
Kirche muss nach Zukunft schmecken
Ypsilon: Die vielen Krisen der letzten drei Jahre – Corona, Klima, Krieg, Teuerung – haben viele Menschen müde gemacht. Können wir trotzdem Hoffnung schöpfen?
Franz Küberl: Wir müssen damit leben lernen, dass es Unfairness, Hindernisse und Verwerfungen gibt. Auch damit, dass ich als Einzelner die Welt nicht aus den Angeln heben kann und auch nicht alles allein tun kann. Aber ich kann ein paar Dinge in meinem Umkreis und Verantwortungskreis tun – in der Familie, am Arbeitsplatz, bei Freunden, in einem Verein oder in einer Organisation. Und das, was ich tun kann, das soll ich tun. Die Erfahrung zeigt ja: Dinge können sich wieder zum Besseren wenden.
Ypsilon: Sie erwähnen in Ihrem Buch einen Satz, der Sie sehr ermutigt hat: „Jeder junge Arbeiter ist mehr wert als alles Gold der Welt.“ Gerade die jungen Menschen sind durch die Vielfalt an Krisen sehr verzagt. Was sagen Sie ihnen?
Franz Küberl: Die überwiegende Zahl der jungen Menschen in Österreich kann, Gott sei Dank, wohlbehütet aufwachsen. Sie sollten aber schon einschätzen können, dass sie insgesamt gute Möglichkeiten haben. Die Frage ist, ob den jungen Menschen entsprechende Chancen und Herausforderungen eröffnet werden. Jeder, der mit der nächsten Generation zu tun hat, hat auch einen Hauch an Mitverantwortung, sollte zuhören, etwas wachsen lassen, unterstützen und auch Kritik üben.
Ypsilon: Schwerpunkt dieses Magazins ist die Demokratie.
Franz Küberl: Die Mehrzahl der Staaten ist heute nicht mehr demokratisch. Welche Verantwortung haben die Menschen für die Demokratie? Demokratie spielt sich Gott sei Dank nicht nur im Parlament ab, sondern sie lebt davon, dass sich Menschen engagieren. Das gilt für jede öffentliche Verantwortung, vom Bundespräsidenten über Gemeinderäte, Schulsprecherinnen bis hin zum Heimgartenverein: Wir brauchen Leute, die sich etwas denken und Probleme klug lösen, die Verantwortung übernehmen und die Kapazität haben, auf jene zu achten, für die sie mitverantwortlich sind. Der Pferdefuß der Demokratie ist, dass niemand wie eine Made im Speck leben kann. Auch in der KMB ist die Frage, wie die Verantwortlichen Demokratie leben. Sind sie in der Lage, Menschen mitzunehmen, einzuladen? Verantwortung zu übernehmen? Zu Entscheidungen zu stehen, aber auch zu Entscheidungen zu kommen? Das könnte man jetzt überall deklinieren.
Ypsilon: Hat sich die Debattenkultur verändert?
Franz Küberl: Sie ist unter anderem durch Corona etwas unbedingter geworden. Freiheit bedeutet für viele vor allem Freiheit für sich selbst. Aber wenn der andere neben mir keine Freiheit hat, dann habe ich auch keine. Wenn der andere Mensch gleich wertvoll ist wie ich, muss ich mich mit seiner anderen Meinung auseinandersetzen. Ich glaube, das ist ein bisschen außer Rand und Band geraten. Ein wenig spielen wohl auch die Möglichkeiten des Internets eine Rolle. Ein Wort, das man früher in einer Kaffeerunde gesagt hat, kann jetzt auf einmal weltweit auftauchen. Man kann jemanden beschimpfen, in eine Zwangslage bringen oder ausnützen. Das ist stärker geworden und schlägt sich auch auf das normale Leben nieder.
Ypsilon: In Ihrem Buch schreiben Sie, die Kirche sind wir alle, der Klerus und die Laien. Viele Diözesen müssen sparen – und das tun sie vor allem bei den Laienorganisationen, der Katholischen Aktion. Wie sehen Sie das?
Franz Küberl: Das wäre der Gang in die Sakristei, der Rückzug vom Alltagsleben der Gläubigen und eine schwere Fehlentwicklung. Ich glaube, dass in der Kirche – auch bei leitenden Verantwortlichen – zu wenig gesehen wird, dass es Aufgabe der Kirche ist, Strukturen zu schaffen, damit die Menschen ihre Gläubigkeit dort leben können, wo sie leben. Für den Laien liegt die Gläubigkeit auf dem Marktplatz des Lebens. Das gilt für die Pfarrei, die übergeordneten Instanzen in der Diözese, aber auch weltweit. Die Pfarren sind wahrscheinlich die größte soziale und seelsorgliche Erfindung, die es in der Kirche gibt. Das ist eine spannende Frage an die katholische Aktion, aber auch an viele andere Institutionen oder Gruppen von Laien, die sich zusammenschließen und mithelfen, damit das innere Gerüst des Gebäudes Kirche etwas gleichschaut
Ypsilon: Ich habe durch mein Engagement in Jungschar, KSJ und Katholischem Bildungswerk meine Persönlichkeit entdecken und entwickeln können und viel gelernt. Wo können junge Menschen heute in der Kirche andocken?
Franz Küberl: Das halte ich für eine Stärke der Pfarren – es ist ganz erstaunlich, wie viele Gruppen es da gibt. Ich staune darüber, wie viele junge Menschen motiviert werden können, bei der DreikönigsAktion mitzugehen. Die entscheidende Frage ist, ob Menschen auch in ihrem Wesen angesprochen werden können. Ob die Fragen „Woher komme ich?“, „Wer bin ich?“, „Wohin gehe ich?“ besprochen werden. Das sind ja die Glaubensfragen, ganz undogmatisch formuliert.
