
Zurück in den Garten Eden
Meine Entscheidung: Ich fand es schlicht und einfach verantwortungslos. Daher haben wir in unserer KSJ-Gruppe (Katholische Studierende Jugend) Infos gesammelt, diskutiert, eine Podiumsveranstaltung in der Pfarre organisiert, Plakate in die Schaufenster von Geschäften geklebt. Die Nachricht vom knappen „Nein“ der Volksabstimmung erreichte uns am 5. November 1978 bei der Heimfahrt vom KSJ-Schülerkongress in Steyr. Der Jubel zog sich durch mehrere Waggons. Selbst konnte ich damals ja noch nicht abstimmen und trotzdem war es möglich, in einem bescheidenen Bereich Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen.
Worum es beim Thema Verantwortung für die Umwelt – oder anders und noch viel eindringlicher ausgedrückt bei der Bewahrung der Schöpfung – wirklich geht, habe ich erst viele Jahre später begriffen. Und zwar durch ein Referat von August Raggam, a.o. Univ.-Prof. in Graz und ehemaliges Mitglied im Vorstand der KMB Graz.
Die Uratmosphäre der Erde war ein Gemisch von Gasen, in der kein Leben möglich war, bis sich vor etwa drei Milliarden Jahren erste Zellkomplexe bildeten, die mit Hilfe des Sonnenlichts Kohlendioxid (CO2 ) und Wasser in organische Substanzen umwandelten. Die Photosynthese hatte eingesetzt, die das CO2 aus der Atmosphäre filterte und Sauerstoff in die Atmosphäre zurückgab. Dabei entstanden riesige Mengen an Biomasse, die durch Naturkatastrophen im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Erde etwa 30.000 Mal ins Innere der Erdkruste bzw. am Meeresboden abgelagert wurden.
Dieser Prozess wäre vor zwei Milliarden Jahren abgeschlossen gewesen. Es hätte auf der Erde zwar jede Menge organischer Substanz gegeben, aber keine Photosynthese mehr – wenn sich da nicht völlig neue Lebewesen, die Bodenbakterien, entwickelt hätten. Ihre Lebensgrundlage war nicht das CO2 der Atmosphäre, sondern die Biomasse auf der Erde. Das war die Geburtsstunde der Kreislaufwirtschaft. Durch die „Einführung des Sterbens“, durch den Abbau der organischen Substanz durch Bakterien, wurde ein dauerhafter Kreislauf mit zunehmend stabilen Lebensbedingungen geschaffen. Der Garten Eden, wie es die Bibel nennt, war für uns eingerichtet.
Vor etwa 300.000 Jahren – einem Wimpernschlag in der Erdgeschichte – wurde der heutige Mensch in dieses hochintelligente, traumhafte Kreislauf-Produktions-system hineingeboren, in das er sich auch problemlos einfügte. Der jährliche Biomassezuwachs bindet etwa 200 Milliarden Tonnen CO2 . Diese gelangen durch Konsumenten, wie Menschen, Tiere und die Bakterienwelt, wieder zurück in die Atmosphäre, ganz entsprechend den Gesetzen der Kreislaufwirtschaft. Erst später schuf der Mensch naturwidrige, lineare Systeme. Anfangs langsam, mit der Erfindung der Dampfmaschine schneller und seit etwa 80 Jahren durch die ungezügelte Nutzung von Öl, Gas und Kohle mit – im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubender Geschwindigkeit. Die Natur brachte das Kunststück zustande, in 2,5 Milliarden Jahren eine stabile Erdatmosphäre zugunsten der Menschen aufzubauen. Wir zerstören diese Lebensgrundlage in weniger als einem Jahrhundert.
Verantwortung übernehmen
Es geht also nicht um die Verantwortung für die Natur oder die Umwelt, die kommt sehr gut ohne uns zurecht. Es geht um die Verantwortung für uns selbst, für unsere Kinder und Enkelkinder, die auch einmal Kinder und Enkelkinder haben und ihnen ein gutes Leben bieten wollen. Was wir heute dafür tun müssen, ist leicht zusammengefasst, aber unglaublich schwer umzusetzen, weil es unsere Art zu leben und zu wirtschaften grundsätzlich in Frage stellt.
