
Künstliche Nährstoffe - in der richtigen Dosis liegt der Erfolg
Die einen, die einen vorbildlichen Lebensstil pflegen – das sind Gesundheitsbewusste, die sich durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln erhoffen, noch ein Stück weit fitter zu werden. Und die anderen, bei denen regelmäßig üppiger Schweinsbraten und herzhafte Leberkässemmeln auf dem Teller landen. Wir wollen es mal so sagen: Gemüse-Junkies sehen anders aus. Um das schlechte Gewissen zu besänftigen, müssen Vitamine aus der Schachtel herhalten. Multivitaminpräparat statt Apfel – geht diese Rechnung auf? Wer braucht Nahrungsergänzungsmittel tatsächlich? Und wer nicht?
Symphonie der Mikronährstoffe
Sehen wir uns die Sache doch einmal genauer an: Über 300 Inhaltsstoffe stecken unter der Schale eines knackigen Apfels darunter Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. All diese Vitalstoffe zaubern aus dem Kernobst eine kleine Powerfrucht. Zum Vergleich: Eine Vitamin-C-Tablette enthält – richtig ausschließlich Vitamin C. Nun ist es so, dass sich synthetisch erzeugte Vitamine und Mineralstoffe in ihrer chemischen Struktur von den in Lebensmitteln natürlich vorkommenden Nährstoffen nicht unterscheiden. Das bedeutet: Unser Körper kann die Nährstoffe so und anders aufnehmen – das ist nicht das Problem. Entscheidend ist jedoch, dass Mikronährstoffe in der Natur nie isoliert vorkommen – erst ihr Zusammenspiel macht die gesund-
heitsfördernde Wirkung aus. „Nähr- und Pflanzenstoffe wirken am besten im Verbund und in Wechselwirkung zueinander“, bestätigt Priv. Doz. Dr. Oliver Neubauer, Forschungsleiter im Bereich Ernährungs- und Sportphysiologie an der Uni Wien und der Donau-Uni Krems. Man kann sich die Synergie von Nährstoffen wie ein Symphonieorchester vorstellen. Schiefe Töne stellen sich nur dann ein, wenn die Musiker nicht aufeinander abgestimmt sind. Ähnlich verhält es sich bei den Nährstoffen: Folsäure und Zink gleichzeitig eingenommen, konkurrieren sich beispielsweise – ebenso wie Eisen mit anderen Mineralien wie Kalzium, Magnesium oder Zink. Indes ist Eisen und Vitamin C ein wahres Dream-Team: Vitamin C fördert die Resorption von Eisen.
Hilft‘s nix, schad‘s nix?
„Nahrungsergänzungsmittel sollten nicht wahllos eingenommen werden“, gibt Diätologe Johann Grassl zu bedenken: Viel hilft nicht automatisch viel. „Ein Überschuss an wasserlöslichen Vitaminen wird meist einfach wieder ausgeschieden.“ Am Ende haben wir es also oft nur mit teurem Urin zu tun. Anders sieht die Sache hingegen bei fettlöslichen Vitaminen aus: Vitamin A, D, E und K gehören dieser Gruppe an – sie können sich im Körper anreichern. „Überdosierungen können toxisch wirken“, bringt es der Experte auf den Punkt. Exemplarisch sei Vitamin D genannt – ein zweifelsfrei wichtiges Vitamin, das wegen seines breiten Wirkspektrums nahezu gehypt wird. Nutzen bringt es – und das ist der springende Punkt – nur in der richtigen Dosierung. Zu hohe Vitamin-D-Einnahmen können zu Übelkeit, Kopfschmerzen, Muskelschwäche und Nierensteinen führen. Schlechte Noten bekommen hochdosierte Vitamine auch dann, wenn sie von bestimmten Personengruppen eingenommen werden – allen voran Rauchern. Aus Langzeitstudien weiß man, dass Vitamin A und dessen Vorstufe Betacarotin in kausalem Zusammenhang mit Lungenkrebs stehen. Und was ist mit der carotinoidreichen Karotte? Muss man sich vor ihr ängstigen? Keineswegs! Zwar können einige Carotinoide im Körper zu Vitamin A umgewandelt werden, allerdings nur in der vom Organismus benötigten Menge. Das heißt: Über eine normale Ernährung sind Überdosierungen praktisch nicht zu befürchten.
Nährstoffe ergänzen? Nur bei Defiziten!
