppen zu tun wie beispielsweise in den USA. Es ist noch möglich, zu diskutieren“, so SORA. Ein Freund-Feind-Schema sei nicht auszumachen. Studienautorin Zandonella: „Der sich radikalisierende Rand ist eine besorgniserregende Entwicklung. Sich allein darauf zu konzentrieren, verdeckt jedoch eine zweite zentrale Erkenntnis: Auch in stürmischen Zeiten kann sich die Demokratie auf den Großteil ihrer Bürgerinnen und Bürger verlassen.“
Autor: Mag. Josef Pumberger; Generalsekretaör der KMBÖ und der KAÖ