Wir dürfen aus den fossilen Lagern kein CO2 mehr in die Atmosphäre bringen
Billige fossile Energie ist heute der Motor unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes. Und es ist noch mehr als genug davon in der Erde gespeichert, die Party könnte also getrost weitergehen. Wenn da nicht das Problem wäre, dass wir dadurch jenes CO2 in die Atmosphäre zurückführen, das über Milliarden Jahre in tiefe Erdschichten abgelagert wurde. Der extrem rasch ansteigende CO2 -Gehalt und die damit einhergehende Erderwärmung machen in letzter Konsequenz ein Leben auf diesem Planeten für uns Menschen unmöglich – nicht erst irgendwann, sondern schon in wenigen Generationen. Wir dürfen daher kein Öl, kein Gas und keine Kohle mehr aus der Erde buddeln – und das so rasch wie nur möglich, so wie es das Pariser Klimaschutzabkommen vorsieht.
Wir brauchen alternative Energiequellen und das ist – wie es zurzeit aussieht – fast ausschließlich Strom. Ob Elektroauto, Wasserstoff für die Industrie, E-Fuels für die Flugzeuge, Wärmepumpen für die Heizung oder Rechenzentren für die unglaublichen Datenmengen des digitalen Zeitalters – alles braucht Strom. Kommt dieser aus Kohle- oder Gaskraftwerken, ändert das nichts am Grundproblem. Atomstrom wirft andere Fragen im Sinne der Verantwortung für die Zukunft auf (siehe Einleitung).
Wenn wir kein CO2 in die Luft blasen möchten, muss der gesamte Strombedarf aus Wasserkraft, Wind, Sonne und Biomasse gedeckt werden. Und das wird sich in der kurzen Zeit, die wir noch haben, möglicherweise nicht ausgehen. Daher ist die wichtigste Maßnahme, den Energieverbrauch zu reduzieren. Ich will Sie jetzt nicht mit Tipps von der Wärmedämmung über das regelmäßige Abtauen der Gefriertruhe bis zur Beleuchtung mit LEDLampen quälen – Sie als mündiger Leser wissen ganz genau, wo Ihre Möglichkeiten liegen.
Ein Thema möchte ich allerdings herausgreifen, weil es aktuell viel diskutiert wird: Tempo 100 auf der Autobahn. Ich erinnere mich da an einen Leserbrief, in dem sich der Schreiber über den „Luft-Hunderter“ auf der A1 in Oberösterreich aufgeregt hat. Ich habe ihm geantwortet, dass meiner Meinung nach die bessere Luft für die Menschen, die neben der Autobahn wohnen, wichtiger sei als die paar Minuten, die er als Autofahrer verliere.
Heute kleben sich junge Menschen mit der Forderung nach Tempolimits auf Straßen. Diese Art von Aktivismus ist zwar nicht die meine, aber das Anliegen, dem sie Gehör verschaffen wollen, ist höchst überlegenswert. Wenn ich hin und wieder mit dem Auto auf der Autobahn unterwegs bin, stelle ich den Tempomat fast immer auf 100 km/h. Das Fahren wird viel stressfreier und meistens habe ich es auch nicht so eilig, dass ich schneller fahren muss. Das spart 20 bis 30 Prozent Sprit und damit ebenso viel CO2 -Belastung und ganz nebenbei auch Geld. So einfach kann Verantwortung für die Umwelt gelebt werden.
Wir müssen mit den Ressourcen sorgsam umgehen
Ein großer Teil des Energieverbrauches steckt in den Produkten des täglichen Lebens. Unser Wirtschaftssystem ist darauf aufgebaut, dass wir möglichst viele Dinge kaufen, die möglichst rasch wieder kaputt werden, damit wir wieder neue kaufen müssen. Elektrogeräte, Kleidung, Möbel – alles wird rasch und billig und oftmals unter Ausbeutung von Menschen hergestellt, reparieren lohnt sich finanziell meist nicht oder ist erst gar nicht möglich. Verpackungen – oftmals Kunststoffe, die aus Erdöl hergestellt werden – werden nach einmaligem Gebrauch weggeworfen. Raggam nennt es „naturwidrige, lineare Systeme“ im Gegensatz zur Kreislaufwirtschaft, zu der wir wieder zurückfinden müssen.