Sollen wir um Nahrungsergänzungsmittel einen großen Bogen machen? Nicht immer. Berücksichtigt werden muss, dass nicht alle Menschen Nährstoffe gleich gut aufnehmen. Verdauungsund Absorptionsstörungen bzw. dauerhafte Medikamenteneinnahme oder Multimedikation gehen häufig mit Versorgungsengpässen einher. Magensäurehemmer oder blutverdünnende Medikamente können den pH-Wert im Magen etwa so verändern, dass die Aufnahme von Mikronährstoffen gehemmt wird.
Aber woran mangelt es uns eigentlich konkret? Dem österreichischen Ernährungsbericht* zufolge, schafft es ein wesentlicher Prozentsatz der Bevölkerung nicht, den empfohlenen Tagesbedarf an bestimmten B-Vitaminen, Vitamin D und E, Kalzium, Zink, Jod oder Eisen über den täglichen Schmaus zu decken. Vor allem vegan lebende und ältere Menschen sind stärker gefährdet, einen Mangel zu erleiden. 50 bis 60 Prozent der Senioren, die älter als 65 Jahre sind, weisen Zeichen eines Vitamin-B12-Mangels auf. Ein solcher entsteht nicht von heute auf morgen. Die gefüllten Vitamin-B12-Speicher in der Leber entleeren sich sukzessive, wenn über die Nahrung kein Nachschub eintrudelt. Defizite können zu neurologischen Beschwerden führen. So werden niedrige Vitamin-B12-Spiegel gar mit frühen Stadien der Alzheimer-Demenz in Verbindung gebracht. Es macht also durchwegs Sinn, die eigenen Nährstofftanks im Auge zu behalten – und zwar wortwörtlich. Denn ob man eine Ergänzung braucht, kann letztendlich nur eine Blutuntersuchung beim Arzt klären.
Einmal zum Nährstoffcheck, bitte!
„Mikronährstoffdefizite können mittels Vollblutanalyse identifiziert werden“, empfiehlt Dr. Christian Matthai, Ernährungs- und Sportmediziner. Zum besseren Verständnis: Alles im menschlichen Körper ist komplex, ebenso das Blut. Es kann in drei Hauptkategorien unterteilt werden: Serum, Plasma und Vollblut. Letzteres enthält alle flüssigen und zellulären Bestandteile wie weiße und rote Blutkörperchen. Lässt man im Labor ein Blutbild anfertigen, so handelt es sich in der Regel um eine Serumdiagnostik hier wird nur der flüssige Bestandteil des Blutes inspiziert. Dass die Blutzellen fehlen, ist für die meisten Untersuchungen kein großes Drama – viele Werte können problemlos im Serum ermittelt werden. Anders sieht die Sache bei Mikronährstoffen aus: Manche Mineralstoffe wie Eisen, Zink, Selen und Magnesium liegen in hoher Konzentration intrazellulär vor. Das heißt, man findet sie vermehrt in den Blutzellen – im Vollblut. Magnesium ist so ein Kandidat, der zu 90 Prozent intrazellulär gebunden ist. Nur ein sehr geringer Anteil findet sich frei im Serum. Wichtig zu wissen: „Man kann einen normalen Magnesiumspiegel im Serum haben, aber einen ausgeprägten Magnesiummangel in der Zelle“, erklärt der Mediziner, weshalb eine Vollblutanalyse in diesem Zusammenhang aussagekräftiger ist.
Die Basis sollte passen
Und jetzt? Was bedeutet das alles für die Praxis? In erster Linie gilt es – Sie haben es vermutlich schon geahnt –, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten. „Eine vollwertige Mischkost, die pflanzenbetont ist, tut unserer Gesundheit gut“, erklärt Ernährungsexperte Neubauer, worauf es ankommt. Keine Sorge, es spricht nichts gegen ein Schnitzel zwischendurch, wenn die Basis stimmt. Wer müde und schlapp ist, Schmerzen hat oder andere Beschwerden aufweist, sollte keine Eigentherapie probieren, sondern die Symptome zuerst ärztlich abklären lassen. So wird auch verhindert, dass möglicherweise ein medizinisches Problem übersehen wird. Mangelt es tatsächlich an Nährstoffen, so lässt sich das recht unkompliziert beheben: Über Nahrungsergänzungsmittel können Nährstofflücken geschlossen werden. „Selbst wenn keine Mängel festgestellt werden, ist es manchmal sinnvoll, Vitalstoffwerte vom unteren in den oberen Bereich zu heben“, sagt Matthai und resümiert: „Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer individuellen, bedarfsorientierten Dosierung.“
Autoin: Sylvia Neubauer