
75 Jahre KMB
Im Jahr 1948 wurde die Katholische Männerbewegung (KMB) in Österreich gegründet. Zum 75. Geburtstag haben wir Bundesobmann Ernest Theußl zum Interview gebeten.
Ypsilon: Seit wann bist du Mitglied der KMB?
Theußl: Mitglied bin ich schon seit den 1970er Jahren, von 2003 bis 2021 war ich Obmann in der Steiermark, seit 2018 bin ich Bundesobmann.
Wie bist du zur KMB gekommen?
Ich habe damals in Deutschlandsberg Religion unterrichtet und bin einfach angeredet worden. Zuerst war ich nur ein zahlendes Mitglied, aktiver bin ich dann Anfang der 1990er Jahre geworden. In der Schule haben sie mich gefragt, warum ich bei der Männerbewegung bin. – Na weil ich ein Mann bin, sonst wäre ich bei der Frauenbewegung!
Was war vor 75 Jahren der Anlass, die KMB zu gründen?
In der Vorkriegszeit hatte die Katholischen Aktion (KA) eine reine Dienstleistungs-funktion für den Klerus, in den 1930er Jahren hat sie sich total dem Führerprinzip unterworfen und jegliches demokratische Element unterbunden. Aus diesen Erfahrungen hat man gelernt und das Laienapostolat nach dem Krieg neu aufgestellt. Mit dem Mariazeller Manifest ist eine ganz neue Denkart aufgebrochen und da war die KMB mitten drin. Erstes Ziel war die Pastoralarbeit in der Pfarre und nicht mehr die parteipolitische Präsenz. Es herrschte eine enorme Aufbruchsstimmung mit riesigen Aufmärschen, bei denen man das Katholische in der Öffentlichkeit demonstriert und die Botschaft des Evangeliums in der Gesellschaft bewusst gemacht hat – nicht die Dogmen, sondern generell christliches Denken. Die Bibelbewegung und die Volkssprache im Gottesdienst (Bet-SingMesse) haben das Ganze abgerundet.
Wurde damals das 2. Vatikanische Konzil in der Praxis vorweggenommen?
Das Konzil wäre nicht möglich gewesen, wenn sich das alles nicht schon 20 Jahre vorher entwickelt hätte. Sowohl die liturgische Bewegung als auch die Einstellung für das Zusammenspiel von Glauben und Gesellschaft. Die KA wurde vom Dienstleister für den Klerus zum Dienstleister für die Menschen. Die Gliederungen, wie die KMB und andere, haben sich selber demokratisch organisiert. Alle Funktionen wurden und werden bis heute demokratisch gewählt. Dadurch hat man auch viele Mitglieder bekommen. Jeder Mann, der am Sonntag in die Kirche gegangen ist, ist angeredet worden, ob er nicht mitmachen möchte.
Hat sich der Auftrag der KMB im Laufe der Zeit verändert?
Der Grundauftrag, die christliche Botschaft, das Evangelium zu den Menschen zu tragen, ist gleichgeblieben. Natürlich haben sich Gesellschaft und Kirche weiterentwickelt. Die KA hat sehr viel zum interreligiösen Dialog beigetragen. Das entwicklungspolitische Engagement ist stärker geworden. Je besser es uns gegangen ist, desto mehr konnte man anderen Menschen etwas geben, denen es nicht so gut geht. Und auch das pfarrliche Leben und der Kontakt zu den Mitgliedern in der Pfarre wurde intensiv gepflegt. Das geht zurzeit leider ein wenig verloren, weil die Mitgliederzahlen in der Kirche und auch bei uns stark sinken.
Was waren die Meilensteine in der langen Geschichte der KMB?
Wir machen unsere Arbeit als Christen und Mitglieder der Kirche und freuen uns, wenn etwas gelingt. Ein Meilenstein war zweifellos die Weitergabe des Glaubens über die Kirchenmauern hinaus. Die KMB hat dazu viel beigetragen. Ein anderer Meilenstein ist das gesellschaftspolitische Engagement. Wir haben uns immer eingebracht, wenn es um Werte gegangen ist, etwa bei der Abtreibungsdebatte oder in der Entwicklungszusammenarbeit durch die Gründung der EZA und der Organisation „Bruder in Not“, die heute unter dem Namen „SeiSoFrei“ hervorragende Arbeit leistet. Wir haben den Aspekt des Vatertages stark herausgestrichen und sprechen mit der alljährlichen Jägerstätter-Wallfahrt das Thema Zivilcourage an.
Mit unseren gesellschaftspolitischen Aktivitäten sind wir in einem Spagat zwischen biblischer Botschaft und der Umsetzung in der Praxis. Ich meine, wir sollten in Detailfragen des Alltags nicht die besseren Politiker spielen wollen. Wir können die Bergpredigt nicht in der Politik umsetzen, aber wir wissen, dass die Bergpredigt ein Ziel für unser Leben, für unser christliches Verhalten ist, wo man sich immer wieder neu positionieren muss.
Wo steht die KMB heute?