Hier hört man vor allem das Argument, dass langlebige Produkte viel teurer sind als die Massenware und sich viele Menschen diese Produkte nicht leisten können und daher zu Billigwaren greifen. Das stimmt für den Moment. Langfristig gesehen kommt es oft teurer, wenn ich immer wieder neue Sachen kaufen muss. Nachhaltig einkaufen kann auch günstiger sein. Flohmärkte, Tauschbörsen, die Carla-Shops der Caritas oder Plattformen für gebrauchte Artikel wie etwa willhaben.at sind eine interessante und meist günstigere Alternative zum Neukauf. Die Produkte bleiben viel länger im Gebrauch. Und auch regionale Reparaturangebote verlängern die Lebenszeit für den Kühlschrank oder das Fahrrad.
Um unser Wegwerfsystem in diesem Sinn umzustellen, muss die Politik den Unternehmen einen Rahmen vorgeben, an dem sie sich orientieren und neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Das hat die EU im Jahr 2020 mit dem Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft gemacht. Weniger Materialeinsatz und weniger Energie für die Produktion reduzieren Kosten und CO2 - Ausstoß. Viele Unternehmen haben das bereits erkannt und übernehmen in ihrem Bereich Verantwortung. Wir können sie stärken, indem wir ganz bewusst ihre Produkte und Dienstleistungen kaufen.
Wir müssen unsere Böden wieder in Ordnung bringen
Vor wenigen Wochen hat die EU ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur verabschiedet. Dabei geht es nicht nur um Naturschutzgebiete, sondern auch um Städte, in denen es in Zukunft mehr Grünflächen und Bäume geben soll, und um landwirtschaftlich genutzte Flächen wie Wälder und Felder. So sollen etwa trockengelegte Moore wieder vernässt und der Einsatz chemischer Pestizide und Düngemittel verringert oder besser gleich ganz beendet werden. Viele Bauern laufen dagegen Sturm. Sie befürchten eine Verringerung des Ertrages und den Verlust von Flächen.
Warum diese Renaturierung für die Lebensbedingungen auf der Erde vielleicht noch wichtiger sind als die Reduktion des CO2 , hat Professor Raggam auch mit einem Blick in die Erdgeschichte aufgezeigt: Vor drei Milliarden Jahren, als es noch keine Pflanzen gab, bestand die Erdoberfläche aus Wasser und Sand. Die Sonne heizte das Meer in der oberen Schicht auf maximal 30 Grad Celsius, die trockene Landfläche jedoch auf gut 300 Grad Celsius. Die Luft über Land und über Wasser wurde unterschiedlich heiß, mit der Folge, dass sich die Luftschichten in extremen Stürmen austauschten und der Regen, der auf das Land niederging, in Sturzfluten wieder ins Meer zurückgespült wurde. Menschen hätten unter diesen Bedingungen nicht leben können. Es muss ein wesentliches Ziel im Entwicklungsprozess des Erdökosystems gewesen sein, diese extremen Sturmbewegungen, Sturzfluten und Trockenheiten weitgehend zu eliminieren, damit menschliches und tierisches Leben auf der Erde möglich wird.
Dazu war es notwendig, auf der Landfläche ein Kühlsystem zu installieren, welches je Quadratmeter Land gleich viel Wasser zur Kühlung verdunstet wie am Meer. Dadurch konnte sich das Land selbst kühlen. Die spezifischen Gewichte der Meeres- und Landluft waren in etwa gleich, sodass es zu keinen wilden Ausgleichsströmungen (Stürmen) zwischen Meer und Land mehr kam. In ungestörten Böden halten sich Humusauf- und -abbau die Waage. Wird der Boden genutzt, verändert sich das. Wird der Boden geradezu ausgebeutet oder ganz zerstört, indem Flächen zubetoniert werden, verliert der Boden seine Funktion.