Ypsilon: Wenn Sie jetzt 17 Jahre alt wären und es gäbe keine KJ, wo würden Sie sich denn da heute engagieren? Vielleicht bei der Young Caritas oder bei Fridays for Future?
Franz Küberl: Soweit ich mich kenne, würde ich sicher irgendein Feld finden, wo ich das Gefühl habe, einen Beitrag leisten zu können. Ich kann nicht sagen, wo, aber dass ich tätig wäre, ist sicher. Es ist schon so, dass ich wichtig sein wollte, also irgendwo mittun und auch etwas mittragen. Ich habe sehr viele Leute kennengelernt, die mir bedeutet haben, dass sie das, was ich tue, für wichtige Beiträge halten, auch wenn man darüber debattiert hat. Als junger Mensch will man etwas erleben, will man angenommen sein und lernt so auch etwas dazu. Das sind Zustiegsmomente für junge Menschen.
Ypsilon: In Österreich gab es viele Reformbestrebungen: Kirchenvolksbegehren, Pfarrerinitiative etc. Die Antwort aus dem Vatikan war – so schreiben Sie – „schallendes Schweigen“. Heute beschreitet der Papst neue Wege und stößt wichtige Reformen an, aber vieles „verdunstet“, sagen Sie. Was passiert da?
Franz Küberl: In Wirklichkeit haben wir in der Kirche zwei unterschiedliche Schichtungen im Klerus: Die einen, die froh sind, dass sie ihre Funktion erreicht haben, sie behalten wollen und großes Interesse daran haben, unter ihresgleichen zu bleiben. Und die anderen, die wollen, dass Kirche unter die Leute kommt, die die Menschen mitnehmen und mit ihnen gehen wollen. Da gibt es eine Reihe von Bischöfen, wie Bischof Johann Weber oder Bischof Reinhold Stecher, die mich wahnsinnig beeindruckt haben. Das ist ein wenig zurückgenommen worden, vielleicht weil viele kirchliche Verantwortliche nur mit Menschen gehen wollen, die bereits gläubig sind.
Ypsilon: Was bedeutet das für die Zukunft der Kirche?
Franz Küberl: Wenn man ein anziehendes Inneres der Kirche haben will, wird man Laien brauchen. Da braucht es deutliche Impulse, um ein Stück weiterzukommen. Bis jetzt hat man keine Form gefunden, um Laien stärker in die Gesamtverantwortung der Kirche miteinzubeziehen. Es gibt einzelne kleine Öffnungsschritte, wie Frauen in der Vollversammlung der Bischofskongregation. Aber der Weg ist noch weit. Ich fürchte, das wird auch die nächste Synode nicht lösen können. Aber ich kann mir keinen Herrgott vorstellen, der meint, so habe ich es euch vor 2000 Jahren gesagt und so muss es bleiben
Ypsilon: Was können die Gläubigen tun, um die Kirche wieder voranzubringen?
Franz Küberl: Man muss selbst in der Lage sein, den Glauben in sich weiterzuentwickeln und nach außen weiterzutragen. Das ist die einzige Missionsform, die Wirkung zeigt. Wenn ich so lebe, dass andere sagen: „Interessant, was der tut. Das ist etwas, das ich auch überlegen kann.“ Natürlich gehört auch dazu, dass man sich um sein Umfeld kümmert, dort, wo man tätig ist, mit Freunden, sich in einer Gruppe engagiert, in einem Verein, in der Firma, im Rentnerverband. Da kann ich meine drei, vier wichtigsten Werte und Haltungen souverän einsetzen.
Ypsilon: Was braucht es, damit die Kirche nach Zukunft schmeckt?
Küberl: Kirche schmeckt nach Zukunft, wenn sie die Menschen bei ihrer Freude, der Trauer, ihrer Hoffnung, ihren Ängsten begleitet, bei den Punkten, die die Menschen bewegen. Entscheidend ist, ob die Kirche nahe genug bei den Menschen ist und ob das, was sie tut, nach Zukunft schmeckt. Und vielleicht hilft auch, dass wir in dieser Welt leben, gegen diese Welt leben und über diese Welt hinaus leben – alles gleichzeitig. Wir sind die, die mitgestalten, mittragen, mitverantworten, mitleiden, mitschuldig werden. Wir sind Teil dieser Welt. Die spannende Frage ist, ob man sich kirchlich und wir uns als Gläubige immer wieder über bestimmte Fragen mit anderen in der Gesellschaft verständigen können. Wichtig ist, dass die Hoffnung nicht stirbt. Als Kirche müssen wir uns fragen, ob wir genug Hoffnung ausstrahlen.
Interviewerin: Roswitha M. Reisinger, Verlag Lebensart
Buchtipp:
Franz Küberl
Zukunft muss nach Besserem schmecken.
Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft
In seinem neuen Buch plädiert der ehemalige Präsident der Caritas Österreich für ein Christentum, „das sich im Alltag zeigt“. In seiner Analyse spannt er einen Bogen von den gesellschaftlichen Herausforderungen, seinen persönlichen Lebens- und Glaubenserfahrungen über eine Kirche, die sich reformieren muss, bis hin zu den dafür notwendigen Zukunftstugenden.
144 Seiten, Tyrolia-Verlag, ISBN 978-3-7022-4097-4, € 17,99