Wir müssen mit den Gegebenheiten leben, die wir heute in der Kirche haben. Da mache ich mir keine Illusionen. Ich denke, die Rolle der KMB und auch der KA liegt vor allem in der Pfarre. Wenn wir einigermaßen Leute zusammenbringen, die sich in der Pfarre engagieren, dann haben wir etwas ganz Großes geleistet. Denn die Pfarren werden uns brauchen. Wir werden immer weniger und bräuchten qualifizierte Leute, die wissen, wovon sie reden und die das religiöse Leben neben der Eucharistiefeier aufrechterhalten, etwa indem sie den Mesner oder den Nikolaus machen, Wortgottesdienste, Maiandachten und Totenwachen gestalten. In der Realität ist es so, dass der Pfarrer zehn Minuten vor der Messe kommt, die Eucharistiefeier hält und gleich danach wieder weg ist. Wenn es das pfarrliche Leben rundherum nicht mehr gibt, wenn es keinen Bezugsrahmen mehr gibt, dann stirbt die Pfarrgemeinschaft.
Nur ein Beispiel: Ich war 25 Jahre Gemeinderat der ÖVP. Heuer kommen die Senioren der SPÖ zu mir, mit der Bitte, zum Muttertag einen Wortgottesdienst bei einer Kapelle zu halten. Insgesamt waren mehr als 60 Leute bei der Feier dabei. Ich sage den Männern immer wieder, sie sollen in den Pfarren Zellen aufbauen, auch für die nächste Generation. Soweit ich sehe, gibt es immer wieder welche, die in der Lage sind, weiterzumachen.
Welche Rolle spielt die KMB in der Männerarbeit?
Es tut auch einmal gut, in einer Runde nur unter Männern zu sein. Ich habe lange daran gezweifelt und war der Meinung, Männer und Frauen sollten alles gemeinsam machen. Heute meine ich, dass auch reine Männerrunden einen Vorteil haben. Wir kommen zusammen, spielen Tischtennis, trinken ein Bier und keppeln auch über persönliche Dinge, über die Familie. Das ergibt so etwas wie ein Heimatgefühl. Die Männer müssen sich auch außerhalb der Familie irgendwo daheim fühlen, dann gehen sie auch gerne hin.
Immer wieder tauchen bei diesen Gesprächen spannende Glaubensfragen auf, über die wir dann diskutieren. Da bemerke ich, dass das Glaubenswissen immer weiter abnimmt. Wenn ich allerdings nichts mehr weiß, weiß ich auch nicht, was ich glauben soll. Wer kann da noch fundierte Antworten geben? Die Priester haben dafür keine Zeit und der Religionsunterricht ist meist völlig abgekoppelt von der Pfarre. Wir von der KMB können das.
Welche Rolle spielt die KMB heute in gesellschaftlichen Fragen?
Wir haben christliche Werte aufzuzeigen und diese auch selber zu leben. Wir müssen den Menschen ein Guckloch in die Transzendenz öffnen, damit sie nicht nur die verstaubte Welt sehen. Aktuell engagieren wir uns sehr im Bereich Klimawandel oder in der Diskussion um die Sterbehilfe. Zu diesen und anderen Themen haben wir Positionen aus christlicher Sicht abgegeben, auch als Orientierung für die Entscheidungsträger.
Was sind die größten Herausforderungen für die KMB in der Zukunft?
Momentan beschäftigen uns vor allem die Umbrüche in der Kirche. Die schwindenden Mitgliederzahlen bedingen auch finanzielle Einbußen. Das ist zwar ein ganz weltliches Problem, aber das betrifft uns natürlich auch. Mit 75 Jahren ist man ja nicht mehr der Jüngste. Es heißt, es muss alles neu werden, und da stellt sich die Frage, ob man uns dabei überhaupt noch braucht. Es gibt Tendenzen in der Kirche, die der Meinung sind, sie brauchen uns nicht. Spirituelle Bewegungen werden dann immer wieder ins Spiel gebracht. Das ist eine schwierige Situation für unsere Mitglieder, die sich die Frage stellen: Brauchen oder wollen die uns noch oder müssen wir uns entschuldigen, dass wir noch da sind?
Wir sind stolz darauf, dass wir eine Mitgliederorganisation sind mit Männern, die sich freiwillig in den Dienst der Kirche stellen. Wir engagieren uns in den Pfarren, zahlen nicht nur unseren Kirchenbeitrag, sondern zusätzlich noch einen freiwilligen Mitgliedsbeitrag. Das einzige, das wir von der Diözese brauchen, ist ein Büro und ein oder zwei angestellte Mitarbeiter für übergeordnete Tätigkeiten, wie Veranstaltungsorganisation, österreichweite Koordination oder eben die Mitarbeit an unserer Zeitung Ypsilon. Das ist wohl das Mindeste an Anerkennung, das wir uns erwarten dürfen. Anstatt unser Engagement zu fördern, nimmt man uns auch noch die letzte diözesane Infrastruktur. Über die wirtschaftliche Situation hinausgedacht läuft so ziemlich alles gegen das letzte Vatikanische Konzil.
Trotz allem ist es mein innerster Traum, dass die KMB das Glaubensleben in den Pfarren aufrechterhalten kann, dass sie auf die Bedürfnisse der Leute eingehen kann, dass wir gemeinsam um die Sinnfrage ringen: Was ist nach dem Tod? Wie gehe ich mit Schicksalsschlägen und Krankheit um? Da bin ich ein Anhänger von Viktor Frankl: „Du sollst nicht dauernd nach Foto: Robert Neschmach Sinn suchen, sondern Sinn tun!“
Interview: Christian Brandstätter, Rowitha Reisinger