Heute befinden sich 70 Prozent der Böden in Europa in einem ungesunden Zustand. Die Ackerböden sind humusmäßig in die Kategorie Wüsten und Halbwüsten einzuordnen. 1940 wuselten 30 Tonnen Bodenlebewesen pro Hektar auf unseren Feldern. Seit ihnen der Kunstdünger seine eigenen Ausscheidungsprodukte in hoher Konzentration vorgetäuscht hat, sind es nur mehr drei Tonnen. Der Ertrag ergibt sich – wie bei einer Hydrokultur – aufgrund der (noch) vorhandenen Niederschläge und dem Einsatz von Kunstdünger.
Durch den Humusverlust hat sich in weniger als einem Jahrhundert das über Milliarden Jahre erreichte Verdunstungsgleichgewicht verschoben, die Landflächen werden heißer. Der häufige Regen und der morgendliche Tau (durch Verdunstung über dem Land) werden seltener, die Trockenheit nimmt zu und das Meer versucht die fehlende Landkühlung durch vermehrte Meeresverdunstung und zunehmende Stürme und Niederschläge auszugleichen. Da der Humus fehlt, werden die Niederschläge nicht im Boden gespeichert, verheerende Hochwässer, die sich immer häufiger mit immer extremeren Trockenzeiten abwechseln, sind die Folge.
Allein in Österreich fehlen den Wäldern, Sträuchern, Gräsern und Ackerpflanzen durch die Zerstörung der Humusschichten jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Verdunstungswasser. Der Wald vertrocknet und das Schadholz nimmt zu. Eine weitere Bodenversiegelung zu stoppen und wieder Humus aufzubauen, ist also eine zentrale Herausforderung in der Verantwortung für die kommenden Generationen.
Diese Humusbildung ist ein sehr langsamer Prozess. Es dauert Jahrzehnte oder Jahrhunderte, bis ausgelaugte Böden wieder ihren ursprünglichen Humusgehalt erreichen. Um das schneller zu schaffen, schlägt Professor Raggam vor, aus dem Schadholz der trockenen Wälder durch Teilverbrennung Holzkohle zu erzeugen und diese in den Boden einzuarbeiten. Damit könnte man das Wasserrückhaltevermögen der Böden wiederherstellen und gleichzeitig CO2 in den Böden speichern. Darüber hinaus müssen die Bodenlebewesen, die die Mineralstoffe für die Pflanzen bereitstellen und durch ihre ständige Auflockerungsarbeit ebenfalls für die Wasserspeicherung sorgen, wieder gestärkt werden.
Auch die Raumplanung ist in der Pflicht. Täglich werden in Österreich riesige Flächen für Straßen, Wohnhäuser, Einkaufszentren und Fabrikhallen zugepflastert. Wertvolle Ausgleichsflächen gehen verloren. Das kann bei einer verantwortungsvollen Planung so nicht weitergehen. Zudem müssen die bereits bebauten Flächen so umgestaltet werden, dass so viel Wasser wie möglich verdunsten kann – über Parkanlagen, Baumkronen, Gründächer bis hin zu begrünten Fassaden.
Warum ich und nicht die anderen?
Das ist eine Frage, die ich immer wieder gestellt bekomme: Was nützt das alles für das Weltklima, wenn das kleine Österreich einen Beitrag zum Umweltschutz leistet, wenn die Chinesen, die Amerikaner das nicht tun, wenn die Flugzeuge am Himmel immer mehr werden und die anderen auf der Autobahn an mir vorbeirasen? Unabhängig davon, dass in vielen Ländern auf der Erde bereits wesentlich mehr für den Umweltschutz getan wird als auf unserer „Insel der Seligen“: Entbindet es mich von meiner Verantwortung, wenn andere ihre Verantwortung nicht wahrnehmen?
Autor: Christian Brandstätter